# taz.de -- Perle der Karibik: Haiti setzt auf Tourismus | |
> Wenn in den 70er-Jahren vom Touristenboom in der Karibik die Rede war, | |
> drehten sich die Sehnsüchte um Haiti. Jetzt will das Land wieder in den | |
> Tourismus einsteigen. | |
Bild: Stürmisch Zeiten: politisch, wirtschaftlich und sozial hatte Haiti jahre… | |
Im vergangenen Jahrhundert war das "Land der Berge", wie es die | |
Taíno-Ureinwohner nannten, der Geheimtipp für Karibikreisende. Seit 1980 | |
flog die ClubMed-Leitung ihre Kunden in den exklusiven Ferienclub am | |
exklusiven Karibikstrand von Archaie, gerade mal eine Autostunde nördlich | |
der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince. Auch rund um die südliche | |
Hafenstadt Jacmel entwickelte sich in diesem Zeitraum eine florierende | |
Tourismusindustrie mit kleinen Hotels und Ferienhäusern für ausländische | |
Besucher. Kreuzfahrtschiffe spuckten damals ihre Gäste zu Tagesausflügen in | |
die pittoreske Hafenstadt mit ihren zweigeschossigen Holzhäusern im | |
Zuckerbäckerstil, ihren Kunsthandwerkern und ihrer weltberühmten | |
Karnevalstradition aus. Und über Jahrzehnte war im Norden des Landes die | |
sagenumwobene Festung Sans-Souci, nahe Cap Haïtien, errichtet. | |
Anfang des 19. Jahrhunderts vom selbst ernannten haitianischen König Henri | |
Christophe, Publikumsmagnet und beliebteste Ausflugsziel des Landes. | |
Jährlich kamen rund 300.000 Touristen, um ihren Urlaub in Haiti zu bringen, | |
1975 weilten sogar schon die heutige US-Außenministerin Hillary und ihre | |
Ehemann Bill Clinton, der heute UN-Sonderbotschaft für Haiti ist, auf | |
Hochzeitsreise im Land. Im Hotel Oloffson stieg Mick Jagger ab. Das Zimmer, | |
in dem er damals nächtigte, ist heute nach ihm benannt. Berühmt hatte das | |
Gasthaus im Zentrum von Port-au-Prince im landestypischen gotischen | |
Lebkuchenstil des 19. Jahrhunderts 1966 Graham Greenes mit seinem Roman | |
"Die Stunde der Komödianten" gemacht. | |
In den 70er-Jahren reiste auch Frank Rainieri, ein dominikanischer | |
Unternehmer mit italienischen Wurzeln, ins westliche Nachbarland, weil er | |
in den Tourismus einsteigen und etwas von seinen haitianischen | |
Unternehmerkollegen lernen wollte. Der haitianische Tourismus "war größer | |
als in der Dominikanischen Republik", erinnerte sich Rainieri in der | |
US-Zeitschrift Caribbean Journal über seine "Lehrjahre". Für das richtige | |
und ruhige Investitionsklima sorgte Diktator "Baby Doc" Jean-Claude | |
Duvalier mit seiner Terrortruppe Tonton Macout, den die Devisendollars zum | |
Multimilliardär machten Haiti war damals Topp, die "Kaminlose Industrie" in | |
der Dominikanischen Republik steckte noch in den Kinderschuhen. | |
## Alle reden heute von der Domrep | |
Die Touristentrends haben sich längst gedreht. Heute dirigiert der | |
Mittsechziger ein Touristenimperium an der Ostküste der Dominikanischen | |
Republik, zu dem der weltweit erste Privatflughafen gehört und auf dem | |
jährlich rund 2,2 der rund 3,7 Millionen Touristen landen, die in Punta | |
Cana Urlaub machen. Heute verbringen die Clintons im Puntacana Resorts von | |
Rainieri ihre Weihnachtsferien, urlauben Stars und Sternchen, Könige und | |
Popikonen in den Luxusresorts an der dominikanischen Süd- und Ostküste. | |
Von Haiti redete lange niemand mehr in Sachen Tourismus. Politische Unruhen | |
nach dem Sturz von Diktator Jean-Claude Duvalier 1986, Bürgerkriege, | |
ständig wechselnde Regierung und damit verbundene Unruhen haben die | |
Touristen andere Reiseziele ansteuern lassen. Das Rennen hat längst die | |
Dominikanische Republik, in der er es heute fast 70.000 Hotelzimmer gibt, | |
mit preiswerten Angeboten gemacht und fast täglich Direktflügen aus | |
Deutschland. 1987 schloss ClubMed in Archaie seine Pforten, weil die | |
Urlauber ausblieben. Lediglich Kreuzfahrtschiffe machten noch im Norden | |
Station an Strand von Labadie, eine hochgesicherte Oase mit Liegestühlen | |
und Sonnenschirmen - ohne Kontakt zur Realität im Armenhaus Lateinamerikas | |
mit seinem Slums und zu einer Bevölkerung, von denen statistisch zwei | |
Drittel täglich mit weniger als einem Euro ihren Lebensunterhalt bestreiten | |
muss. Und auch die Mitglieder der UN-Sicherheitstruppe Minustah, die seit | |
2004 in Haiti stationiert ist, zogen die Beach Resorts der nahe gelegenen | |
Dominikanischen Republik vor, um ihren "Recreationholiday" zu genießen. | |
## Ehrgeizige Pläne für Haiti | |
Das schwere Erdbeben, das Mitte Januar 2010 fast 300.000 Menschenleben | |
forderte, zog auch die wenigen Hotels im Süden des Landes, die noch offen | |
geblieben waren, in Mitleidenschaft. Das größte und luxuriöseste Hotel in | |
Port-au-Prince, das Hôtel Montana kollabierte komplett und tötete | |
zahlreiche Diplomaten und UN-Mitarbeiter. Urlaub in einem Katastrophenland | |
wollte eh keiner machen - aber nach und nach öffneten kleine Pensionen und | |
wieder aufgebaute Hotels für die ausländischen Hilfskräfte, die während | |
ihres Aufenthalts im "Land der Berge" ein paar Stunden Erholung von all dem | |
menschlichen Elend suchten. | |
Jetzt möchte Haiti wieder an alte Zeiten als Touristenmetropole anknüpfen - | |
als Wirtschaftsalternative im rohstoffarmen Karibikland. "Wir werden den | |
Tourismus neu beleben", hatte schon der damalige Direktor des | |
Tourismusministeriums Daniel Fouchard auf der Internationalen | |
Tourismusbörse (ITB) in Berlin im vergangenen Jahr angekündigt. Das | |
Ministerium hatte einen Fünf-Jahres-Plan ausgearbeitet, der die bei dem | |
Erdbeben zerstörten Regionen mit einbezog und auf Investitionserwartungen | |
im Hotelsektor basierte. Bis 2020 soll die Zahl der Hotelzimmer, so zieht | |
der Plan vor, die Zahl der Hotelbetten von derzeit "1.000 auf insgesamt | |
30.000 angsteigen". | |
Seitdem ist auch Frank Rainieri öfters mit seinem Privatflugzeug von der | |
Ostküste nach Port-au-Prince geflogen, um an Investorentreffen und | |
Fachkonferenz teilzunehmen, auf denen diskutiert wurde, wie der Tourismus | |
in Haiti angekurbelt werden kann. Im November des vergangenen Jahres | |
beteiligte er sich am "Invest in Haiti Forum", das von der Internationalen | |
Entwicklungsbank organisiert wurde und auf dem renommierte Hotelketten | |
versprachen, in die Hotelinfrastruktur zu investieren. Marriot Hotels | |
verbaut zurzeit 45 Millionen US-Dollar für ein Hotel mit 173 Zimmern in | |
Port-au-Prince. Das Best Western will sieben Etagen in Petión Ville hoch | |
ziehen, eine Kleinstadt am Rande der haitianischen Hauptstadt, in der der | |
Mittelstand lebt. 105 Zimmer der oberen Mittelklasse, Restaurant und | |
Konferenzräume für 140 Personen sollen vor allem Geschäftsreisende in | |
Sachen Wiederaufbau beherbergen. | |
## Den Ruf eines Problemlandes vergessen machen | |
Der dominikanische Tourismusunternehmer Rainieri sieht in Haiti wieder | |
großes Potenzial und hat ehrgeizige Pläne. Er will selbst mit dem schon aus | |
dem Inselosten erprobten Rezept ein Resort aufbauen, wo, das möchte er | |
derzeit noch nicht verraten. "Wir müssen 50 Millionen Touristen in die | |
Karibik bringen. Und Haiti muss dabei eine Rolle spielen", betont er. Und | |
über den Tourismus sieht er die Möglichkeit für Haiti, den Ruf eines | |
"Problemlandes" hinter sich zu lassen. "Freiwilligentourismus", | |
"Ökotourismus", "Abenteuertourismus" und "Kommunaltourismus", wo Besucher | |
in die Dörfer kommen und wohnen, sind Stichworte, die Rainieri im Gespräch | |
fallen lässt und wo er die größten Entwicklungsperspektiven im Land sieht. | |
"Das bringt auch Einkommen in die Regionen und für die Bewohner." | |
Mit Stéphanie Balmir Villedrouin, der neuen Tourismusministerin des Landes, | |
hat Rainieri eine Gesprächspartnerin gefunden, die besonders den | |
ausländischen Privatsektor in die Entwicklung des Landes einbeziehen will. | |
Die 29-jährige Hotelierstochter war zuvor Chefin der haitianischen | |
Hotelvereinigung (Association Touristique d'Haïti - ATH), und eine der | |
Personen, die sich nationalen und international seit Jahren für eine | |
Tourismusindustrie in Haiti stark gemacht hat. "Haiti hat Probleme, aber | |
wir versuchen nicht, diese zu verstecken", sagte sie der kanadischen | |
Onlinezeitung "Montreal Gazette", "aber wir haben auch Regionen mit | |
wunderschönen Stränden, einem großen kulturellen Erbe und liebenswerte | |
Menschen." | |
Armut und Gewalttätigkeiten als abschreckendes Argument gegen einen Urlaub | |
in Haiti will Balmir Villedrouin nicht gelten lasse. Auf anderen Inseln mit | |
einen hohen Touristenanteil, wie Jamaika, sei die Kriminalität höher als in | |
Haiti, betont sie. Trotzdem würden Hunderttausende aus Nordamerika und | |
Europa dort Urlaub machen. Das Ministerium hoffe gerade auf erfolgreiche | |
Tourismusmanager wie Rainieri, um sich langfristig auch als gemeinsames | |
Ferienziel zu vermarkten, schließlich machen im Nachbarland jährlich über | |
3,5 Millionen Touristen Ferien, darunter rund 180.000 Deutsche. Positive | |
Zeichen sind deshalb angesagt. Auf den internationalen Branchenmessen | |
lassen sich inzwischen wieder Vertreter des Tourismusministeriums und der | |
Hotelunternehmer wieder blicken. Auf der diesjährigen karibischen | |
Reisemesse Caribbean Tourism Marketplace wurde zum ersten Mal seit vielen | |
Jahren wieder die haitianische Flagge als Teilnehmerland gehisst und | |
versuchten Hotelvertreter Reiseanbieter für ihr Land zu interessieren. "Wir | |
werden noch nicht in den Massentourismus einsteigen können", versichert ein | |
Hotelie, "aber wir wollen Vertrauen schaffen. Haiti muss wieder | |
international einen Namen als Urlaubsdestination bekommen. | |
Neben dem Strand- und Ressortourismus will Haiti auch verstärkt auf | |
Kreuzfahrttouristen setzen. Bereits vergangenes Jahr hat die Royal | |
Caribbean Cruise Line (RCCL) in Labadie in der Nähe von Cap Haïtien 1,5 | |
Millionen Passagiere von Kreuzfahrtschiffen für einen Strandtag angelandet. | |
Die Royal Caribbean will den Hafen weiter ausbauen und hat dafür 55 | |
Millionen US-Dollar bereitgestellt. Künftig sollen auch andere | |
Kreuzfahrtschiffe dort anlegen und ihre Passagiere ausschiffen können. Denn | |
wenige Kilometer vom Privathafen der Reederei mit ihrem wunderschönen | |
Sandstrand erhebt sich die Festung Sans-Souci. Die Gegend dort "wurde vom | |
Erdbeben nicht betroffen und die Infrastruktur intakt, freuen sich ein | |
Tourismusmanager. Aber für Ausflüge sind die Straßen zu schlecht. Deshalb | |
wird derzeit wird mit finanzieller Hilfe der Europäischen Union sogar eine | |
neue Straße zum Welterbe der Unesco gebaut. Auch der neugewählte | |
Staatspräsident Haitis, Michel Martelly, sieht die Zukunft des Landes in | |
der "Kaminlosen Industrie". "Wir wollen keine Almosen mehr.Wir wollen Haiti | |
voranbringen", erklärte der Ex-Musiker "Sweet Micky" der Nachrichtenagentur | |
AFP, als er bekannt gab, die "Repiblik d Ayiti" solle zur neuen | |
Feriendestination in der Karibik ausgebaut werden. Investoren hätten | |
bereits das Potenzial des Landes erkannt, "um nach Haiti zu kommen und das | |
Land wieder aufzubauen." | |
2 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Hans-Ulrich Dillmann | |
Hans-Ulrich Dillmann | |
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Haiti | |
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