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# taz.de -- Wiener Festwochen: Wer sich verheddert, ist dran
> Ulrich Seidl inszeniert in Wien „Böse Buben/Fiese Männer“ nach einem
> Kurzgeschichtenband von David Foster Wallace: Ein lässlicher Sozialporno
> in Starbesetzung.
Bild: Es sind nur Männer und die wollen spielen: „Böse Buben/Fiese Männer�…
Ein Keller ist nicht einfach nur ein Keller. Was inzwischen gerichtsbekannt
ist, hat auch Eingang in die finstersten Regionen der mentalen Landschaft
Österreichs gefunden. Aber keine Angst, hier quält nicht die heilige
Familie die Schutzlosen. Wir sind im Theater und die grauenhaften
Entdeckungen werden sich in Grenzen halten.
Es sind nur Männer und die wollen spielen. Bei flackerndem Neonlicht
zwischen Eternitplattennachbildungen, den Leitungen und
Versorgungsschächten der verwalteten Welt (Bühne: Duri Bischoff) vertreiben
sie sich die Zeit mit staksenden Leibesübungen. Und manchmal singen sie
auch. Doch was wären Männer ohne Disziplin? Ganz ohne Pfeife geht das
Tanzen nicht, und die hängt Lars Rudolph um den Hals. Das ist ganz
praktisch, zum Spielen nutzt er nur den rechten Arm, der andere ist unter
der Jacke verborgen.
Die Pfeife privilegiert ihn ein wenig, so eine Art Portier mit eigener Loge
und elektronisch gesichertem Zugang. Den Chip, den er zu seiner
Identifizierung vor die Apparatur halten muss, trägt er am Gürtel. Er
stellt sich auf Zehenspitzen davor, wippt mit dem Becken kurz nach vorn.
Und es brummt, die Tür öffnet sich. Sozusagen iris scan am Nudelaug,
welches in der Wiener Umgangssprache die Penisspitze bezeichnet und die
Humorebene des Abends fixiert.
Die Pfeife gibt den Takt vor für Kniebeugen und Liegestütze, sie markiert
den Verlierer beim Wortergänzungsspiel: ein Wort wird reihum mit jeweils
einem neuen Wort zum Bandwurmsatz ergänzt. Wer sich verheddert, ist dran:
wahlweise zehn Liegestütze oder vor das Publikum treten, Hose runter und
Nudel vorzeigen. Dann ist kurze Pause und sie gehen zu ihren Spinden und
essen ihr Pausenbrot auf offener Bühne im Wiener Akzenttheater.
## Die ganze Belegschaft ist da
Wer war eigentlich noch da? Wolfgang Pregler und Michael Tregor von den
Münchner Kammerspielen, Nabil Saleh aus Alexandria, der behauptet, der
Frauen wegen nach Wien gekommen zu sein, und ein paar alte Bekannte aus dem
Kinouniversum von Ulrich Seidl: sein schlechthiniger Protagonist Georg
Friedrich (unter anderem „Hundstage“).
Michael Thomas („Import Export“), der der angstlüsternen Wiener Bourgeoisie
so trefflich den Vorstadtluden gibt, obwohl er doch beruflich mit Gesang
und Schauspiel zu tun hat, und René Rupnik, von dem wir spätestens seit
1997 wissen, dass jeder Winkel seiner Fantasie mit den Brüsten von Senta
Berger ausgefüllt ist („Der Busenfreund“).
Rupnik, der eloquente ehemalige Schullehrer, verlegt sich zeitweise auf die
Conférence, erzählt, wie es wohl in Kindertagen schon zu seiner
Brustpräferenz gekommen ist und wer alles in der Weltgeschichte ein „großer
Ficker“ war. Dann setzt er sich am Rande wie Zwerg Alberich zwischen Stapel
von Pornoheften und schaut sich das weitere Geschehen aus der Halbdistanz
an.
Der verlorene Connaisseur eines im Zeitalter von Breitbandinternet
aussterbenden Mediums. Das ist eines der wenigen schönen, weil
doppelbödigen Theaterbilder des Abends. Sonst gibt es nur in your face ein
paar Schläge Wirklichkeit, die über die Stereotype, die diese hervorbringt,
nur selten hinausweisen.
## Ein wirklich starkes Stück
Worum geht es eigentlich? Die Wiener Festwochen und die Münchner
Kammerspiele haben eine Koproduktion beschlossen und Ulrich Seidl und sein
Ensemble mit einem „Projekt“ zu „Kurze Interviews mit fiesen Männern“ …
David Foster Wallace beauftragt. Texte: Foster Wallace und Ensemble. Das
ist wirklich ein starkes Stück. Nicht etwa, weil Literatur dem Theater
heute noch irgendetwas vorzuschreiben hat oder Textbearbeitungen illegitim
wären.
Jeder Satz vom Selbstgebrannten stinkt nur hoffnungslos ab gegen die
Textbausteine, die der Abend dem Buch entnimmt. Foster Wallace (1962–2008)
hat in „Kurze Interviews mit fiesen Männern“ einer schlechten Wirklichkeit
unerhörte Sätze abgehört, ja abgerungen. Er rechtfertigt nichts, er
verurteilt nicht, die Distanzierung durch die Form bewahrt ihre
Dringlichkeit. Sein Buch ist eine höchst komplexe Komposition von ungeheuer
beschreibungsintensiven Prosasplittern.
Seidl interessiert nicht die Form, nur die schlechte Wirklichkeit, die er
mit Lokalkolorit und Altmännermief aufputzt. Die aus der repressiven Kultur
hervorgebrachten Formen von Männlichkeit fangen streng an zu menscheln. Das
Unzivilisierte, nicht mehr Akzeptierte ist nun das wahre Innere des Mannes,
das er in einer angeblich von femininer Hegemonie befallenen Öffentlichkeit
nicht mehr äußern darf. Bei Seidl darf er endlich den Problembären
rauslassen. Der falsche Priester erschleicht die Beichte und spendet
fragwürdige Absolution.
7 Jun 2012
## AUTOREN
Uwe Mattheiss
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