| # taz.de -- Neues Album von Frau Kraushaar: Aus aller Welt | |
| > Die Hamburger Musikerin Frau Kraushaar setzt auf ihrem neuen Album „The | |
| > Power of Appropriation“ zu einer vergnügten Reise an. Sie geht durch acht | |
| > verschiedene Sprachen. | |
| Bild: Ranschmeißerisch sieht anders aus: Frau Kraushaar. | |
| Sich etwas anzueignen ist ein Prozess, der durchaus etwas Gewalttätiges in | |
| sich trägt. Nämlich die Enteignung eines anderen. Bestenfalls wird etwas | |
| transformiert und geht von einem Zustand über in einen anderen, ist nicht | |
| mehr das eine, sondern das andere. Und so ist es im Fall von Frau | |
| Kraushaar. Sie hat sich mehr oder weniger verschollener Lieder | |
| verschiedener Länder und Kulturen angenommen und komplett neu eingespielt. | |
| Eben angeeignet statt nachgeahmt. | |
| Frau Kraushaar ist der Kraftaufwand einer Aneignung bewusst, und so hat sie | |
| ihr neues Album auch „The Power of Appropriation“ genannt. Darauf befinden | |
| sich 14 Songs, laute und leise, schnelle und langsame, poppige, | |
| folkloristische, chansonartige. Gesungen in acht verschiedenen Sprachen: | |
| Spanisch, Französisch, Russisch, Hebräisch, Italienisch, Deutsch und | |
| Griechisch. | |
| Der Kracher, um es gleich vorwegzunehmen, ist der einzige Song, der aus dem | |
| Nahen Osten kommt: „Shomer Ha Chomot“ – im Original von der israelischen | |
| Militärband Jerusalem, von Kraushaar in eine Version verwandelt, die der | |
| Sommerhit 2012 wird, erzählt er auf Hebräisch von der Liebe eines | |
| israelischen Soldaten. | |
| Auch „Mon Amour Mon Ami“ lässt sich wunderbar bei offenem Fenster und mit | |
| wummerndem Bass hören, während das sanfte „Lied der Helene“ aus dem | |
| französischen Film „Die Dinge de Lebens“ mit „Ewig schön für mich ist … | |
| du lächelnd vergisst / C’est ma vie“ herrlich melancholisch klingt. | |
| ## Großes stimmliches Repertoire | |
| Die Melancholie wird aber schnell und leicht durch Frau Kraushaars Humor | |
| und großes stimmliches Repertoire aufgelöst, wenn sie Hildegard Knefs | |
| „Irritierte Auster“ singt, die geeist verspeist wird – von einem | |
| Fernsehproduzenten ohne Abitur. | |
| All diese Songs sind eher unbekannt und von Frau Kraushaar in langen Jahren | |
| des Auf-Flohmärkten-Umherstreifens entdeckt und dann in Bibliotheken | |
| recherchiert worden. Bei ihrem Konzert in Berlin nennt sie allein „Istanbul | |
| Konstantinople“ einen „Gassenhauer“, wobei auch der Song „Perfidia“ e… | |
| schon sehr erfolgreich von Phyllis Dillon interpretiert wurde. Frau | |
| Kraushaars zweites Album ist überraschend, denn sie gibt hier sehr viel | |
| weniger als noch auf ihrem Debüt „Le Salon is very morbidä“ die | |
| eigenwillige Nervensäge mit dadaistischen Texten und schrägen Tönen. | |
| Nur eine einzige Eigenkomposition hat sie diesmal eingeschmuggelt: | |
| „Volver“. Allerdings ist der Titel so sehr durch den Almodóvar-Film | |
| gleichen Namens geprägt, dass man unwillkürlich Penélope Cruz auf dem | |
| Friedhof singend vor Augen hat. | |
| ## Geschichten von Liebe und Schmerz | |
| Auch der Song „Tabou“, bei dem man ein verlottertes Mädchen in einer | |
| Hamburger Hafenkneipe sich betrinkend vor sich sieht und den ursprünglich | |
| Cora Frost geschrieben hat, erinnert vom Titel her an den | |
| Dreißiger-Jahre-Film „Tabu“ von F. W. Murnau aus Bora-Bora. Womöglich sind | |
| diese Überschneidungen kein Zufall, denn was Frau Kraushaar an diesen | |
| Volksliedern interessiert, sind die Geschichten, die sie erzählen – | |
| Geschichten von Liebe und Schmerz, Tod und Trennung, Heimat und Ferne. | |
| Sie selbst hat ihre Heimat in Hamburg gefunden, wo sie Multimediakunst | |
| studiert hat und zusammen mit anderen Lokalgrößen wie den Jungs von Studio | |
| Braun oder den Frauen von Chicks on Speed fester Bestandteil der | |
| Szenekultureinrichtungen wie Golden Pudel Club, Kampnagel oder auch des | |
| Hamburger Schauspielhauses ist. | |
| ## Durchaus informiert | |
| Musikalisch hat sich Frau Kraushaar mit diesem Musik-aus-aller-Welt-Album | |
| ebenfalls erweitert. Sie klingt diesmal weniger elektronisch als 2009, mehr | |
| akustisch, nach Geige, Tabla, Klarinette und Piano. Der Gesamteindruck ist | |
| aber keinesfalls altbacken, sondern durchaus informiert und mit ordentlich | |
| Wumm. | |
| Denn Frau Kraushaar, alias Silvia Berger, ist auch weiterhin eine präsente, | |
| selbstbewusste Rampensau und alles andere als gefällig. Schließlich wäre es | |
| für sie ein Leichtes, sich und ihre Musik über ihr fabelhaftes Aussehen und | |
| mit sexy Videos zu verkaufen. | |
| Beim Konzert läuft stattdessen im Hintergrund ihre eigene | |
| zusammengeschnipselte Multimediakunst, während sie davor allein und etwas | |
| überdreht mit ihrem Laptop und einem Textständer steht. Und ihr Albumcover | |
| ziert – neben dem Namen des Produzenten Herr Kratzer und ganz im | |
| Aneignungsdiskurs – ein Bild von ihr als Frida Kahlo verkleidet, mit | |
| durchgehenden Augenbrauen. Ranschmeißerisch sieht anders aus. | |
| ## Frau Kraushaar & Herr Kratzer: „The Power of Appropriation“ (Materie | |
| Records/Rough Trade); live 14. Juni Würzburg, 15. Juni Nürnberg, 28. Juni | |
| Hamburg. | |
| 11 Jun 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Julia Niemann | |
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