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# taz.de -- Die Wahrheit: Tomatengirl und Bodendeckerman
> Ein gutgekleideter, silberhaariger Herr steht im Baumarkt vor den
> Bodendeckern. Er telefoniert. „Die Blätter sind so blau, weißt du? Ist
> das richtig?“
Ein gutgekleideter, silberhaariger Herr steht im Baumarkt vor den
Bodendeckern. Er telefoniert. „Die Blätter sind so blau, weißt du? Ist das
richtig?“ Ich spähe zwischen einer Prachtrose, 19,95 Euro, und einem
Rittersporn hindurch. Der Rittersporn ist deutlich billiger, aber der wird
jedes Jahr von den Schnecken gefressen und gibt nach spätestens zwei Jahren
auf. Also ist er eigentlich teurer. Trotzdem nehme ich wieder den
Rittersporn, weil Frauen gefühlte Ökonomie bevorzugen. Deswegen hat mich
auch noch niemand in den Vorstand eines DAX-Unternehmens berufen. Wo finde
ich eigentlich die Tomaten?
„Doch, wirklich. So bläulich. Das sind doch die richtigen?“ Angst lässt d…
Stimme des Mannes vibrieren, der womöglich im Vorstand eines wichtigen
DAX-Unternehmens arbeitet. Am anderen Ende der Leitung: die Frau. Wenn es
so wichtig ist, wie die Bodendecker aussehen, warum ist sie nicht
mitgekommen? Sitzt sie beim Friseur? Bei der Kosmetik? In ihrem Garten, wo
die Bodendecker fehlen?
„Wir brauchen bestimmt acht, oder, Schatz?“ Jetzt weiß ich, dass die Frau
zu Hause in ihrer Männerdemütigungskabine sitzt, die ich mir wie ein
Baggerführerhäuschen vorstelle. Da zieht sie an Hebeln und drückt Knöpfe!
Dies ist Akt 1: Der Mann muss sie um Rat fragen, so dass jeder es hören
kann. Wäre sie dabei, würde er das nicht tun. Er würde zu den Bohrmaschinen
flüchten, während sie die Pflanzen aussucht. Akt 2 hören wir nicht, der ist
im Telefon gefangen. Er wird lauten: Wenn du dich einmal, nur einmal für
mich interessieren würdest, dann wüsstest du, welche Bodendecker ich will.
Die Tomatenpflanzen kosten 1,49, wohingegen Tomaten teuer sind. Das denke
ich jedes Jahr beim Kauf von Tomatenpflanzen und vergesse, dass ich nur
drei Früchte pro Pflanze ernte. Weil sie verregnen, weil die Triebe
abbrechen, weil sie austrocknen, wenn ich in Urlaub bin, weil sie so
richtig erst im November tragen, wenn die Tomaten nicht mehr rot werden,
jedenfalls nicht in Norddeutschland.
Akt 3: Ein unglücklich wirkender, eleganter Mann schiebt einen
Einkaufswagen mit 30 Bodendeckern zur Kasse. Und die Frau zu Hause reibt
sich schon die Hände, weil er wieder alles falsch gemacht hat: Nicht die
blaublättrige Sorte, zu mickrige Pflanzen, zu teuer oder zu billig, der
ganze Einkauf ein Affront gegen sie. Vielleicht wirft sie, Akt 4, am Ende
des Tages mit Bodendeckern, obwohl das ja aus der Mode gekommen ist. Oder
sie lässt ihn alle einpflanzen, ist zwei Wochen lang unglücklich, lässt ihn
alle wieder herausreißen und den Vorgarten mit Kies planieren (Akt 5). Ich
habe in der Einfamilienhaussiedlung schon viel Elend gesehen.
„Kommt zu mir, meine kleinen Tomaten, und lasst uns Spaß haben wie jedes
Jahr“, flüstere ich. Denn Gartenarbeit ist ohnehin der Inbegriff der
Vergeblichkeit, wie jeder weiß, der schon mal versucht hat, zum Beispiel
Giersch wieder loszuwerden. Bodendeckerman, unser heutiger Superheld des
Alltags, weiß das aber nicht. Er glaubt noch, dass er gewinnen kann,
während seine Frau sich längst die Nägel spitz feilen lässt wie
Bambusblätter.
13 Jun 2012
## AUTOREN
Susanne Fischer
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