Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Langer Tag der Stadtnatur in Berlin: Rebstöcke in der Wohnsiedlung
> Um seinem Beruf nachgehen zu können, suchte ein moldawischer Winzer
> Anbauflächen in Berlin. Seit zehn Jahren betreibt er sein Weingut in
> Britz.
Bild: Sogar Wein wächst in Berlin: Am Sonntag kann man auf Weinbergstour gehen.
Abgelegen im Süden Neuköllns ist ein kontrastreiches Stadtbild zu
entdecken. Kleingartensiedlungen und weite Felder liegen neben modernen
Einfamilienhäusern. Und mittendrin steht unweit des Britzer Schlosses ein
dezentes Schild: Britzer Weingut. Die Reben sind von weitem deutlich zu
erkennen. Sie schlängeln sich in Reih gepflanzt um die zwischen Holzpfählen
gespannten Drähte. Dort werden sie bis zur Weinlese im Oktober weiter
reifen.
Viktor Sucksdorf steht auf dem 500 Quadratmeter großen Areal und bindet die
rankenartigen Gewächse hoch. Der 41-Jährige mit Oberlippenschnauzer ist ein
Mann, der zupackt. Als er 1997 aus Moldawien nach Berlin kam, wollte er
seinem gelernten Beruf als Winzer nachgehen. Auf der Suche nach einem
geeigneten Stück Land stieß er auf die Brachfläche im Neuköllner Ortsteil
Britz. Sucksdorf ist begeistert von der Tradition: „Die Idee ist vor 700
Jahren entstanden, als hier bereits für den Gutshof Britz Wein angebaut
wurde.“ Den genauen Standort des alten Weinbergs hat er sich im Archiv des
Bezirksamts angeschaut.
2000 beantragte Sucksdorf die Nutzung der Brachfläche beim Bezirk, zwei
Jahre später konnte er die ersten Reben einpflanzen. Die Pacht wird seitdem
vom Bezirksamt gezahlt. Heute wachsen auf dem größten Weingarten Berlins
rund 1.000 Weinstöcke mit 28 Rebsorten. Sie stammen aus Franken, dem
Rheingau und Moldawien. Zeit für einen Test: Welche Rebsorte haben wir
hier? „Das ist die Isabella“, sagt Sucksdorf wie aus der Pistole
geschossen. Ein Lächeln kann er sich nicht verkneifen.
Drei Jahre dauert es, bis eine Rebe Früchte trägt. Der erste Jahrgang wurde
2005 in Flaschen gefüllt. Ein kommerzieller Handel wird mit den rund 700
Flaschen pro Jahr nicht betrieben. Telefonisch oder auf Veranstaltungen
können Weintrinker gegen eine Spende von sieben Euro eine Flasche erwerben.
Eine Expansion ist nicht geplant, obwohl es weltweit Liebhaber gibt. Eine
Frau aus Finnland komme vier Mal im Jahr her, erzählt der Winzer. Statt auf
Gewinne setzt er auf das Prinzip der Lokalität. „Der Wein ist für den
Bezirk. Wir wollen lokal bleiben und verstehen uns auch als Lehrweingut,
das Tradition weitergibt“, sagt Sucksdorf. Mit der Gastronomie des
Schlosses Britz besteht eine Kooperation. Und auch Bezirksbürgermeister
Heinz Buschowski (SPD) trinkt gerne ein Gläschen der Britzer Ernte.
Mitgetragen wird das Weingut durch den 2008 gegründeten „Verein zur
Förderung des Britzer Weinguts“. Dort betreibt der Verein Bildungsarbeit
und erklärt Interessierten, wie das mit dem Anbau und der Verarbeitung
funktioniert. „Der Bezirk und die Schulen sind froh. Schulklassen können
auch Ausflüge für den Biologieunterricht machen“, sagt Sucksdorf. Fünf
Arbeiter unterstützen ihn im Rahmen der Bürgerarbeit bei der
Bewirtschaftung. Zu den Partnern gehört die Stiftung Naturschutz Berlin und
die gemeinnützige trias gGmbH, die Sucksdorfs Gehalt zahlt. Vom Weinverkauf
allein könnte das Gut, das die Jahrhunderte alte Weinbautradition in Berlin
und Neukölln wiederbeleben soll, nicht bestehen.
Ein guter Jahrgang hängt vor allem vom Frühling ab. Entweder er verschafft
den kleinen Pflänzchen mit viel Sonne den Durchbruch – oder er richtet
durch Frost Schaden an. 2011 gab es den Totalausfall. Alle Pflanzen sind
erfroren. „Das war enttäuschend, aber wenn die Reben von oben abfrieren,
können sie von unten wiederkommen“, sagt Sucksdorf. Nun sprießen wieder
grüne Blätter. Auch die kleinen grünen Perlen, die später mal dicke Trauben
werden, sind bereits zu erkennen. Sucksdorf hofft auf ein ähnliches Jahr
wie 2007 und 2009. „Auch da waren die Wetterverhältnisse gut. Es gab keine
Frosteinbrüche im Frühjahr.“ Und das merkt man dem Wein an: Der Rotling
schmeckt süffig und überhaupt nicht sauer.
Davon können sich Besucher am Wochenende überzeugen. Unter dem Motto „Wie
kommt der Wein ins Glas?“ beteiligt sich das Britzer Weingut am Langen Tag
der Stadtnatur. Dann ist Viktor Sucksdorf in seinem Element und erklärt die
Schritte des Weinbaus von der Traube bis zur Abfüllung.
16 Jun 2012
## AUTOREN
Vincent Streichhahn
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.