# taz.de -- Mode-Ausstellung in Berlin: Aufgeklärte Stoffe | |
> Feinste Stöffchen im Deutschen Historischen Museum: Die Ausstellung | |
> „Fashioning fashion“ dokumentiert die Entstehungsgeschichte der Mode. | |
Bild: Europa aufgeklärt um 1790: Seide und Baumwolle in Atlas- und Leinwandbin… | |
Man höre und staune: Die Aufklärung ist zu Gast in Berlin. Eine der | |
Ausstellungen, die zurzeit die gloriosen Errungenschaften dieser | |
umwälzenden Epoche darstellt, ist fast komplett aus dem Los Angeles County | |
Museum of Art aus- und für drei Monate ins Deutsche Historische Museum | |
(DHM) nach Berlin gezogen. Auch die Dauerausstellung des DHM widmet sich in | |
diesem Sommer ganz der Mode. | |
Außergewöhnlich an dieser umfangreichen Schau aus L. A. dürfte vor allem | |
die Zusammenstellung der über einhundert kostbaren Stücke sein, die das | |
gesamte Repertoire vom 18. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg | |
präsentieren. Auch fremdländische Einflüsse werden dargestellt, etwa anhand | |
eines Hofkleids der portugiesischen Königin Maria II. von 1845 oder eines | |
französischen Turbans mit Federstaffage. | |
Die Ausstellungsstücke zeigen dementsprechend eindringlich die | |
Revolutionierung des Körperbilds. Da die Schau um 1700 ansetzt, erzählt sie | |
auch die Kapitel der großen Zeit des europäischen Adels, in der das | |
Schmuckhafte der Mode kultiviert wurde. Sie konnte sich dem Überbordenden | |
hingeben – dieser materielle Überfluss erschuf die Schönheit der Künste und | |
der Mode, auf denen der heutige Ästhetikbegriff gründet. | |
Diesem Überfluss an Stoffen, Farben und Formen, kunstvollen Details und | |
verspielter Pracht kann man sich kaum entziehen. Die Raumgestaltung durch | |
den belgischen Szenografen Bob Verhelst unterstreicht die Konzentration auf | |
die Kleidungsstücke, die somit nicht aus L. A. eingeflogen scheinen, | |
sondern aus einem Universum, das keinerlei Beschränkungen kennt. Im Bann | |
dieser Umgebung verdeutlicht sich der Kontrast zum Bekleidungszeitgeist von | |
heute, der nur noch das Praktische kennt. | |
## Selbstbewusste Schnürungen | |
So wie diese Zeit die Gesellschaft neu formte, so formten neuartige | |
Techniken wie aufwendige Schnürungen, Nähte und Bindungen den Körper | |
selbstbewusst. Das alltägliche Korsett etwa unterstrich den neuen, stolzen | |
Gang eines sich entwickelnden Bürgertums. Insbesondere der dramatisch | |
stilisierte Aufputz der Ausstellungsstücke in Form von Posamenten, | |
Seidenstickereien oder ornamentalen Musterungen zeigt auf, wie die | |
gesellschaftliche Revolutionierung des 18. Jahrhunderts das Menschenbild | |
veränderte und die Geschlechter erfand. | |
Die objektivierte Arbeitskraft Mensch verwandelte sich zu einem | |
freigeistigen Abbild eines flanierenden Freizeitsubjekts, das spielerisch | |
mit den eigenen Formen und denen der floralen Natur experimentierte, und so | |
seine Träume zum Ausdruck brachte. | |
Die Kraft der Illusion war die Energie der Aufklärung. Der Körper diente | |
nicht mehr nur der Plackerei, sondern der selbstbestimmten Inszenierung. | |
Durch die Industrialisierung und den Zerfall der Stände war in der zweiten | |
Hälfte des 19. Jahrhunderts diese Ars Vivendi auch nicht mehr nur den | |
oberen Klassen vorbehalten. Und simple Erfindungen wie etwa die Nähmaschine | |
veränderten nicht nur die Textilherstellung, sondern auch das äußere | |
Erscheinungsbild der zivilisierten Gesellschaft. | |
Interessanterweise begegnet man in „Fashioning fashion“ aber auch und | |
gerade dem modischen Kontrast zwischen den Fraktionen der Aufklärung. | |
Während sich die großartigen französischen Roben (vor und nach 1789) mit | |
aufgepolsterter Hüfte und beschwingtem Dekolleté auf die malerische | |
Bildhaftigkeit der florentinischen Renaissance des Hochadels aus dem späten | |
Mittelalter beziehen, verweisen die schlichteren Kleider aus dem England | |
des 19. Jahrhunderts bereits auf den reaktionären Trend zur | |
Renaturalisierung des Körpers. | |
Dieser ästhetische Bruch mit dem Fortschritt setzte sich bekanntlich im | |
deutschen Lebensreformismus, dem körperfeindlichen Suffragettentum und – | |
theoretisch – dem „Unbehagen an der Kultur“ (Freud) fort. Das Ideal der | |
kunstvollen Künstlichkeit, wie es die frühen französischen Drapagen, | |
Korsetts und Puffärmel vermitteln, wurde verdrängt von einer | |
praktisch-sportlichen Bekleidung aus England, reduziert und androgyn. | |
Grobere Baumwolle und schlichtes Wolltuch ersetzten Seide und Satin. Über | |
der Aufklärung zogen die dunklen Wolken der Dialektik und der Antimoderne | |
auf. | |
Wohl nicht zufällig endet die Ausstellung um 1915. Der Erste Weltkrieg war | |
der erste große Bruch mit dem Fortschritt – und damit deutete sich das Ende | |
der Mode als Frucht der Aufklärung an. | |
Das Manko von „Fashioning Fashion“ dürfte ihr Eurozentrismus sein. Zwar gab | |
es die Aufklärung nur in Europa, aber der modische und stoffliche Reichtum | |
entwickelte sich zeitgleich auch in Indien, in Asien und im Vorderen | |
Orient. Und im Gegensatz zur modischen Belanglosigkeit des heutigen Europa | |
orientieren sich nicht nur die neuen Mittel- und Oberschichten in diesen | |
Regionen gerade an der glanzvollen Veredelung des damaligen Europa. Jetzt | |
fehlt nur noch eine Globalisierung der Aufklärung. Aber wenn sie es schon | |
bis Berlin geschafft hat … | |
## Noch bis zum 29. Juli, DHM Berlin, Katalog, Prestel, 39,90 Euro | |
18 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Marcel Malachowski | |
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