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# taz.de -- Muslime in Deutschland: Nihal Aksoy kämpft
> Sie war zweimal deutsche Meisterin im Taekwondo. Sie entwickelt Software.
> Und sie trägt ein Kopftuch: Nihal Aksoy ist eine selbstbewusste Frau –
> und Muslimin.
Bild: Nihal Aksoy: „Ich wollte das Kopftuch schon früher tragen, aber mir fe…
Sie sagt, sie weiß nicht, warum sie andere irritiert. Eine junge Frau, die
als Softwareentwicklerin arbeitet und zweimal deutsche Taekwondo-Meisterin
war, die freiwillig ein Kopftuch trägt. Sie verwirrt den Großteil der
Menschen, die ihr begegnen. Deutschtürkin, Softwareentwicklerin, Kampfsport
und Kopftuch – wie soll das zusammenpassen?
„Eigentlich bin ich doch nichts Besonderes“, sagt Nihal Aksoy und zieht die
Schultern hoch. „Ich war Leistungssportlerin und habe mich halt irgendwann
für ein Kopftuch entschieden.“
Nihal Aksoy ist eine sehr selbstbewusste Frau, eine Muslimin, die sich
nicht für ihr Kopftuch rechtfertigen mag. Die genug davon hat, ständig mit
islamkritischen Fragen konfrontiert zu werden – und sie antwortet auch
schon mal, dass sie wirklich genervt ist von den immer gleichen Klischees.
Eine 32-Jährige, die sich über jene wundert, die sich über sie wundern.
Doch natürlich stellen sich die Fragen: Muss das denn sein? Sollte ein
Sportplatz nicht frei sein von religiösen Symbolen? Ihre Antwort: „Nee.“
Kann sie das Kopftuch beim Trainieren nicht abnehmen? Ist es nicht
unpraktisch und störend beim Sport? „Ich habe mich so sehr daran gewöhnt,
dass ich mir auch das Trainieren nicht ohne Tuch vorstellen kann.“ Außerdem
gebe es Kopftücher extra für Sportlerinnen, mit Klettverschluss und aus
atmungsaktivem Material.
## Leicht bekleidet im Wasser
Das Kopftuch ist ein verlässliches Aufregerthema in Deutschland. Für nicht
wenige ein Zeichen der angeblichen Rückständigkeit des Islam, ist dieses
Stück Stoff für die Trägerinnen ein Symbol ihres Glaubens. Nihal Aksoy
sieht es als Teil ihrer Selbstbestimmung und ihrer Identität, die sie in
der Sporthalle nicht ablegen mag.
Die Diskussion über das Kopftuch ist dort aber natürlich schon lange
angekommen. Im vergangenen Juni durfte die iranische
Fußballfrauenmannschaft beim Olympia-Qualifikationsspiel in Jordanien nicht
antreten. Die Sportlerinnen wurden wegen ihrer Kopftücher von der Fifa
ausgeschlossen. Begründung: Das Tragen eines Kopftuches erhöhe das
Verletzungsrisiko, zudem solle der Sport religiös neutral bleiben. Erst
seit März 2012 dürfen Fußballspielerinnen Kopftuch tragen – auf Druck der
UNO.
In Deutschland würden Mädchen aus religiösen Gründen an der Ausübung von
Sport gehindert, kritisiert Christa Stolle, Geschäftsführerin der
Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes. So dürften muslimische Eltern
nach Gerichtsurteilen ihre Töchter von gemeinsam mit Jungen stattfindendem
Schulsport fernhalten, wenn er zu einem Konflikt mit Koranvorschriften
führe. Auch lange Kleidung und Kopftuch beim Sport tragen zu müssen sei
hinderlich. „Die Trägerin wird in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt und
somit bei der Ausübung von sportlichen Tätigkeiten einer erhöhten
Verletzungsgefahr ausgesetzt.“
„Musliminnen sind die verlorenen Töchter des Sports“, schrieb im
vergangenen Jahr der Spiegel. Viele Eltern würden ihren Töchtern Sport
verbieten – zu groß sei die Angst, ein fremder Mann könnte sich den Mädchen
annähern. Besonders heikel ist der Schwimmsport. Viele strenggläubige
Muslime möchten ihre Tochter oder ihre Ehefrau nicht leicht bekleidet im
Wasser sehen.
Deswegen hat die Türkin Emine Aydemir 2007 in Köln das Fitnessstudio
„Hayat“ („Leben“) in Köln eröffnet. Es ist ein Ort nur für Frauen,
besonders für Musliminnen. Emine Aydemir trägt selbst ein Kopftuch und
kennt daher die Probleme gläubiger Frauen. Wer in einem herkömmlichen
Studio auf dem Stepper oder beim Yoga sein Kopftuch aufbehält, wird schon
mal schief angesehen. Bei „Hayat“ interessiert sich dagegen niemand dafür.
Die männlichen Familienmitglieder soll beruhigen, dass von außen niemand in
das Studio hineinsehen kann. Männer müssen klingeln, um eingelassen zu
werden. Und für besonders Fromme gibt es eine Gebetsecke.
## Es ändert ich etwas
Aber auch beim Massensport ändert sich etwas. „Wir möchten muslimische
Mädchen und Frauen verstärkt für den Sport im Verein gewinnen, mit oder
ohne Kopftuch“, sagt Michael Schirp, Sprecher des Deutschen Olympischen
Sportbundes. In der Praxis entscheide jeder Mitgliedsverband selbst, ob
dies auch gefahrlos umsetzbar sei. Fußballerinnen, Leichtathletinnen oder
Taekwondo-Kämpferinnen kommen mit den „Capsters“, eng anliegenden
Kopfbedeckungen für Sport und Freizeit, gut zurecht. Schwierig wird es im
Basketball, wo permanent in Kopfhöhe nach dem Ball gegriffen oder
geschlagen wird, weshalb Kopfbedeckungen und Schmuck dabei grundsätzlich
verboten sind.
Taekwondo-Kämpferin Nihal Aksoy war neun Jahre alt, als sie ihren Sport für
sich entdeckte. „Ich bin mit den Jungs in der Nachbarschaft aufgewachsen“,
sagt sie. Die Spielkameraden fingen mit dem Taekwondo an, kurze Zeit später
wollte sie auch. Weil es keine Mädchenmannschaft gab, trommelte sie ihre
Freundinnen zusammen, dann konnte es losgehen. Fortan trainierte sie fast
jeden Tag, auch in den Sommerferien in der Türkei.
Ihren Eltern sei das anfangs fremd gewesen. Ein Mädchen, das Kampfsport
macht? Die Befremdung habe aber weniger mit dem muslimischen Glauben zu tun
gehabt als mit dem Geschlechterverständnis ihrer Eltern. Ihr Vater,
Fabrikarbeiter, ist 1971 aus der Türkei nach Deutschland eingewandert und
holte später seine Ehefrau nach. Sie blieb immer Hausfrau, den Kindern lag
das Technische – Nihal Aksoys Bruder ist Fachinformatiker. Die gebürtige
Bochumerin sieht sich selbst als „türkische Staatsbürgerin und als
Deutsche“.
## Sie trainiert Kinder
Mit 14 Jahren schaffte sie den Schwarzen Gürtel, 1996 nahm sie erstmals an
der deutschen Meisterschaft teil und gewann diese zwei Jahre
hintereinander. Ihre Eltern saßen im Publikum, „ganz hinten, damit sie
keine Angst um mich bekommen“. Damals trug Nihal Aksoy noch kein Kopftuch,
nach dem Abitur begann sie eine Ausbildung als Arzthelferin, „da hat es
dann auch nicht gepasst“. Sie verhüllte ihre Haare erst nach der
Pilgerfahrt nach Mekka, da war sie schon 20 Jahre alt. „Eigentlich wollte
ich das Tuch schon vorher tragen, aber mir fehlte der Mumm.“
Beliebteste Fragen seitdem: „Trägst du auch beim Sport Kopftuch?“ und:
„Trägst du es freiwillig?“ Sie bejaht immer und immer wieder. Und natürli…
bemerkt sie die skeptischen Blicke der Menschen, weil diese ihr nicht
glauben wollen oder sie verstehen möchten. Heute trainiert sie Kinder in
Taekwondo. Diese seien sehr entspannt, wenn es um ihr Kopftuch gehe. Nur
die Eltern schauten immer etwas irritiert, wenn sie die verhüllte Trainerin
zum ersten Mal sehen.
Erfahrungen, die Abide Dogan sehr gut kennt. Die 24-Jährige hat sich mit
zwölf Jahren für das Kopftuch entschieden, mit 16 fing sie in einem Verein
an, Fußball zu spielen. Ihre türkischen Eltern hätten nie ein Problem mit
der Leidenschaft ihrer Tochter gehabt, ihre Religion und das Kopftuch seien
kein Hindernis gewesen: „Warum auch?“ Beim trainieren hat sie lange Hosen
an, ihren Hals bedeckt und ihr Kopftuch auf. Unbequem? „Alles eine Sache
der Gewohnheit“, sagt sie und lacht verlegen.
Die Berlinerin, die Betriebswirtschaftslehre studiert, kennt die
neugierigen und die hämischen Blicke, wenn sie ein Spielfeld betritt. Mit
Worten sei sie aber beim Sport noch nie diskriminiert worden. Als gläubige
Muslimin hält sie auch die Fastenzeit ein und muss dann manchmal auf ihr
Training verzichten. Gebete werden auch verschoben, wenn diese in die
Spielzeit fallen. Abide Dogan weiß, dass sie irritiert. Und auch sie
versteht es eigentlich nicht. Sie sei eine Frau, die ihr Haar verhüllt, zu
Allah betet und Fußball spielt. Mehr nicht.
19 Jun 2012
## AUTOREN
Cigdem Akyol
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