# taz.de -- Kulturfestival "Lüften": Gruppenbild mit Biest | |
> Ein Jahrmarkt für Popkunstflaneure: Der Mousonturm in Frankfurt/Main lud | |
> zum Festival "Lüften". Auffallend viele Cowboys trieben sich dort rum. | |
Bild: Einladung in den Weltraum von Shane Munro auf dem Festival „Lüften“. | |
Die Hippies sind zurück. Heute tragen sie Tattoos zur extradunklen | |
Sonnenbrille und Cowboyboots zum bunten Hemd, sie schrauben konzentriert an | |
hausgemachten Synthesizern. Sie hauchen Silben ins Mikro, die sich eher | |
widerwillig zu Worten vereinen, um sich schließlich zum alten Versprechen | |
der Liebesexklusivität zu fügen: „All the sun that shines, shines for you.�… | |
Tageslicht suppt herein und brandet in der Jahrhunderthalle in Frankfurt | |
gegen die knietiefen, träumerisch-verschleppten Dub-Beats des Musikerpaars | |
Peaking Lights alias Indra Dunis und Aaron Coyes. Ungewohnt sei es, am | |
hellichten Tag zu spielen, sagt Indra Dunis. „It feels very alive and | |
awake.“ | |
Unter der Decke hängen fünf heliumgefüllte Fische, sie wippen mit und | |
vibrieren im Beat. Ihre Spur führt nach draußen zum Löschteich, über dem | |
gleich eine ganze Wolke von Fischen des bildenden Künstlers Paul Donda | |
schwebt. Die ungewohnte Tageszeit und das ungewohnte Ineinander von | |
bildender Kunst und elektronischer Musik ist einem dreitägigen | |
Überforderungsprogramm geschuldet, das seinesgleichen sucht. Es heißt | |
„Lüften“-Festival, veranstaltet vom Frankfurter Künstlerhaus Mousonturm. | |
## Knall zum Neustart | |
23 Jahre lang leitete Dieter Buroch das Haus, in dem in den 1990er Jahren | |
Forced Entertainment groß wurden und 2003 Rimini Protokoll seine Arbeit | |
aufnahm. In den letzten Jahren wirkte das Haus eher verschlafen. Zum | |
Jahresbeginn 2012 übernahm Niels Ewerbeck die Intendanz, der zuvor das | |
Forum Freies Theater Düsseldorf (FFT) und dann die Gessnerallee in Zürich | |
geleitet hat. Seine erste Amtshandlung war, das Haus für Umbaumaßnahmen | |
acht Monate lang zu schließen. | |
Der lokale Radiosender Multifon gab über 13 Wochen charmant bis chaotisch | |
erste Einblicke in die künftige Arbeit, nun folgte „Lüften“ auf dem Gelä… | |
der Frankfurter Jahrhunderthalle: ein zwischen Industriegebiet Höchst und | |
Niemandsland liegender Veranstaltungsort im unbesorgten Design der 1960er | |
Jahre. Wie ein weißes Ufo wölbt sich die Kuppel der Halle in den | |
Sommerhimmel, vor ihr liegen ein Löschteich und Parkplätze, so weit das | |
Auge reicht. Im wirtschaftswundererstarkenden Nachkriegsdeutschland wurde | |
sie zur Versammlung der Hundert-, ja Tausendschaften konstruiert, heute | |
kommt sie auf der inneren Landkarte der Stadt kaum vor. | |
Es sei dieses Versprechen nach Versammlung gewesen, so Mousonturm-Dramaturg | |
Marcus Droß, das sie zu „Lüften“ inspirierte. Das Festival möchte die | |
Gartenzäune zwischen den Kunstgattungen niederreißen und damit die | |
disziplinübergreifende Ästhetik fortführen, die andere deutsche Theater wie | |
das Berliner HAU oder Hamburger Kampnagel prägt. Nach dem Modell von | |
Musikfestivals schafft „Lüften“ einen gemeinsamen Raum, bei dem nur einmal | |
Eintritt gezahlt wird, dann ist das ganze Programm frei zugänglich. Als | |
Kuratoren hat Ewerbeck langjährige Begleiter des Mousonturms gewonnen: | |
Markus Gardian für die Musik und Annette Gloser für bildende Kunst. | |
## Gewimmel aus Kunst, Kommerz, Pop und Tanz | |
Herausgekommen ist ein Gewimmel aus Kunst, Kommerz, Pop und Tanz, das das | |
vereinsamte Gelände lautstark wachküsste. Die delikate Hauptkritik ist, | |
klar, dass es hier zu viel des Guten gibt: 60 Bands spielen auf drei | |
Bühnen, darunter Popgrößen wie Jan Delay, The Notwist, The Shins, James | |
Blake und Maximio Park, aber auch auf den Diskurs bedachtes wie The Whitest | |
Boy Alive und Ja, Panik. Über 70 bildende Künstler besiedeln das Gelände, | |
eine kleinere Anzahl Theatermacher bespielt es – darunter die Tanzkompanie | |
Alias, das Duo Zimmermann & De Perrot und das Kollektiv Ligna. | |
Doch wenn der Ärger einmal verpufft ist, dass man in jeder Minute | |
wahrscheinlich auch etwas verpasst, dann lässt es sich herrlich flanieren | |
über das liebevoll ausstaffierte Gelände der Jahrhunderthalle, in dem die | |
Kunst zwischen Konferenzräumen, japanischem Garten, Konzerthalle, Parkplatz | |
und grüner Wiese rasch ein Eigenleben bekommt. Auf dem Parkplatz vor der | |
Halle breitet sich Deutschlands erste „Art Cargo Bay“ aus, eine denkbar | |
launische Ausstellung, die vierzig Autos und andere Fahrzeuge in Kunstwerke | |
transformiert, in eine Sauna, Miniaturgalerie oder einen Speakers Corner. | |
Im Grenzgebiet aus bildender Kunst, Performance und Popkultur kommt es zu | |
einer höchstdenkbaren Ballung unterschiedlicher Diskurse über die | |
Gegenwart. Viele Arbeiten leben davon, dass sie sich lustvoll auf | |
Gattungsgrenzen setzen, und die raumzeitliche Verdichtung des Festivals | |
wirkt wie ein Katalysator, der Austauschprozesse anheizt und Erzählungen | |
quer lesbar macht. | |
## Wilder Westen mit Weltbezwingungsfantasien | |
Vom Mythos Männlichkeit, beispielsweise erzählt Shane Munros Raketenritt | |
„Skin Pickens“, bei dem der Festivalbesucher eingeladen ist, sich vor | |
laufender Kamera als Cowboy zu verkleiden und eine Rakete zu besteigen. Der | |
so entstandene Film läuft im Flur auf einem flimmrigen Fernseher, kann aber | |
auch mit nach Hause genommen werden. | |
Eine Tür weiter lädt eine Strecke aus Vinylplatten zum Autorennen ein, | |
selbstgeschraubte, ferngesteuerte Autos mit Breitgummireifen werden von | |
schrottigen Cockpits aus gelenkt. Per Kamera wird dabei das Streckenbild | |
aus dem Fahrzeug übertragen, während die Reifen übers Vinyl scratchen. Er | |
habe, sagt der australische Künstler Lucas Abela über seine „Vinyl Ralley�… | |
eine neue Möglichkeit finden wollen, Platten abzuspielen. Und dabei hat er | |
einen raumgewordenen Jungstraum erfunden aus Vinyl, Gokart-Bahn und | |
Computerspiel. | |
Dass der Wilde Westen mit seinen Weltbezwingungsfantasien im | |
Hochkapitalismus näher liegt, als man denkt, zeigt auch Andros Zins-Brownes | |
Performance „The Host“, in der zu später Stunde drei Cowboys mit einer | |
Armada riesiger Luftkissen ringen. Fröhlich werden die Potenzmärchen | |
aufgerollt, sie wissen um ihre Endlichkeit. Ihre Heldenfiguren sind immer | |
schon gebrochen und ihre Bruchkanten schillern vieldeutig und medial | |
verstärkt in die Nacht. Sicherheit ist in der Pampa zwischen den Künsten | |
nicht zu haben. | |
## Gelungene Verirrung | |
„Es geht uns um die Vervielfältigung von Zugängen“, hatte Marcus Droß vor | |
dem Festival erklärt. „Wir wünschen uns, dass der Betrachter möglichst | |
schnell an etwas hängen bleibt, wegen dem er nicht gekommen ist. Wir | |
wünschen uns die lustvolle Verirrung.“ | |
Und tatsächlich geht das Wagnis auf: Zunächst zögerlich, dann mit | |
wachsender Lust und Neugierde vermischten sich die Publikumsgruppen. | |
Grauhaarige Menschen auf dem Weg zu den Dexys finden sich bei Peaking | |
Lights wieder, Konzertbesucher im Tanzstück von Cie. Alias, und erstaunte | |
Groupies sehen sich auf dem Festivalgelände mit den plüschigen Monstren der | |
Schweizer Theatergruppe Far A Day Cage konfrontiert – und zücken rasch die | |
Kamera fürs Gruppenbild mit Biest. | |
Dieser Jahrmarkt für Popkunstflaneure lädt ein zum Schlendern und Entdecken | |
von lokalen Künstlern und internationalen Stars. Manchmal ist es einfach | |
ein Glück, wenn das Theater an die Luft gesetzt wird. | |
24 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Esther Boldt | |
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