# taz.de -- Kolumne Männer: Fever Pitch | |
> Bis zum Halbfinale waren sie Helden, danach nichts als Totalversager. | |
> Warum verdammen Kerle so leichtfertig ihre gleichgeschlechtlichen Idole? | |
Nach der Katastrophe, die Deutschland erschüttert hat, sehe ich noch etwas | |
fern, putze mir die Zähne und gehe ins Bett. Vielleicht stimmt ja etwas | |
nicht mit mir. Wie können mich der Schmerz und die Wut so vieler Menschen | |
kaltlassen? | |
Natürlich rede ich vom Albtraum, dass die deutsche | |
Fußballnationalmannschaft nicht Europameister geworden ist. Dabei hatte die | |
Bild nach dem Sieg gegen Griechenland auf Seite 1 versprochen: „Uns stoppt | |
keiner mehr!“ Die Bild denkt sich so was doch sicher nicht aus. | |
Das Blatt ist tief getroffen: „BILD rechnet ab!“, schrieb und schrie es | |
vergangene Woche. „Gomez hat nur die Haare schön! Lahm labert wie ein | |
Politiker! Schweini wird nie Chef! (…) Oder redet so ein Anführer? ’Es hat | |
nicht sollen sein. Aber es ist, wie es ist‘, sprach Schweini nach dem Aus | |
mit leiser Stimme.“ | |
Ein paar Zeilen weiter urteilt das Blatt: „Vorwerfen lassen muss er sich | |
falschen Ehrgeiz.“ Genau! Schweinsteiger hätte halt gewinnen sollen, | |
verdammt noch mal. Und wenn man schon nicht gewinnt, dann darf man das | |
hinterher doch nicht zugeben. Schweinsteiger war viel zu kleinmütig. Und zu | |
ehrgeizig. | |
Womöglich zeigt sich im Verhalten der Bild in diesem Fall mehr als die | |
übliche professionelle Charakterlosigkeit. Was, wenn die Texte auch ein | |
Beispiel wären für ein weit verbreitetes Verhalten? Für die Neigung, Männer | |
zu Idolen hochzujubeln und sie ebenso schnell zu verdammen, wenn sie die in | |
sie gesetzten, irrationalen Hoffnungen enttäuschen? | |
Als Kind wurde ich in der Grundschule gefragt: Wer ist dein großes Vorbild? | |
Ein Mitschüler antwortete mit „Karl-Heinz Rummenigge“. Er wurde | |
Versicherungskaufmann im Außendienst. Ein anderer nannte Bryan Adams, und | |
ich will gar nicht wissen, was aus dem Bengel geworden ist. Ich sagte: | |
„Darf ich mal austreten?“ Mir war kein Idol eingefallen. So ist es | |
geblieben. Deshalb verstehe ich auch die Frage der Bild nicht: „Kann man | |
noch an Jogi glauben?“ Es sei denn, der Jogi ist eine Art Kollege des Yeti. | |
Hinter dem Umstand, dass Männer andere Männer binnen 94 Minuten vom Helden- | |
auf Ramschstatus abwerten, vermute ich eine Menge Bedürftigkeit: Irgendwer | |
muss die eigenen Größenfantasien ausleben. Jemand soll die drohende | |
Einsicht bannen, dass man ein Durchschnittsmann ist: „Wir“ haben gewonnen. | |
Vielleicht fällt es so schwer, das zu akzeptieren, weil Männer nicht | |
gelernt haben, sich als Durchschnittskerl zu akzeptieren. | |
Wer kennt schon ein männliches Vorbild, dem man im eigenen Alltag | |
nacheifern könnte und wollte? Ich stelle mir nur ungern Bushido als Vater | |
vor. Dumm nur, dass er tatsächlich Vater wird. Man will größer wirken, als | |
man sich selbst insgeheim wahrnimmt. Normal zu sein ist zu wenig. Fällt die | |
Größenprojektion in sich zusammen, muss die aufkochende Selbstverachtung | |
umgelenkt werden: „Die“ haben verloren. | |
Vorhin habe ich nicht die ganze Wahrheit gesagt. Ein Idol hatte ich, | |
zumindest so eine Art: Ich wollte Weltherrscher werden. Schließlich bin ich | |
nicht bescheuert. Ich überfordere doch nicht andere Männer mit | |
unerfüllbaren Erwartungen. | |
3 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Matthias Lohre | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |