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# taz.de -- Schriften zu Zeitschriften: Ordnung ohne Herrschaft
> Die literarisch-essayistische Kulturzeitschrift „Wespennest“ versucht
> eine Zeitdiagnose, fragt nach der Zukunft der Arbeit und bringt die gute
> alte Anarchie in Stellung.
Bild: Da meldet sie sich wieder: Die gute alte Anarchie.
Es ist natürlich ein Zufall, dass sich das Wort „Anarchie“ so hübsch auf
„Utopie“ reimt. Doch die beiden gehören untrennbar zusammen. Denn wie bitte
schön, so lautet der allfällige Einwand, soll ein System geordnet
funktionieren, das kein ordentliches Oben und kein Unten kennt?
Die jüngste Nummer des Wespennests mit dem Schwerpunkt „Anarchistische
Welten“ setzt dagegen. Es klappte ja manchmal schon mit der Anarchie, sagen
die Texte, es könnte gehen und es wird gehen müssen. Das Heft stellt die
Frage nach der Aktualität einer alten Idee.
Wenn derzeit die Bedeutung von Arbeit sich verändert, wenn das Netz zum
Paradigma öffentlichen Handelns wird, wenn flache Hierarchien das Gebot der
Stunde sind und überhaupt das kapitalistische System schwächelt, dann ist
die Zeit jetzt vielleicht reif.
## Affen klüger als Hobbes
Ilija Trojanow hat den Schwerpunkt zusammengestellt mit Texten, die auf
alle erdenklichen Gebiete ausgreifen. Es geht um Anarchie in Geschichte und
Vorgeschichte: Osvaldo Bayer erzählt vom Anarchosyndikalismus in
Argentinien, und Douglas Post Park gräbt egalitär strukturierte
Gesellschaften des alten Timbuktu aus. Es geht um Anthropologie und
Biologie: Frans de Waal erläutert, warum die Affen klüger sind als Thomas
Hobbes.
Es geht um Ökologie und Technik: Vandana Shiva geißelt die industrielle
Lebensmittelproduktion und Nils Boeing liefert ein beherztes Plädoyer für
eine „offene Technosphäre“. Die neuen Anarchisten dürfen keine
verschnarchten Primitiven mehr sein, sie sollen sich technisches Wissen
aneignen und Technik selber produzieren.
Ans Eingemachte geht der Text des Wiener Wirtschaftshistorikers Gerhard
Senft. Er benennt klar und ohne Wimpernzucken, mit welchen Mitteln sich
gesellschaftlicher Anarchismus verwirklichen ließe, nämlich mit autonomer
Geldschöpfung, Vergesellschaftung von Grund und Boden und der Abschaffung
des Patentrechts.
Senfts Vorschlag zur Geldpolitik liest sich vor dem Hintergrund der
europäischen Finanzkrise wie eine wilde Empfehlung an die
Euro-Technokraten. Demnach wäre die Drachme noch eine viel zu große
Währungseinheit. Auch der Occupy-Star Daniel Graeber ist mit einem Text
vertreten und Thesen, die gut rutschen. „Die Welt braucht weniger Arbeit“,
verkündet Graeber in seiner Kritik am unnützen und schädlichen
Produktivitätsdogma kapitalistischer Gesellschaften.
## Mehr Lohn oder weniger Arbeit
Tatsächlich ist der Umgang mit Arbeit eine der wesentlichen Stellschrauben
für eine mögliche anarchistische Welt. Der Dissens zwischen sozialistischen
und anarchistischen Gewerkschaften, daran erinnert Graeber, lag immer
darin, dass die Sozialisten mehr Lohn forderten, die Anarchisten dagegen
wollten geringere Arbeitszeiten. Geht da was?
Das alte System der Arbeitswelt mit ihrer Lohnsklaverei verliere sowieso an
Bedeutung, meint Gerhard Senft, und er deutet an, dass sich der Anarchismus
vielleicht sogar notwendigerweise von selbst durchsetzen wird.
Ist die Zeit reif? Man könnte es meinen. Die Ideen, die das Wespennest
versammelt, sind politisch inspirierend, sie stacheln auf. Einzig störend
an der Auswahl ist, dass es in ihr keinen Widerspruch gibt, keine
Opposition. Man hätte sich wenigstens einen Text gewünscht, der kritisch
mit der Anarchie verfährt. Dass es den nicht gibt, ist gruselig. Denn
mitunter kommt auch die Anarchie als Systemzwang daher – ganz ohne Oben und
Unten.
„Anarchistische Welten“, Wespennest Nr. 162, Mai 2012, 112 Seiten, 12 Euro
4 Jul 2012
## AUTOREN
Andrea Roedig
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