Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Hartnäckige Gewerkschaftssekretärin: "Ich bin ein Kind der 68er"
> Die Göttingerin Katharina Wesenick fordert den Edeka-Konzern heraus, weil
> der viele Angestellte schlecht behandelt. Ihren ersten Betriebsrat
> gründete sie in der Grundschule.
Bild: Nennt Aufhören "keine Option": Katharina Wesenick.
taz: Frau Wesenick, brauchen Sie es, gebraucht zu werden?
Katharina Wesenick: Ich werde gerne gebraucht, um danach nicht mehr
gebraucht zu werden.
Sie scheinen es sich zur Lebensaufgabe gemacht zu haben, anderen Menschen
zu helfen.
Ich will aber keine Almosen verteilen, sondern die Leute befähigen, ihre
eigenen Ressourcen zu nutzen, um aufrecht durch die Welt gehen zu können.
Sie finden, es gehen zu viele Menschen gebückt?
Seit ich denken kann, habe ich den Eindruck, dass viel zu viele Leute
gebückt gehen müssen. Je älter ich werde und je schlimmer die Bedingungen
in der Gesellschaft werden, desto mehr gehen gebückt durchs Leben. Ich bin
in einer Zeit aufgewachsen, in der es mal anders war. Damals gab es den
Traum, dass wir alle aufrecht gehen können. Ich bin ein typisches Kind der
68er.
Haben Sie mit Ihren Eltern demonstriert?
Ich erinnere mich, dass ich als ganz kleines Kind „Pershing zwo, ab ins
Klo“ gegen den Nato-Doppelbeschluss gebrüllt habe. Damals noch ohne zu
wissen, worum es eigentlich geht.
Und wann waren Sie das erste Mal aus eigenem Antrieb politisch aktiv?
Das war in der Grundschule, ich war acht Jahre alt. Wir hatten eine sehr
dünkelhafte Grundschullehrerin vom alten Eisen, die die Heimkinder in der
Klasse gedemütigt hat. Da habe ich auf dem Spielplatz den Anti-Müller-Club
gegründet. Wir haben alle Ausweise bekommen, da stand drauf, dass wir alle
aufstehen, wenn Frau Müller wieder Heimkinder gemein behandelt.
Ihr erster Betriebsrat.
Leider hat das nicht funktioniert. Es ist niemand aufgestanden, die Kinder
haben es ihren kleinbürgerlichen Eltern gepetzt und dann wochenlang nicht
mehr mit mir geredet, weil so viel Aktivismus den Eltern wohl unheimlich
war. Ich hatte damals gedacht, dass ich das für die Leute regeln kann. Das
war ein Fehler.
Acht Jahre alt – und schon eine politische Enttäuschung.
Es war gar nicht unbedingt eine Enttäuschung, weil ich das für mich
ausgewertet habe. Meine Eltern haben mir geraten, mich direkt an die Leute
zu wenden, die es betrifft. Danach kannst du immer noch Unterstützung
organisieren. Das war für mich eine Lehre des Lebens.
Vor ein paar Jahren sind Sie auf einer Demo gegen Studiengebühren auf die
Bühne gestürmt und haben eine sehr leidenschaftliche Rede für die Rechte
von Asylsuchenden gehalten. Nur wollte Ihnen niemand so richtig zuhören.
Das war tatsächlich eine bittere Erfahrung. Aber ich habe auch daraus
gelernt. Ich bin mittlerweile der festen Überzeugung, dass fast alle
Menschen sensibel für Unrecht sind. Es ist eine Frage des Momentes, der
Ansprache und der langfristigen Strategie, ob man die Menschen erreichen
kann.
Mittlerweile interessieren sich viele Menschen für das, was Sie zu sagen
haben. Sie helfen jetzt beruflich den Angestellten im Einzelhandel.
Heimkinder, Asylsuchende, Angestellte …
Es geht darum, dass Menschen offensichtlich leiden. Und es geht darum, dass
Menschen etwas daran verändern wollen. Auch wenn man das manchmal nur an
einem Glitzern in ihren Augen erkennt. Wenn diese beiden Kriterien
zusammenkommen, dann fühle ich mich berufen.
Sie sind jetzt seit zweieinhalb Jahren Gewerkschaftssekretärin in
Göttingen. Ziemlich schnell haben Sie es geschafft, den Edeka-Konzern mit
seiner Tochterfirma Netto in Erklärungsnot und Bedrängnis zu bringen. Viele
Angestellte wehren sich inzwischen gegen ihre Arbeitsbedingungen. Wie haben
Sie das eigentlich angestellt?
Ich habe mich konzentriert.
Worauf?
Ich habe mich auf wenige Projekte konzentriert. Das alltägliche Leid bei
den Discountern ist immer und überall. In Südniedersachsen habe ich in zwei
Fällen meine Kriterien gefunden – das Leid und den Mut, etwas zu verändern.
Viele Netto-Beschäftigte sind weinend zu mir in die Rechtsberatung
gekommen, manche hatten schon Psychiatrieerfahrung. Edeka will Aldi und
Lidl vom Markt verdrängen, und das geht nur durch systematisches
Unterlaufen der Tarifverträge und der Arbeitsschutzgesetze. Hinter
vorgehaltener Hand sagen die mir das auch.
Sie schießen sich ganz schön auf Edeka ein.
Edeka privatisiert seit ein paar Jahren in großem Ausmaß seine großen
Märkte. Über 200.000 Menschen arbeiten dort ohne Tarifverträge und ohne
Betriebsräte in rechtsfreien Zonen. Durch die Konzentration auf diese zwei
Projekte können wir zeigen, dass es möglich ist, sich zur Wehr zu setzen.
Ich will zeigen, dass es geht. Die Beschäftigten müssen sich von den
Konzernen nicht alles gefallen lassen! In Bad Gandersheim hat das
funktioniert: Dort bekommen die Beschäftigten wieder Tariflöhne.
Anfangs haben sich dort aber viele Beschäftigte hinter die Chefs und gegen
Ver.di gestellt.
Es gibt in jedem Unternehmen Menschen, die jeden Tag die Wahl haben
zwischen dem Weg der Gemeinschaft und dem Weg der Spaltung. Viele
versprechen sich Vorteile, wenn sie sich auf die Seite der Chefs stellen.
Das ist wie bei Harry Potter: Hältst du zu Lord Voldemort oder hältst du zu
Harry? Meine Aufgabe ist es, die Leute zu unterstützen, die sich auf die
Seite von Harry Potter stellen.
Die kontinuierliche Arbeit zahlt sich aus: Angestellte werden
selbstbewusster, teilweise verbessern sich die Arbeitsbedingungen.
Das sind die Momente, von denen ich lebe und von denen ich zehre. Weil wir
diese Erfahrungen bundesweit streuen und bundesweit weiter kämpfen werden.
Retten Sie auch in Ihrer Freizeit Menschen?
Nein, ich achte sehr darauf, dass ich in meiner Freizeit keine
Führungsverantwortung habe. Ich singe im Chor, mache Yoga und ich jogge.
Und ich habe einen engen Freundinnenkreis. Meine Seele und mein Körper
sagen mir sofort, wenn das als Ausgleich nicht reicht.
Eigentlich hätten Sie ja auch vorher wissen können, wie anstrengend die
Arbeit bei Ver.di ist. Wann haben Sie sich dafür entschieden,
hauptberufliche Gewerkschafterin zu werden?
Da habe ich eigentlich selbst nie drüber nachgedacht, sondern bin von der
Gewerkschaft angesprochen worden. Ich habe früher gewerkschaftliche
Jugendbildungsarbeit in Berufsschulen gemacht. Das habe ich wohl ganz gut
hinbekommen, denn gegen Ende meines Studiums kamen Leute auf mich zu und
haben mir gesagt, sie möchten, dass ich für Ver.di arbeite. Und ich habe
ganz selbstverständlich zugesagt.
Sie hätten ja auch in die freie Wirtschaft gehen können.
Das war für mich von vorneherein ausgeschlossen. Ich habe vor meinem
Studium zwei Jahre als Chefsekretärin gearbeitet. Gereizt hat mich damals,
dass ich viel Gestaltungsmacht hatte. Aber ich habe auch gesehen, auf
wessen Kosten. Das war für mich keine Option und ich habe dann erst mal
studiert. Die beste Entscheidung meines Lebens!
Warum?
Ich ziehe meine Motivation aus meinem Unrechtsbewusstsein, aber das alleine
reicht nicht. Ich brauche klare Analysen, wie diese Gesellschaft aufgebaut
ist. Viele Zusammenhänge habe ich vorher bestenfalls geahnt, aber nicht
durchdrungen. Diese Kombination aus Leidenschaft für den aufrechten Gang
und sozialwissenschaftlicher Analyse hat es mir erst ermöglicht, diesen Job
auszuüben.
Wenn Sie doch in der freien Wirtschaft arbeiten müssten: Chefin oder
Angestellte?
Dann würde ich mich dafür entscheiden, in einem Unternehmen zu arbeiten, in
dem die Menschen Chefinnen und Angestellte gleichzeitig sind. In dem die
Menschen über den Reichtum, den sie produzieren, selbst entscheiden.
Bei Netto gibt es aber Chefs, die in Göttingen gerade drei Filialen
geschlossen haben. Ein Zusammenhang mit den Arbeitskämpfen scheint nicht
ausgeschlossen. Was machen Sie eigentlich, wenn Ihre Kampagne nach hinten
los geht und alle arbeitslos werden?
Das ist für mich keine Option.
Aber wenn’s passiert?
Dann werden wir gemeinsam mit den Paten aus der Politik dafür sorgen, dass
diese Menschen woanders unterkommen. Schließlich haben sie eine
Vorbildfunktion, weil sie in einem unterdrückerischen System gezeigt haben,
dass man nicht rechtlos ist. Das man ein Recht hat auf die Einhaltung von
Arbeitsschutz und Tarifverträgen.
Können Sie sich vorstellen, den Job irgendwann an den Nagel zu hängen? Mal
etwas zu machen, ohne dabei gegen Ungerechtigkeit zu Felde zu ziehen?
Auch das ist keine Option.
9 Jul 2012
## AUTOREN
Benjamin Laufer
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.