# taz.de -- DIE WAHRHEIT: Schweißnass im Cockpit | |
> Billig-Airlines auf neuen Wegen der Kostenminimierung. | |
Bild: Nicht nur vom Preiskampf, auch von traditionellen Blitzen werden Flughä… | |
Eigenes Personal ist zu teuer, stellt übertriebene Lohnforderungen, lässt | |
sich schwer kündigen und besteht im schlimmsten Fall auf betrieblicher | |
Altersvorsorge. Das muss doch nicht sein, dachte sich die Lufthansa und | |
setzt seit Jahresbeginn Leiharbeiter an Bord ein. Die Klage des | |
Betriebsrats gegen diese Praxis ist kürzlich vom Hessischen | |
Landesarbeitsgericht abgeschmettert worden. Wesentlich weiter ist da längst | |
der Flugdiscounter Rumple Air. Dort hat man das Konzept Leiharbeit | |
konsequent umgesetzt: minimale Lohnkosten bei maximaler Professionalität. | |
Ein Besuch auf dem Flughafen Lützel/Central. | |
„Die gesamte Besatzung stammt von uns! Pilot, Copilot, Kabinencrew – alles | |
unsere Jungs und Mädels! Selbst der Mechaniker, der Werner. Der ist aber | |
heute schon früher weg – er musste mit dem Hund raus“, sagt Oskar Ritter | |
mit Stolz in der Stimme. Der gelernte Obsthändler aus Aschaffenburg hat | |
seine Zeitarbeitsfirma mit dem Werbespruch „Vergesst eure Crew – We fly for | |
you!“ ganz auf den Luftverkehr spezialisiert. | |
Der Chef höchstpersönlich schaut auch heute kurz vor dem Start nach dem | |
Rechten an Bord des Airbus A320 mit Ziel Thessaloniki. Die Erfahrung habe | |
gezeigt, dass ein paar letzte Tipps vor dem Abflug die Moral höben, so | |
Ritter, der mit seinen wuchtigen zwei Metern vier fast bis an die | |
Unterseite der Maschine heranreicht. Ein Flugzeug zu fliegen sei | |
schließlich eine „extrem komplizierte Angelegenheit“. | |
Außerdem wolle er es vermeiden, dass sich sein Personal während des Fluges | |
absetze, wie es neulich bei einem Langstreckenflug eines anderen | |
Billigfliegers geschehen sei. „Mit der pakistanischen Botschaft stehe ich | |
immer noch in Verhandlung. Dass die Jutta einfach den Fallschirm nimmt, nur | |
weil sie die Durchsage fürs Duty Free vermasselt hat.“ Ritter schüttelt | |
noch heute den Kopf darüber. | |
Im Cockpit sitzt ein untersetzter Mann vor den blinkenden Armaturen. | |
Schweiß steht auf seiner Stirn, die er immer wieder hektisch mit einem | |
Taschentuch abtupft. Seine Augen blicken hilfesuchend zu Ritter auf. „Und | |
vergiss diesmal nicht die Räder vor der Landung auszufahren, Jürgen!“, | |
mahnt Ritter und klopft dem Copiloten Jürgen Winter aufmunternd auf die | |
Schulter. „Der Jürgen ist erst seit drei Wochen bei uns. Fliegt aber, als | |
hätte er nie was anderes gemacht!“ Jürgen Winter zuckt unsicher mit den | |
Schultern. „Wenn nur die Flugangst nicht wäre“, murmelt er und erntet einen | |
strengen Blick seines Chefs. | |
„Nicht dass Sie jetzt einen falschen Eindruck bekommen“, schaltet sich | |
Ritter sofort ein, „Wir beschäftigen ausschließlich Fachpersonal. Der | |
Jürgen hat vorher in Sachen Brandschutz gearbeitet. Das ist natürlich eine | |
Schlüsselqualifikation in der Luftfahrtbranche. Wenn’s hier brennt, dann | |
können Sie froh sein, jemanden wie Jürgen an Bord zu haben!“ | |
Derweil scheint es Probleme beim Boarding der Fluggäste zu geben. Eine | |
lange Schlange von Passagieren staut sich auf dem Flughafenvorfeld. Die | |
Stimmung ist angespannt. „Der Ochse“, analysiert Ritter die Situation in | |
Sekunden. Tatsächlich versperrt die massige Gestalt von Oskar „Ochse“ | |
Eichstädt die Flugzeugtür. „Na weil mir deine Fresse nicht passt!“, brül… | |
Eichstädt eine erschrockene Frau an, die den kühnen Plan hatte, das | |
Flugzeug zu betreten. | |
„Der hat 20 Jahre auf der Reeperbahn die Tür gemacht, das kriegen sie so | |
leicht nicht raus“, entschuldigt Ritter seinen Mitarbeiter. Nach einem | |
kurzen Dialog mit Eichstädt zeigt sich dieser kompromissbereit. Er lässt | |
die Passagiere an Bord, aber nicht ohne jedem einen Stempel auf den | |
Handrücken zu drücken – mit der schwarzen Silhouette einer nackten Frau als | |
Motiv. „Falls irgendwer nachher wieder raus- und reinwill“, erklärt | |
Eichstädt fachkundig. | |
Die Abflugzeit hat sich mittlerweile erheblich verzögert. Ritter muss nach | |
dem Flugkapitän suchen, der sich „irgendwo auf dem Flughafen rumtreibt“. | |
Endlich hat er den Mann gefunden. Im bunten Freizeitdress spaziert Frieder | |
Hertel in Seelenruhe in den Flieger und will sich irgendwo hinfläzen. | |
Ritter interveniert sofort. „Nein, nein, Herr Hertel, ins Cockpit müssen | |
Sie!“ Flüsternd setzt er nach: „Das haben wir doch alles besprochen!“ | |
Ritter schiebt Hertel mit Nachdruck durch den Gang ins Cockpit. „Jürgen, | |
dass hier ist Herr Hertel. Ein ganz erfahrener … ähm … Vielflieger“, hö… | |
man ihn erklären. Das Flugzeug ist startklar, und Ritter empfiehlt | |
dringend, mit ihm die Maschine zu verlassen. „Der Rest wäre reine Routine. | |
Totlangweilig. Hätte man außerdem schon tausendmal gesehen.“ Schließlich | |
hebt die Maschine doch noch von Lützel/Central ab. Ihre zitternden Flügel | |
scheinen uns zum Abschied zuzuwinken. | |
10 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Nico Rau | |
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