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# taz.de -- Im Gespräch: Drei der fünf scheidenden Leiter des Bremer Theaters…
> Nachdem Intendant Hans-Joachim Frey mit seichtem Glamour das Bremer
> Theater faktisch in die Insolvenz geritten hatte, übernahmen die
> Dramaturgen und der technische Direktor als gleichberechtigtes Team die
> Leitung des Vierspartenhauses. Warum das Modell künstlerisch erfolgreich
> und wirtschaftlich extrem sparsam war, erklären die drei scheidenden
> Fünftel-Intendanten. Und auch, warum es wohl keine Nachahmer finden wird
Bild: Bremer Leitungskollektiv: Hans-Georg Wegner, Patricia Stöckemann, Marcel…
taz: Wer hat verhindert, dass Ihre Team-Intendanz länger als zwei Jahre
dauert?
Hans-Georg Wegner: Niemand.
Patricia Stöckemann: Den Gedanken einer Verlängerung gab’s gar nicht: Wir
hatten die klare Ansage, dass man uns nur für diesen Übergangszeitraum
haben will, am liebsten sogar nur für ein Jahr. Aber das war uns zu kurz,
weil man in einem Jahr gar nichts bewirken kann.
Also hatte die Politik Angst vor dem Modell?
Wegner: Wir ja auch!
Stöckemann: Ach, wir hätten das schon ausprobiert. Die Vorgabe kam
zustande, weil sich die Entscheidungsträger gefürchtet haben. Die konnten
sich nicht vorstellen, dass so ein Fünfermodell funktioniert.
Wegner: Ja, das war extrem umstritten am Anfang. Aber letztlich war es
Carmen Emigholz …
… die Kulturstaatsrätin …
Wegner: Die hat uns das Vertrauen geschenkt, dass wir das hinkriegen. Sie
hat uns sehr unterstützt.
Marcel Klett: Es gab auch nicht viele Vorgängermodelle, wo eine kollektive
Theaterleitung funktioniert hätte.
Muss dafür ein Intendant das Haus vorher ruinieren?
Klett: Nein, ich glaube es geht auch so: Wir hatten allerdings einen
kleinen Startvorteil – aber nicht, weil es vorher so schlimm war, sondern,
weil wir die Strukturen des Hauses kannten: Wir konnten sofort loslegen …
… mit Dauerkonferenzen?
Wegner: Im ersten Jahr war das irre viel, sodass wir dachten: Wir sitzen
nur noch rum. Aber das hat sich ausgezahlt.
Stöckemann: Dieser gegenseitige Austausch war sehr positiv: Wir arbeiten ja
alle an der Basis, wir betreuen die Produktionen, haben Einblicke in die
Abteilungen und direkten Kontakt zu den KollegInnen dort.
Wegner: Man hat einfach mehr Antennen im Haus: Wenn ein Problem auftritt –
einen von fünf erwischst du immer. Da musst du nicht durch ein Vorzimmer zu
einem überarbeiteten Menschen vordringen.
Klett: Die Entscheidungsfindung hat jedenfalls nicht länger dadurch
gedauert, dass fünf Leute sich verständigen mussten.
Also ist ein Team-Modell auch effizient?
Wegner: Die wirtschaftliche Seite spricht dafür.
Klett: Es ist vielleicht die effizienteste Art überhaupt, ein
Mehrspartenhaus zu leiten.
Wegner: Miteinander zu reden, das Wissen der Abteilungen zu nutzen, auf die
Werkstätten zu hören – das spart richtig Geld. Vergangenes Jahr lagen wir
zirka 250.000 Euro über Plan, auch dieses Jahr sieht’s gut aus.
Infolge des Modells?
Klett: Es gab eine gegenseitige Kontrolle: Die Ideen, die jeder hatte, sind
immer von vier Kollegen reflektiert worden.
Wegner: Wenn die Oper gekommen wäre und hätte zehn Prozent des Etats für
ein riskantes Open-Air beansprucht, dann hätten die KollegInnen …
Klett: … die hätten gelacht, den Kopf geschüttelt und gestöhnt: Nicht schon
wieder!
Wegner: Wir hatten nicht die Reserven, solche Dinger zu stemmen. Das war
auch nicht die Aufgabe. Wir haben geplant nach der Maßgabe, was mit dem
Hauspersonal geht, ohne Extrakosten.
Also kein Intendanten-Ego, keine teuren Events?
Stöckemann: Da muss man erst klären, was ein Event ist: Wir sind ja auch
mit dem Deutschen Requiem in den Dom gegangen.
Wegner: Das war aber eine programmatische Entscheidung. Wir wollten die
Stadt einbeziehen in die künstlerische Arbeit, auch bei „AltArmArbeitslos“,
oder bei „Herzrasen“: Unser Ziel war, ganz ehrliches Stadttheater zu
machen.
Ohne die alten Sparten-Eifersüchteleien?
Stöckemann: Ja. Es gab da mehr ein Denken fürs ganze Haus.
Worüber haben Sie denn in den zwei Jahren gestritten?
Klett: Untereinander? Höchstens wurde über Spieltermine diskutiert. Da war
nichts, was nicht in 20 Minuten beigelegt gewesen wäre.
Nicht mal Männer-Frauen-Kämpfe?
Stöckemann: Doch, klar, Rebecca Hohmann …
… also die Leiterin der Jugendsparte …
Stöckemann: … und ich gegen den Rest.
Klett: Das waren ja noch dazu die Vertreterinnen der kleinen unterdrückten
Sparten!
Stöckemann: Typisch!
Echt jetzt?
Stöckemann: Nein.
Wegner: Ich find’s toll, wenn Frauen dabei sind.
Klett: Seh ich auch so. Reine Männerteams können unangenehm sein. Was es
gab, war natürlich: Wir alle gegen die Oper.
Wegner: Auch nicht.
Klett: Nein, das Team hat nur funktioniert, weil alle Sparten
gleichberechtigt waren. Wir haben es geschafft, dass keiner das Gefühl
hatte: Oh Gott, wir werden untergebuttert! Organisatorisch sind bessere
Arbeitsbedingungen, als wir sie dieses Jahr hatten, an diesem Haus nicht
herzustellen.
Also wird das Modell jetzt bundesweit kopiert?
Klett: Kaum.
Wieso?
Klett: Vor allem sind diejenigen, die das letztlich zu entscheiden haben,
noch nicht so weit – also die Politiker. Bis die sagen: Wir glauben an so
etwas wie ein Team – das wird noch dauern.
Weil FinanzpolitikerInnen gerne jemanden haben, der im Zweifel zu köpfen
ist?
Klett: Hätten sie ja gehabt: Hans-Georg.
Der Arme! Warum?
Klett: Weil er das Pech hatte, die Position des künstlerischen
Geschäftsführers zu erben. Die ist nicht teilbar.
Das Pech?
Klett: Es war kein geplanter Karriereschritt.
Stöckemann: Und es ist nicht von uns, sondern von der Stadt entschieden
worden.
Überraschend ist: Sie waren ja schon beim Scheitern von Intendant Frey für
Ihre Sparten zuständig: Wo gab’s die entscheidende Zäsur?
Wegner: In der Art, wie wir in der Stadt auftreten.
Klett: Es war nicht so, dass wir gesagt hätten: O toll, jetzt können wir
bestimmte Projekte machen. Sondern: Wir konnten sie machen, ohne sie in
Goldfolie einzupacken.
Stöckemann: Es war eine Rückkehr zum Theater.
Klett: Genau. Wir waren wieder ein Theater – das war der große Wechsel. Ich
weiß nicht, was dieses Haus unter Frey war, aber offensichtlich ging es
dabei nie um Kunst. Mit Glück ging’s darum, Eintrittskarten zu verkaufen,
meistens aber nur darum, Anlässe dafür zu schaffen, dass bestimmte Leute
miteinander im Foyer Sekt trinken können.
Damit stellen Sie aber Ihrer damaligen Arbeit auch ein schlechtes Zeugnis
aus.
Klett: Nein. Das stelle ich der Außenwahrnehmung und der Bremer Presse aus:
Ich weiß nicht, wie oft die in der Zeit eine Krise im Schauspiel ausgerufen
hat. Klar sind uns auch da Sachen schief gegangen. Aber viele der Arbeiten
von damals würden wir heute wieder so machen. Sie wurden nur nicht als
Theater wahrgenommen, weil überstrahlt durch Äußerungen eines Intendanten.
Wegner: Man würde ja glauben, was auf der Bühne stattfindet, ist objektiv
da, das kann jedes Publikum mitkriegen. Aber wenn das falsch kommuniziert
wird, wenn die Aura nicht stimmt, fällt es dem Publikum sauschwer, die
künstlerische Potenz der Aufführungen zu bemerken.
Stöckemann: Im Hinblick auf uns war es ja auch so: Dass wir als
Fünferleitung da waren, merken die Leute erst jetzt, wo wir gehen.
Wegner: Naja, wir sind ja nicht vorgekommen. Dass hier etwas auf eine
nicht-autoritäre, nicht-repräsentierende Art entstanden ist, hat das
Publikum, glaube ich, mitbekommen.
Ist die historische Aura – also Hübner-Ära – dabei nicht noch eine
zusätzliche Hypothek?
Klett: So viele Leute erinnern sich nicht mehr aktiv daran. Ab einem
bestimmten Punkt ist die Tradition auch egal.
Egal?!
Klett: Was soll denn der arme Hans-Georg machen? Der geht nach Weimar, an
das Haus, an dem Goethe Theaterdirektor war.
Wegner: Das ist für mich eine ganz, ganz große Belastung.
Aber Sie wechseln da nicht als Intendant hin?
Wegner: Als Operndirektor.
Können Sie sich überhaupt vorstellen, old style eine Intendanz zu
übernehmen?
Stöckemann: Alleine?
Ja, als Chef und König.
Stöckemann: Da habe ich überhaupt kein Interesse dran.
Klett: Kommt drauf an, wo.
Wegner: Königsgleich aber echt nicht mehr. Die Erfahrung, dass im Gespräch
sehr viel bessere Lösungen entstehen, als wenn man sich alleine Dinge
ausdenkt, wird man immer mitnehmen. Wer irgendwo Intendant wird, würde
sagen: Entscheidungen fallen in einem Team von – na: bis zu fünf Leuten.
## „All’ diese Tage“: 12. 7., 19.30 Uhr; „Callas“: 13. 7., 19.30 Uhr;
„Addio!“: 14. 7., 18 Uhr; „Nibelungen“: 20.30 Uhr; Abschiedsparty: 23 U…
alles Theater am Goetheplatz; „Dracula“: 12. + 13. 7., 20.30 Uhr, Open-Air,
Theaterhof
11 Jul 2012
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