# taz.de -- DIE WAHRHEIT: Lärm mal Lärm mal Lärm mal | |
> Acht Jahre lang habe ich mit Zigeunern zusammengelebt, Tür an Tür, | |
> mehrere Sippen im Nachbarhaus, andere Familienverbände im Haus gegenüber. | |
Acht Jahre lang habe ich mit Zigeunern zusammengelebt, Tür an Tür, mehrere | |
Sippen im Nachbarhaus, andere Familienverbände im Haus gegenüber. Tag für | |
Tag, von morgens bis tief in die Nacht: unfassbare Brüllorgien. Frauen, die | |
ihre Gören halb kaputtschlugen. Männer, die Mädchen unter mächtigstem | |
Gegrunze und Gegröle auf der Straße verscherbelten. Dauergekeife, -gehupe, | |
-geflenne, -gemotze, Anpöbeleien, schmierigste Aufdringlichkeiten. Ohne, | |
ich bringe leicht zweihundert Zeugen in drei Minuten bei, eine einzige | |
Pause. | |
Acht Jahre lang – mir ist heute vollkommen schleierhaft, wie ich das | |
überstanden und wie ich unter diesen allerinfernalischsten Lärmbedingungen | |
Bücher und Hörstücke geschrieben habe. Acht Jahre lang – bis das Viertel, | |
bewohnt zu über sechzig Prozent von Griechen, Italienern, Türken, | |
Balkaniern und Balkoniern jedweder Provenienz zur Kollektivrevolte per | |
Unterschriftenliste schritt … | |
Das war Terror. Als ich das mal dem verehrten Harry Rowohlt schrieb, wies | |
er mich zurecht, indem er sein Achtelzigeunertum in die Waagschale warf, | |
und schickte mir Ohrenbohnen. Ich solle mich nicht so haben. | |
Ich bin dann umgezogen, in ein Hinterhofhaus. Prompt begann man im ersten | |
Frühjahr, auf der gegenüberliegenden Straßenseite, ein pompöses Autohaus | |
auf niederträchtigste Art und Weise monatelang detailverliebt zäh | |
niederzumachen. Schwerste Hyrdaulikhämmer zerknüppelten Asphalt, mannsgroße | |
Abbruchzangen an zwanzig Meter hohen Baggern fraßen sich wie Monstersaurier | |
in Stahlbetonträger hinein. Tieflöffel, Greifer und Crusher wüteten | |
parallel in Staubwolken, wie sie noch kein Astronom auf dem Mond gesichtet | |
hat. Zwecks Krönung dieser unvorstellbaren Demütigung des im Zuge des | |
spätkapitalistischen Bau- und Umbauwahnsinns vollends zur Lappalie | |
degradierten Mitmenschen zogen die drecksfaschistischen Baggerfahrer die | |
mit Schrott befüllten Stahlcontainer quietschend und kreischend über die | |
Restasphaltflächen. | |
Danach: Aushub und Tiefbau. Über Wochen hinweg Hineinrammen von | |
T-Stahlträgern in den Untergrund. Mein Haus bebte und zitterte. | |
Währenddessen in der Nachbarschaft linker Hand: Errichtung eines | |
Kinderwohnheims, betrieben von irgendwelchen blöden Katholen. Deren | |
Kreissägen konkurrierten bald mit den jede Schmerzgrenze lässig | |
ignorierenden, in den höchsten Tonlagen singenden Betonpumpen, deren Arbeit | |
von irgendwelchen Schiffshornsignalen flankiert wurde. | |
Um den Surroundsound abzurunden: Abriss der Autobude direkt rechts von mir | |
und hochintensives Hochknüppeln einer Wohnstätte für Exjunkies. Und, der | |
fette Kohl ist viergestaltig: Seit einem halben Jahr versuchen sich | |
irgendwelche Dilettanten, links an meinem Grundstück angrenzend, an der | |
Beseitigung einer Garage. Womöglich handelt es sich aber auch um einen | |
Trainingsplatz für Schlagbohrerbediener. | |
Jetzt warte ich darauf, dass die nächste Start- oder Landebahn des | |
Frankfurter Flughafens in meinem Hinterhof gebaut wird. | |
18 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Roth | |
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