# taz.de -- Analyse von Philosoph Blumenberg: Die Metapher der Quelle | |
> Der Philosoph Hans Blumenberg enthüllt postum unsere beliebtesten | |
> Metaphern. Wie die Quelle, ohne die die Empörung über Plagiatoren und | |
> illegale Nutzer nicht denkbar wäre. | |
Bild: Die Quelle hilft dabei, die Grundangst der Moderne abzuwehren: den schrec… | |
Ein Kampf um die Quellen tobt in der Onlinegesellschaft. Während Piraten, | |
soziale Netzwerke oder die Fans der Open-Source-Idee die Quellen allen | |
kostenlos zur Verfügung stellen wollen, beharren die Verwerter auf dem | |
bestehenden Urheberrecht. Doch niemanden interessiert, was das Wort | |
„Quelle“ in diesem Kontext eigentlich bedeutet. | |
Es ist eine Metapher, hätte der große deutsche Metaphernexperte Hans | |
Blumenberg lapidar erklärt. Gerade ist aus dem Nachlass des 1996 | |
gestorbenen Philosophen ein Fragment über die drei Wassermetaphern | |
„Quellen, Ströme, Eisberge“ erschienen, das er mit einer Analyse der | |
„Quellen“ eröffnet. | |
Darin konzentriert sich Blumenberg vor allem auf Dichter, Denker und | |
Historiker seit dem 18. Jahrhundert, in deren Schriften es von Quellen nur | |
so wimmelt. Und er stellt fest: „Keiner entgeht der Romantik, die im Wort | |
’Quelle‘ liegt.“ Ob Aufklärer oder Kulturpessimisten, Klassiker oder | |
Romantiker, Kant oder Heidegger, Goethe oder Freud – sie alle suchten, | |
beschworen und postulierten eine verschüttete Ursprünglichkeit und | |
Reinheit: die „Quellen“ der Geschichte oder des Lebenssinns, den Ursprung | |
der Erkenntnis, des Ichs und der Kreativität. | |
Sie alle folgten damit dem existenziellen Bedürfnis, so Blumenbergs | |
zentrale These, durch Quellträumereien die Grundangst der Moderne | |
abzuwehren: den schrecklichen Verdacht, die gottlose Welt sei sinnleer, | |
undurchdringlich, chaotisch. | |
Heute wäre ohne diese Quellmanie und Ursprungsideologie der Rechtsanspruch | |
des stolzen Urheber-Individuums wohl ebenso wenig denkbar wie die | |
lautstarke Empörung über Plagiatoren und illegale Nutzer. Aber auch so eine | |
raffinierte Erfindung wie die Quellensteuer gewinnt erst aus der schönen | |
Vorstellung „stetig fließender, nie versiegender Einkommensquellen“ ihre | |
Plausibilität. Und die großen Softwarefirmen sichern ihre Monopolstellung | |
auch damit, dass sie ihre Originalprogramme als „Quellcode“ bezeichnen und | |
geheim halten. | |
## Das Bild des Stromes beruhigt | |
Wie Blumenberg im zweiten Teil zeigt, entwirft auch das Sprachbild des | |
„Stromes“ eine beruhigende Lebenswelt. Sozusagen frei nach dem Motto „Das | |
Leben ist ein langer, ruhiger Fluss“ avancierte der „Strom“ im 20. | |
Jahrhundert zur Lieblingsmetapher für den kontinuierlichen und scheinbar | |
immerwährenden Fluss des Lebens, der Geschichte oder des Bewusstseins. | |
Auch hier demonstriert der Metaphorologe, dass dieses schöne Bild vor allem | |
dazu dient, die Angst vor dem wirklichen Leben auszublenden: vor | |
Katastrophen wie Krankheit, Krieg und Tod. Heute haben Daten- und | |
Informationsströme die beruhigende Illusion ewigen Fließens und Strömens | |
längst übernommen. Leider in einer Zeit, die Blumenberg nicht mehr erlebt | |
hat. | |
Im letzten Teil des Buches, „Eisberge“, präsentiert er dann eine Metapher, | |
die den Verdacht einer schrecklichen Wirklichkeit nicht mehr ausblendet, | |
sondern unumwunden, geradezu genüsslich ausspricht: „die Spitze des | |
Eisbergs“. | |
## Die Spitze des Eisbergs | |
Man kann dabei ruhig an den eiskalten Betrug des Karl Theodor zu Guttenberg | |
denken. Kaum war er aufgedeckt, da posaunten schon alle Medien: „Das ist | |
nur die Spitze des Eisbergs.“ Und heute sieht es so aus, als hätte erst die | |
Allgegenwart dieses Sprachbilds die grenzenlosen Plagiatsverdächtigungen | |
und die stetig wachsende Denunziationsgier entfesselt. | |
Hans Blumenberg hat das schon 1980 behauptet. Denn in den 70er Jahren, der | |
Zeit von RAF, Terrorangst und Sympathisantenhetze, begann man, dieses | |
seltsame Naturgebilde aus einer winzigen sichtbaren Spitze und einem | |
enormen unsichtbaren Rest auch in den Menschen hineinzudeuten. Das Bild | |
schien wie geschaffen für alle wissenschaftlichen Disziplinen, die mit | |
Dunkelziffern arbeiten. Es verwandelt sie in „Instrumente der Entlarvung | |
und der Hinterfragung“, der über jeden Verdacht erhabenen Transparenz: von | |
der Kriminalistik bis zur Psychoanalyse, von der Klimaforschung bis zur | |
Steuerfahndung oder zum Plagiatsverdacht. | |
„Die Metapher zeigt die Theoretiker als Täter“, lautet Blumenbergs Fazit. | |
Manipulativ nutzen sie die suggestive Macht der Sprachbilder, um unser | |
Denken und die Gestaltung der Gesellschaft umzuformen: zu „einer Welt der | |
Hinterhältigkeit“, in der man nichts so nehmen darf, wie es sich zeigt. | |
„Der Eisberg ist das Monument dieses Misstrauens.“ | |
Blumenbergs Projekt zu den drei Wassermetaphern ist ein Fragment geblieben, | |
das sich oft in endlosen Beispielen und schwierigen philosophischen | |
Exkursen verliert. Trotzdem fasziniert seine Analyse. Vor allem der Wechsel | |
von der tröstenden Angstabwehr durch „Quellen“ und „Ströme“ zum infam… | |
Anheizen von Misstrauen durch die „Spitze des Eisbergs“ wirft ein | |
erhellendes Licht auf unsere Gesellschaft. | |
Hans Blumenberg: "Quellen, Ströme, Eisberge". Hg. von Ulrich von Bülow und | |
Dorit Krusche. Suhrkamp Verlag, Berlin 2012, 305 Seiten, 21,95 Euro | |
22 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Elke Dauk | |
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