# taz.de -- Nachruf Robert Kurz: Die Krise ist Teil des Systems | |
> Robert Kurz ist tot. Der marxistische Philosoph und Theoretiker der | |
> Globalisierung sah die Ausweglosigkeit der Waren produzierenden | |
> Gesellschaft. | |
Bild: Den kapitalistischen Selbstwidersprüchen auf der Spur: Robert Kurz. | |
Uns überraschte die Nachricht vom Tod des marxistischen Philosophen Robert | |
Kurz. Überraschend ist sie, weil der 1943 in Nürnberg geborene Redner und | |
Autor aussah wie 43. Und er war quasi ständig präsent – in linken Zeitungen | |
(unter anderem auch in der taz) und auf Veranstaltungen, etwa zu den | |
aktuellen Finanzkrisen. Zudem gab er noch eine Zeitschrift zur „Krise und | |
Kritik der Warengesellschaft“, Exit, heraus. Beim Neuen Deutschland war er | |
Kolumnist. | |
In den Achtzigerjahren initiierte Robert Kurz in Nürnberg die | |
Krisis-Gruppe. Bis er vom Schreiben und Reden leben konnte, arbeitete er an | |
einer Werbebeilagenmaschine in der Druckerei der Nürnberger Nachrichten. | |
Kritiker seiner Kapitalanalysen warfen ihm vor, dass er sich darin stets | |
auf die Wirtschaftsmeldungen der Nürnberger Nachrichten berufe. Diese | |
Kritik empörte ihn: „Ein Unsinn, es steht doch in allen Zeitungen dasselbe | |
drin.“ | |
In sein Buch über die DDR-Wirtschaft und ihre BRD-Privatisierung arbeitete | |
er die Abwicklung des Berliner Glühlampenwerks Narva ein. Als Gründe für | |
das Ende von Narva nannte er die von den Elektrokonzernen Osram und Philips | |
ins Spiel gebrachten „Patentprobleme“. Obwohl seine Darstellung meiner | |
Meinung nach falsch war, schadete das der Kohärenz seiner Analyse in keiner | |
Weise. | |
Robert Kurz hatte es ohnehin nicht so mit der Empirie. Den „Arbeits- und | |
Klassenkampffetisch“ des traditionellen Marxismus der Arbeiterbewegung und | |
ihrer Parteien kritisierte er scharf. Ihn interessierte die Kapitalbewegung | |
– marxistisch konzentriert auf den mit der Warenproduktion durchgesetzten | |
Abstraktionsvorgang, dem er mit einer „Wertkritik“ beizukommen versuchte. | |
Insofern hatte er linken Aktivisten nicht viel mehr zu bieten als ein | |
radikales Zerdenken von dem, was die Gesellschaft zusammenhält. Das tat er | |
jedoch ebenso einleuchtend wie enthusiastisch – etwa wenn er im voll | |
besetzten Kreuzberger Hochzeitssaal den Inhalt seines Buches „Weltkapital“ | |
zusammenfasste. | |
## „Investitionen in fiktive Werte“ | |
Das besondere Kennzeichen der derzeitigen „Abstraktifizierung“ – | |
Globalisierung – bestand für Kurz in in der mählichen Abkopplung des | |
Finanzkapitals von der Produktion: Die „Investitionen in fiktive Werte“ | |
(wie Derivate, Hedge- und Equityfonds, Junkbonds und Währungen) sind | |
profitabler geworden als solche in die Herstellung von Waren oder die | |
Bereitstellung von Dienstleistungen. Die Banken bieten den Anlegern dazu | |
immer neue „Produkte“ an. | |
Die Globalisierung des Kapitals geht laut Kurz „aus der Zuspitzung des | |
kapitalistischen Selbstwiderspruchs erster Ordnung zwischen | |
Produktivkraftentwicklung einerseits und Mehrwertproduktion/kaufkräftiger | |
Konsumtionsfähigkeit andererseits hervor. Und der Prozess, in dem das | |
Kapital vor dieser Zuspitzung gewissermaßen auf die Weltmärkte und in | |
transnationale Strukturen flüchtet, schlägt auf den kapitalistischen | |
Selbstwiderspruch zweiter Ordnung zwischen | |
Nationalökonomie/Nationalstaatlichkeit einerseits und Weltmarkt | |
andererseits zurück und spitzt diesen ebenfalls zu.“ | |
Globalisierung ist für Kurz somit nichts anderes „als ein eskalierender | |
Krisenprozess, in dem das Kapital, gestachelt von der mikroelektronischen | |
Revolution, vor seinen eigenen inneren Widersprüchen davonläuft und diese | |
sich dadurch nur umso schärfer entfalten, seine eigene innere Schranke sich | |
ihm nur umso unerbittlicher entgegenstellt“. | |
Derlei scheinbare Gewissheiten machen auf Dauer müde. Robert Kurz nahm | |
jedoch auch Neues in seinen Theoriebau auf. So entwickelte er seine | |
„Wertkritik“ mit dem „postfeministischen Postulat einer strukturellen | |
Geschlechterdifferenz“ zu einer „Wertabspaltungstheorie“. Sie soll hier | |
nicht weiter diskutiert werden. | |
Robert Kurz starb am 18. Juli in einer Nürnberger Klinik „an den Folgen | |
einer Nierenoperation“, wie es heißt. Die Hinterbliebenen vermuten | |
ärztlichen Pfusch in einem privatisierten Krankenhaus. Das würde seiner | |
Theorie entsprechen – obwohl er auf solche Empirismen wie erwähnt wenig | |
Wert legte. | |
20 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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