# taz.de -- Istanbul: In der Stadt der goldenen Steine | |
> Erdogan Altindis ist Türkei-Rückkehrer. In Istanbul vermietet er | |
> Ferienwohnungen und fördert die Kunst. | |
Bild: Der Taxifahrer sagt "Manzara" und weist auf den Ausblick auf den Bosporus… | |
Die Beweglichkeit von Erdogan Altindis scheint grenzenlos, in seinem Kopf | |
ist nie Ruhe. Kaum ist eine Idee angedacht, werkelt er schon an deren | |
Umsetzung, kaum ist eine Wohnung inspiziert, sieht er schon, was daraus | |
werden kann. Kaum hat er einen interessanten Menschen in Istanbul | |
aufgespürt, schafft er es, ihn oder sie in sein Gesamtprojekt | |
einzubeziehen. | |
Dieses heißt Manzara. Manzara bedeutet Weitblick, Aussicht, ein | |
allgegenwärtiges Wort in Istanbul. Der Taxifahrer sagt "Manzara" und weist | |
auf den Ausblick auf den Bosporus und die nachts leuchtende Brücke hin, | |
wenn er davon ablenken will, dass wir im Stau stehen und nichts vorangeht | |
außer der Taxiuhr. | |
Erdogan Altindis erzählt gern die Gründungslegende von Manzara. Der | |
49-Jährige stammt aus dem Osten der Türkei, er erkrankte schwer an | |
Kinderlähmung und kam zur medizinischen Behandlung mit zehn Jahren nach | |
München zu seinem Vater. Die Ärzte empfahlen, er solle zur Reha noch etwas | |
bleiben. | |
So wurden aus den drei Monaten Sommerferien 35 Jahre. Er lernte Deutsch, | |
ging auf die Schule in München, studierte Architektur. Aber er habe immer | |
Sehnsucht nach der Türkei gehabt und schließlich Istanbul entdeckt. "Eine | |
Stadt, in der er beide Kulturen leben kann", sagt Altindis . | |
## Architektonische Leidenschaft ausleben | |
Eines Tages mühte sich Erdogan Altindis in einer der Gassen um den | |
Galataturm ins oberste Stockwerk einer Wohnung. Hier, in Beyoglu, im | |
europäischen Teil der Stadt, traf und trifft sich die Boheme, die Moderne. | |
Aufzüge sind selten in diesem Viertel, und Altindis geht seit seiner | |
Kinderlähmung an Krücken. Die Wohnung, genauer gesagt der Blick, die | |
Aussicht, Manzara eben, habe ihn umgehauen. Er kaufte sie, baute sie aus. | |
"Da konnte ich meine architektonische Leidenschaft in voller Pracht | |
entfalten." | |
Und dann nahm es seinen Lauf. Altindis pendelte zwischen München und | |
Istanbul. "Freunde haben mich besucht, dann haben Freunde von Freunden | |
angefragt, alle waren begeistert und kamen wieder. Dann sagten sie, sie | |
würden schon auch etwas dafür bezahlen." Irgendwann musste er genau planen, | |
wenn er selbst in seiner eigenen Wohnung übernachten wollte. Also kaufte er | |
eine zweite Wohnung, auch die war bald immer ausgebucht. Nach fünf Jahren | |
kaufte er ein Apartment nur für sich und entwickelte seine Geschäftsidee: | |
Ferienwohnungen vermieten in Istanbul. Keine schlechte Idee, bei acht | |
Millionen Touristen jährlich in der Stadt. | |
Aber Manzara sollte mehr sein als eine reine Ferienwohnungsagentur. Sie | |
sollte den Gästen "einen weichen Übergang in den Alltag Istanbuls | |
ermöglichen", sagt der deutschtürkische Architekt. So organisiert Manzara | |
thematische Stadtspaziergänge. Die Guides sprechen fließend Deutsch und | |
Türkisch. Sie sind, wie Altindis auch, Remigranten, gut ausgebildete | |
Deutschtürken, die Istanbul attraktiver finden als deutsche Städte. Dort, | |
am Bosporus, ist ihre Zweisprachigkeit ein Vorteil. Manzara betreibt auch | |
ein Frühstückscafé, dort arbeiten außer den Deutschtürkinnen 15 | |
Istanbulerinnen. "Sie kochen für uns", sagt Altindis, "die meisten | |
verdienen so das erste Mal ihr eigenes Geld." | |
Seine Ferienwohnungen lässt er von Handwerkern aus dem Viertel renovieren. | |
Für das Café wird beim Einzelhändler an der Ecke eingekauft. Wer möchte, | |
kann sich den Kühlschrank füllen lassen, kann eine Massage oder eine | |
Liveband auf der eigenen Dachterrasse buchen. Einmal habe ein Kunstdozent | |
angefragt, der wollte für einige Monate bleiben und malen. Diese Idee habe | |
ihm so gefallen, sagt Altindis, dass er dem Gast eine Wohnung zum | |
Maleratelier ausbaute. Denn Istanbul sei laut, anstrengend, "da braucht man | |
eine Rückzugsmöglichkeit". | |
Und weil ihm die Förderung der Kunst am Herzen liegt, hat er 2009 ein | |
Künstleratelierhaus in Galata eröffnet, in Zusammenarbeit mit der | |
Kunststiftung NRW, der Hochschule für Kunst Braunschweig und der Stadt | |
Köln. 25 Künstlerinnen und Kunststudenten haben dort schon gewohnt und | |
gearbeitet. | |
## Wo beginnt die Spekulation? | |
Was aber soll man davon halten, dass da einer hergeht und eine Wohnung nach | |
der anderen kauft und wochenweise an Touristen vermietet. Zwar nicht | |
überteuert, aber doch zu Preisen, die den ortsüblichem Wohnungsmarkt | |
übersteigen? Treibt das nicht die Gentrifizierung, die Istanbuls Innenstadt | |
umwälzt, weiter voran? | |
Nein, sagt Altindis, "so ist es nicht". Nur einige der Wohnungen gehören | |
ihm. Meist kauft er die Wohnungen nicht, sondern übernimmt eine "kaputte | |
Immobilie", renoviert und macht einen Fünfjahresvertrag, danach geht sie an | |
den Eigentümer zurück. Bislang sei es meist so, sagt Altindis, dass die | |
"Eigentümer mit uns so zufrieden sind, dass wir die Wohnungen weiter | |
behalten können". | |
Aber bei Spekulationen mit Wohnraum will Altindis nicht mitbieten. So lässt | |
er etwa die Finger von Tarlabasi, das gerade als nächstes aufkommendes | |
Viertel gehandelt wird. Tarlabasi ist das Viertel hinter dem schicken | |
Beyoglu. "Die Erde und die Steine Istanbuls sind aus Gold", lautet ein | |
Versprechen, dem Menschen in der ganzen Türkei vertrauen und | |
hinterherreisen. Sie verlassen ihre Dörfer in der Osttürkei und kommen in | |
Viertel wie Tarlabasi. Nun wird Tarlabasi in grober Manier saniert, | |
abgerissen, umgebaggert. Tarlabasi: der kommende Kiez. | |
## Bayrische Brezel, türkischer Sesamring | |
Altindis will da nicht mitzocken. Er macht Touren mit Architekten in die | |
Gececondular, in Häuser und Viertel, die "über Nacht" entstehen. Die | |
Energie dieser Neuistanbuler findet er beeindruckend. Wer sich mit einer | |
Waage auf die Galatabrücke setze und Passanten anbietet, sich zu wiegen - | |
eine der vielen Istanbuler Ich-AGs -, der müsse schon mal nicht betteln, | |
verliere sein Gesicht nicht. "Die sind ehrgeizig, die haben etwas vor", | |
sagt der ehemalige Migrant. | |
Für das Künstlerstipendium, das Manzara in diesem Jahr ausgeschrieben | |
hatte, hat sich der bayerische Türke ein augenfälliges Zeichen ausgedacht: | |
eine bayerische Brezel und ein Simit, den türkischen Sesamring, ineinander | |
verschlungen wie die Lebenswege von Istanbuler Remigranten. | |
28 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Barbara Schaefer | |
## TAGS | |
Reiseland Türkei | |
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