# taz.de -- Abseitiger Inselsport in Schottland: Huuaaargh! | |
> Die Highland Games sind Schottlands Olympische Spiele. Es geht um alles, | |
> was sich werfen lässt: Baumstämme, Steine, Hammer und Heuballen. | |
Bild: Genauigkeit ist wichtiger als Weite: traditionelles Baumstammwerfen. | |
Die Highland Games finden den ganzen Sommer über in kleinen und größeren | |
Städten statt. Es sind Familienfeste, wenn man von den Spielen in Braemar | |
absieht, zu denen seit 1843 Mitglieder der Königsfamilie anreisen. | |
„Tossing the Caber“ ist der Höhepunkt der Highland Games. Die Athleten | |
müssen einen fünf Meter langen und 150 Pfund schweren Baumstamm mit beiden | |
Händen senkrecht anheben und mit der Schulter in Balance halten. Wenn ein | |
Anfänger mit dem schweren Sportgerät ins Schwanken kommt, müssen sich | |
Zuschauer und Schiedsrichter in Sicherheit bringen. Es geht dabei nicht um | |
die Weite, sondern der Stamm muss mit dem Kopfende aufkommen, einen | |
Purzelbaum schlagen und in der Zwölf-Uhr-Stellung liegenbleiben. | |
„Tossing the Caber“ hat seinen Ursprung im späten 16. Jahrhundert, als die | |
Holzindustrie, vor allem in Speyside, zu blühen begann. Die Waldarbeiter | |
mussten die gefällten Baumstämme in den Fluss schaffen und zu Flößen | |
binden, damit sie mit der Strömung zum nächsten Meereshafen gelangten. Es | |
kam darauf an, die Stämme so geschickt in den Fluss zu werfen, dass man sie | |
leicht zusammenbinden konnte. Offenbar gefiel den „Floaters“ ihre Arbeit so | |
sehr, dass sie daraus eine Freizeitbeschäftigung machten. | |
Aus der Landarbeit haben sich auch die anderen „heavy events“, die | |
traditionellen Kraftsportarten, entwickelt – der Hammerwurf zum Beispiel, | |
zu dem man früher das Arbeitsgerät des Pferdeschmieds benutzte, oder das | |
Heuschleudern, bei dem ein fünfzig Pfund schwerer Ballen mit einer | |
Mistgabel über eine hohe Stange befördert werden muss. Dabei kommt es nicht | |
nur auf Kraft an, sondern vor allem auf Technik. | |
Das gilt auch für das Kugelstoßen. Früher hat man dafür einen glatten Stein | |
aus dem Fluss geholt, heute nimmt man eine Stahlkugel. Wenn die Sportler | |
mit der Kugel unter dem Kinn um die eigene Achse wirbeln, hebt oft ein | |
Windstoß den Kilt hoch – und man sieht eine Unterhose. Dabei heißt es doch, | |
Schotten trügen nichts unter ihrem Rock. „Wenn die Gefahr besteht, dass man | |
sich entblößt, zieht man vorsichtshalber eine Unterhose an“, erklärte der | |
Kugelstoß-Experte Hamish Davidson den Traditionsbruch. | |
Nach der Schlacht von Culloden, in der Prinz Charles Edward Stuart 1746 den | |
Traum von schottischer Eigenständigkeit begraben musste, wurden den | |
Schotten Kilt, Dudelsack und der Besitz von Waffen untersagt, die Macht der | |
Clan-Chiefs war gebrochen. Fortan waren sie zwar noch Landbesitzer, aber | |
ihre Armeen hatten sie verloren. | |
## Uralte Wettkämpfe | |
Damit waren auch die uralten Wettkämpfe, die Vorläufer der heutigen | |
Highland Games, überflüssig geworden. Sie dienten nämlich vor allem dazu, | |
die besten Krieger zu ermitteln. Die Wettkämpfe fanden meist nach der | |
„Tainchel“ statt, der gemeinsamen Jagd mehrerer Clans, bei der die Hirsche | |
von den Bergen getrieben und eingekreist wurden. Nachdem die Tiere erlegt | |
waren, gab es ein Festbankett mit anschließenden Wettkämpfen. | |
Die Clan-Chiefs förderten die „Piper“, die Dudelsackspieler, die seit dem | |
16. Jahrhundert die bis dahin dominierenden Harfisten in der Gunst des | |
Publikums überflügelt hatten. Ihre Aufgabe bestand nicht nur darin, | |
ohrenbetäubende Musik zu machen, sondern sie waren auch für die | |
Kriegschronik zuständig. Manch vergangene Schlacht lässt sich heute nicht | |
mehr rekonstruieren, weil die gegnerischen Piper es mit der Wahrheit nicht | |
so genau nahmen und ihren eigenen Clan ins beste Licht rückten. | |
Das Wettdudeln ist fester Bestandteil der Highland Games, und wenn ganze | |
Orchester gegeneinander antreten, versteht man, warum das Instrument auch | |
„war pipes“, Kriegspfeifen, genannt wird. Ein Engländer sagte einmal, ein | |
wahrer Gentleman sei jemand, der den Dudelsack spielen könne, es aber nicht | |
tue. | |
Die ersten offiziellen Highland Games wurden 1817 in Braemar ausgetragen. | |
Ein Vierteljahrhundert später kaufte Königin Victoria das Schloss Balmoral | |
ganz in der Nähe. Die Queen war versessen auf alles Schottische, seit sie | |
Walter Scotts Romane gelesen hatte. Sie steckte sogar ihren deutschen | |
Ehemann Prinz Albert in einen Kilt. Aufgrund ihrer Begeisterung kamen die | |
Highlands in Mode, Scharen ihrer englischen Landsleute folgten der | |
Monarchin im Urlaub gen Norden. | |
Der Steinmetz Donald Dinnie, eins von elf Kindern, beherrschte die | |
Wettkämpfe lange Zeit, zwischen 1856 und 1876 feierte er 19 Siege. Er wog | |
zwei Zentner, hatte aber kein Gramm Fett am Leib, behauptete man. Er war so | |
berühmt, dass er auf Welttournee ging, die ihn nach Nordamerika, Australien | |
und Neuseeland bis nach Südafrika führte. Überall wollte man das | |
Muskelpaket sehen. Dinnie stellte viele Rekorde auf, die meisten hielten | |
bis lange nach seinem Tod. Und er soll auch ein großartiger Tänzer gewesen | |
sein. | |
## Tanzen hält warm | |
Tanzen ist auch nicht unbedingt das friedliche Freizeitvergnügen, das es | |
scheint, sondern hat seinen Ursprung ebenfalls im Kriegerischen: Je | |
schneller die Clan-Männer auf den Füßen waren, desto besser konnten sie | |
steinigen oder morastigen Boden überwinden. Außerdem hielt sie das Tanzen | |
in der Kälte warm, und die Folgen übermäßigen Whiskygenusses verflogen | |
schneller. | |
Das gilt für die Teilnehmer bei den Highland Games heutzutage nicht mehr: | |
Es sind vor allem Mädchen, manche erst vier oder fünf Jahre alt, die an den | |
Tanzwettbewerben teilnehmen, und selbst in Schottland trinkt man in diesem | |
Alter noch keinen Whisky. Ihre Beine bewegen sich in verblüffender | |
Geschwindigkeit, während der Oberkörper kerzengrade aufgerichtet ist und | |
die Hände in die Hüften gestemmt sind. | |
Das letzte Ereignis des Tages ist das Tauziehen. Es gehört zu den „Heavy | |
Events“. Es sind in der Tat schwere Jungs, die daran teilnehmen, und der | |
schwerste ist eine Art Anker am Ende des Taus, das er sich um den Bauch | |
bindet. In der Mitte zwischen beiden Teams steckt ein Stab im Gras, am Seil | |
sind im Abstand von sechs Fuß, also knapp zwei Metern, in beiden Richtungen | |
Markierungen angebracht. Gelingt es einer Mannschaft, das Seil samt Gegner | |
sechs Fuß zu sich herüberzuziehen, hat sie gewonnen. Doch das kann dauern. | |
Oft verharren die Athleten, die wie Perlen an einer Kette aufgereiht sind, | |
zehn Minuten regungslos, bis einer das Kommando gibt, worauf die anderen | |
aus Leibeskräften ziehen. | |
Reich kann man bei den Highland Games nicht werden. Für einen Sieg im | |
Siebenkampf gibt es bei kleineren Spielen vielleicht fünfzehn Pfund und | |
einen Blechpokal, bei den größeren Veranstaltungen ist es mehr. Die | |
Athleten müssen jeden Tag ein halbes Pferd essen, um bei Kräften zu | |
bleiben, und die Anreise zahlen sie aus eigener Tasche. Was zählt, ist der | |
Ruhm. | |
27 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
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