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# taz.de -- Japanischer Fotograf in der DDR: Jenseits des Bildes
> Seiichi Furuya, der kurz in der DDR lebte, macht seine Erinnerung zum
> Gegenstand des Erinnerns. Er bedarf dazu keiner Dokumente von
> Zeitzeugenschaft.
Bild: DDR-Bürger, 1987 (Ausschnitt).
Eine Ansammlung Menschen vor dem Brandenburger Tor, Ostseite. Die Szene ist
unschwer in die 1980er Jahre einzuordnen, ebenso wie seine Entstehung in
der späten DDR. Und es zeigt eigentlich nichts Bemerkenswertes.
Gemäß den zwei Kategorien, die Roland Barthes einmal für seinen
persönlichen Zugang zur Fotografie formulierte, beschränkte sich dieses
Bild auf die Erfüllung des Studiums, womit Barthes die Hingabe des
Fotografen an eine Sache, aber auch die kulturelle Ermöglichung der
Teilhabe an einem (politischen) Geschehen, an Figuren, Mienen, Gesten und
Handlungen durch eine Fotografie meinte.
Das, was Barthes als Punctum bezeichnete, nämlich die feine Brechung, die
kleine Spitze, die das Studium aus dem Gleichgewicht bringt, scheint dem
Foto zu fehlen. Wenn der japanische Fotograf Seiichi Furuya, der diese
Szene festhielt, sein Foto erläutert, werden Roland Barthes’ Kategorien
allerdings durch ein anderes Merkmal erweitert, nämlich um das Phänomen des
Abwesenden, um das, was dieses Foto gerade nicht offenbart.
Die Aufnahme entstand am 12. Juni 1987, genau zu dem Zeitpunkt, als
US-Präsident Ronald Reagan, einen Steinwurf entfernt vor der Westseite des
Brandenburger Tores, Michail Gorbatschow mit markigen Worten aufforderte,
die Berliner Mauer einzureißen. Eben nicht dem weltpolitischen Auftritt
gefolgt zu sein, sondern seinem anonymen Widerhall unweit daneben, das
macht den Belang des Fotos aus. Das Abwesende wird durch das Anwesende
präsent.
## Von Tokio nach Graz, nach Ost-Berlin
Seiichi Furuya wurde 1950 auf den Izu-Inseln geboren, studierte Architektur
und Fotografie in Tokio. Er kehrte 1973 seinem bedingungslos
fortschrittsgläubigen, die eigene Geschichte verdrängenden Heimatland den
Rücken. Und landete in Österreich, einem Land zwischen katholischem
Wertekonservativismus und immerwährender politischer Neutralität.
Graz wurde Furuyas neuer Lebensmittelpunkt, er traf auf eine international
orientierte Kulturszene im Forum Stadtpark und beim Steirischen Herbst,
wurde 1980 Mitinitiator der Zeitschrift Camera Austria. Hier lernte Furuya
seine Frau kennen, sie heirateten 1978, der gemeinsame Sohn kam 1981 zur
Welt. Die finanzielle Notwendigkeit, nun eine Familie ernähren zu müssen,
ließ Seiichi Furuya eine Tätigkeit als Übersetzer bei einer japanischen
Baufirma annehmen, die in der DDR Luxushotels erbaute. Familie Furuya lebte
kurz in Dresden, anschließend in Ost-Berlin.
Und an diesen Orten entstanden wesentliche Teile von Furuyas
Fotokonvoluten. Einerseits Aufnahmen der verstörend schönen Ehefrau, zu dem
Zeitpunkt bereits unter schwerer psychischer Erkrankung leidend, die zu
ihrem frühen, selbst gewählten Tode führte. Und anderseits Bilder aus dem
trivialen Alltag zum Ende der DDR hin. Diese beiden Stränge, den kleinen
individuellen, tragischen Kosmos sowie den großen weltpolitischen Atem in
Beziehung zu setzen und in immer neuen Sichtungen zu verflechten, gelingt
Furuya ohne Sentimentalität und Kitsch.
Die Porträtfotos seiner Frau datieren zwischen 1978 und ihrem Freitod 1985
in Ost-Berlin, das letzte entstand am Vortag ihres Suizids. Diesem stillen
Teil steht eine Auswahl seiner Fotografien aus der DDR gegenüber. In ihnen
begegnet man dem distanzierten Blick eines Fremden auf ein vergehendes
Land, nicht ohne Empathie und mit feinem Humor.
## Unbehelligt fotografierend in der DDR
Taxiert als mutmaßlicher Genosse aus den sozialistischen Bruderländern
Vietnam oder Nordkorea, konnte Furuya unbehelligt fotografieren. Er folgte
aber nicht thematischen Klischees wie der Berliner Mauer, er suchte
andersartige Bildfindungen für eine ihrer Freiheit beraubten Gesellschaft.
So fotografierte er ein Hochhaus, per großem Schriftzug das „Reisebüro der
DDR“ verheißend – ein Euphemismus in einem System ohne echte Reisefreiheit
–, oder Volksfeste am Rande der 750-Jahr-Feier Berlins, Jahrestage der
DDR-Gründung. Sie alle spiegeln eine nichtssagende Tristesse zwischen
Plattenbauten und harmlosen Vergnügungen, ein Straßenbahnunfall maroden
Gerätes mag latent prophetischen Charakter haben. Aber man täte den
Aufnahmen Unrecht, würde man sie nun (aus westdeutschem Voyeurismus) mit
simpler Semiotik aufheizen, dazu unterläuft ihre inhaltlose
Ausdruckslosigkeit zu sehr eine am Effekt interessierte Rezeption.
Worin läge also eine allgemeingültigere Relevanz der Fotos und ihrer
öffentlichen Präsentation? Es mag vielleicht die Tatsache sein, dass
Seiichi Furuya mit seinen Fotos seine Erinnerung selbst zum Gegenstand des
Erinnerns macht, die eigene Existenz, auch die persönliche Katastrophe. Und
dazu bedarf er keiner durchkomponierten Dokumente offensichtlicher
Zeitzeugenschaft. Stattdessen setzt er auf offene Bildsysteme, die nichts
darstellen als Abwesenheit, Verlust, Leere.
## Seiichi : „Hätte - Wenn - Warum“. Museum für Photographie Braunschweig,
bis 19. August
30 Jul 2012
## AUTOREN
Bettina Maria Brosowsky
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