# taz.de -- Staatlicher Verbraucherschutz: Böse Überraschungen | |
> Wenn Finanzberater zu Verkäufern werden, muss der Staat die Kunden | |
> schützen. Vor schlechter Qualität – so wie er es beim Kinderspielzeug | |
> macht. Ein Plädoyer. | |
Bild: Informieren statt Verbieten – so denkt sich das der Staat. Funktioniert… | |
Die Riester-Rente ist für den Kunden da, nicht der Kunde für die | |
Riester-Rente. Hört sich wie eine Binse an, ist aber in der öffentlichen | |
Diskussion nicht selbstverständlich. Dort steht die Riester-Rente seit fast | |
einem Jahrzehnt im Verdacht, von der Sozialdemokratie eigentlich nur zum | |
Wohle der Versicherungswirtschaft erfunden worden zu sein. Dabei ist die | |
Geschichte der Riester-Rente im Grunde eine prototypische Geschichte für | |
den Verbraucherschutz in Deutschland. | |
Staatlicher Verbraucherschutz soll in Deutschland eigentlich „nur“ | |
sicherstellen, dass die Märkte funktionieren, er soll dafür sorgen, dass | |
der Kunde dem Verkäufer mindestens auf Augenhöhe gegenübertreten kann. | |
Schließlich hat schon Adam Smith argumentiert, dass der Markt nicht für die | |
Verkäufer, sondern nur zum Besten der Kunden da sei. | |
Im Prinzip gibt es zwei Schutzmechanismen des Staates. Erstens kann der | |
Staat dafür sorgen, dass der Kunde genauso schlau wird wie der Anbieter. | |
Wenn der Kunde eine Chance hat, die unterschiedlichen Angebote zu | |
durchschauen und zu bewerten, dann werden – so die Theorie – im | |
Wesentlichen die guten Angebote übrig bleiben, schlechte würde der schlaue | |
Kunde nicht mehr kaufen. Der Staat kann minderwertigen Angeboten gegenüber | |
Toleranz zeigen. | |
Die zweite Möglichkeit des Staates ist, schlechte Angebote einfach selbst | |
aus dem Markt zu nehmen. Produkte, die gefährlich sind, gehören verboten. | |
Produkte, deren Risiken normale Verbraucher nicht abschätzen können, | |
sollten für solche Kunden nicht mehr zugänglich sein. Unternehmen, die so | |
etwas vertreiben, gehören vor ein Gericht. | |
In der Praxis hat der Staat beim Riestern beides versucht. Zuerst hat er | |
eine Reihe von Vorschriften erlassen, die verhindern sollten, dass die | |
Kunden bei der unüberschaubaren privaten Altersvorsorge völlig über den | |
Tisch gezogen werden. Bis zur Rente soll beim Riestern kein Geld verloren | |
gehen können, das Ersparte soll im Arbeitsleben vor Pfändungen sicher sein, | |
und die Außendienstler der Versicherer sollten in Gegensatz zu dem, was im | |
vergangenen Jahrhundert üblich war, ihre Provision nicht gleich zu Anfang, | |
direkt nach dem unterschriebenen Vertrag, auf einen Schlag bekommen. | |
Zunehmend hat der Staat dann Vorschriften erlassen, wie die Anbieter ihre | |
Kunden vor Vertragsabschluss und dann jährlich über den Stand ihrer | |
Riester-Verträge informieren sollen, damit die Kunden am besten die | |
richtigen Verträge finden oder aber bei schlechten Verträgen den | |
Qualitätsmangel frühzeitig bemerken und zu einem besseren Anbieter | |
wechseln. | |
## Riester-Strategie des Staates | |
Die Riester-Strategie des Staates ist nicht untypisch. Technische Geräte | |
zum Beispiel dürfen bestimmte Risiken nicht mit sich bringen, sonst werden | |
sie nicht zum Verkauf zugelassen. Ein gefährlicher Stromschlag sollte bei | |
normaler Handhabung nicht möglich sein. Gift in Nahrungsmitteln oder im | |
Spielzeug ist verboten. | |
Aber schon beim Risiko von Spielwaren setzt der Staat auch auf Information. | |
Kleine Kinder sollen keine winzigen, verschluckbaren Teile in ihren | |
Spielsachen finden können. Spielzeug aus dem Überraschungsei wird aber | |
nicht etwa verboten. Stattdessen verlangt der Staat vom Hersteller, darauf | |
hinzuweisen, dass dieses Spielzeug nur für Kinder über drei Jahre geeignet | |
ist. | |
Wenn Einschränkungen des Angebots und Info-Pflichten für Anbieter nicht zum | |
gewünschten Erfolg führen – dass sich nämlich die besten Angebote | |
durchsetzen –, kann der Staat nachjustieren. Das hat er vor und während der | |
Finanzkrise auch gemacht. Die Riester-Idee, den Kunden nicht sofort zu | |
Anfang die komplette Provision für den Außendienst seiner Versicherung | |
zahlen zu lassen, wurde auch für andere Versicherungsangebote verpflichtend | |
gemacht. Außerdem müssen die Kunden darüber informiert werden, wie viel der | |
Vertrieb kostet, und müssen jährlich eine ordentliche Aufstellung über den | |
Erfolg ihrer Altersvorsorge erhalten. | |
Die Briten gingen weiter, sie haben Provisionen für den Vertrieb weitgehend | |
verboten. | |
## Staat muss Informationspflicht kontrollieren | |
Informieren statt verbieten. Die Position kann man einnehmen. Unabdingbare | |
Voraussetzung jeder wirkungsvollen Informationsstrategie ist aber, dass der | |
Staat dann die Einhaltung der Informationspflichten kontrolliert. Zu | |
erwarten, dass die Mehrheit der Unternehmen von sich aus die Kunden optimal | |
informiert, wäre blauäugig. Nicht nur die Erfahrung aus fast 50 Jahren | |
Arbeit der Stiftung Warentest sprechen dagegen. | |
Wenn Informationen dem Kunden tatsächlich helfen würden, die richtige | |
Entscheidung zu treffen, würden von 50 Angeboten schnell nur eine Handvoll | |
gute auf dem Markt übrig bleiben. 45 Unternehmen müssten sich ein neues | |
Betätigungsfeld suchen. | |
Die Einhaltung der Informationspflichten bei Versicherungen und Banken wird | |
aber nicht staatlich kontrolliert, es gibt nicht einmal eine Behörde für | |
diesen Verbraucherschutz. Bei Finanztest haben wir in den vergangenen | |
Jahren ein ums andere Mal dokumentiert, dass viele Banken und Versicherer | |
Kunden nicht richtig informieren. Ein Viertel der Riester-Kunden nimmt noch | |
nicht einmal die Chance auf staatliche Zulage in höhe Hunderter von Euro | |
wahr. | |
Der Erfolg des Kunden ist nicht zentrales Geschäftsziel, er wird bei | |
Riester wie bei anderen Finanzprodukten vom Anbieter oft nicht mal | |
gemessen. Die Kunden abzuzocken ist gerade bei etlichen Lebensversicherern | |
dagegen gerichtskundig Teil des Geschäfts. Ein deutscher Lebensversicherer | |
wurde 2005 vom Bundesgerichtshof verurteilt, weil seine | |
Versicherungsbedingungen bis 2001 unverständlich waren und er Kunden, die | |
kündigten, geschädigt hat. Viele andere Versicherer hatten ähnlich | |
Bedingungen. | |
Was tut die Branche? Informiert sie die geschädigten Kunden, ändert sie | |
ihre Bedingungen deutlich, zahlt sie geschädigte Kunden aus? Kontrolliert | |
wird das nicht. 2012 urteilte derselbe Bundesgerichtshof über ein anderes | |
Unternehmen, dass auch die nach 2001 bis 2007 leicht modifizierten | |
Versicherungsbedingungen unverständlich waren und kündigende Kunden weiter | |
stark benachteiligt wurden. | |
Informationsstrategien des Staates scheitern, wenn ihre Einhaltung nicht | |
streng kontrolliert wird. Verbraucherschutz auf den Finanzmärkten braucht | |
nicht immer wieder neue Gesetze, Verbraucherschutz braucht endlich | |
effektive Kontrolle. Wo bleiben Sie, Herr Wachtmeister! | |
4 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Hermann-Josef Tenhagen | |
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