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# taz.de -- Die Wahrheit: Ein Herz für Sarrazin
> Mein schönstes Ferienerlebnis: Thilo Sarrazins Urlaub in Braunau.
Bild: Hat sein Leben endlich in den Griff bekommen: Thilo Sarrazin.
In diesen Tagen enden die Sommerferien. Die öffentlichen Figuren kehren
zurück aus dem Urlaub. Langsam beginnt wieder der Alltag im politischen
Betrieb mit allen bekannten Problemen und Diskussionen. Und so wird mancher
prominente Urlauber wehmütig auf die ruhige Zeit der Erholung
zurückblicken. Deshalb haben wir einen der beliebtesten Deutschen gefragt,
uns sein schönstes Ferienerlebnis aufzuschreiben: Thilo Sarrazin. Der
sympathische Finanz- und Menschenfreund hatte sich in gewohnt provokanter
Manier einen ganz besonderen Urlaubsort ausgesucht: Braunau am Inn.
Kaum waren wir angekommen, wurde ich schon erkannt. Ein paar ungepflegte
Jugendliche vermutlich südländischer Herkunft kamen uns entgegen, als meine
Frau, meine drei Leibwächter und ich gerade unauffällig in der Altstadt
Braunaus umherspazierten. „Heil Sarrazin!“, krakeelten die Südländer, und
einer hob tatsächlich den rechten Arm. Ich hätte nicht gedacht, dass es in
Österreich Nationalsozialisten gibt. Aber diese Ausländer müssen uns auch
alles nachmachen. Mein Schnurrbart zitterte vor Wut.
„Denk an dein Herz, Thilo, vergiss diese Kanaken!“, meinte Ursula, und was
meine Frau sagt, befolge ich mit unerbittlicher Härte. Aber meine Brust
schmerzte nach dem Vorfall. Zur Entspannung ohrfeigte ich einen meiner
Leibwächter. Danach ging es mir wieder besser. Keine Angst, ich bin kein
Unmensch. Er wird gut bezahlt dafür und ist das gewöhnt, wie es sich gehört
für Lakaien.
Den ganzen Morgen fotografierte ich Braunaus herrliche Altstadt mit meiner
alten Hasselblad. Was kaum jemand weiß: Ich bin ein begnadeter Fotograf.
Seit meiner Studentenzeit habe ich nur ein Hobby, ich lichte alles ab, was
mir vor die Linse kommt. Jedenfalls alles, was schön, rein und deutsch ist.
Was man von der alten Türkin mit Kopftuch, die jetzt an der Herzogsburg des
Weges kam, nicht behaupten kann. Sie ruinierte das feine Fotomotiv. Was
macht so jemand auch in Braunau am Inn? Es tat mir furchtbar weh. Meine
Leibwächter drehten der Alten deshalb die Arme auf den Rücken und trugen
sie fort. Die Schmerzen in meiner Brust nahmen zu.
Wir betraten erst einmal die Altdeutsche Weinstube. Der Abstecher zum
Obersalzberg musste warten. Ein Wein würde jetzt gut tun. Die Gaststube war
bis auf den letzten Platz gefüllt – mit Gastarbeitern! Hatten die denn alle
keine Arbeit? Wie ein Lauffeuer breitete sich die Nachricht von meinem
Eintreffen im Lokal aus, so dass selbst der Koch aus der Küche heraustrat
und in den Schankraum lugte. Sein südländisches Aussehen nahm mir jeden
Hunger und Durst. Und wieder wurde die gutbürgerliche Küche vergewaltigt,
geschändet, missbraucht von Knoblauch … – ein Stich durchfuhr meine Brust,
und ich sackte zusammen. Wie mir Ursula später erzählte, brachte mich meine
Leibstandarte gleich ins Spital. Erste Vermutung der Ärzte: Herzkasper.
Sofort wurde eine Organtransplantation angesetzt. Ursula hatte den Chefarzt
mit den Kontoauszügen meiner Schweizer Bank schnell überzeugt, und ein Herz
war flugs gefunden. Schließlich herrschte bestes Organspenderwetter, heute
Morgen erst hatte ein junger Motorradfahrer eine Serpentine falsch
eingeschätzt. Sein Herz war schon im Hubschrauber unterwegs, als man mir
den Brustkorb öffnete. Wie groß aber war da die Überraschung der Ärzte: Sie
bogen die Rippen zur Seite, hoben die Lungenflügel an, schauten unterm
Dickdarm, hinter der Niere nach … – nichts! Kein Herz!
Die Ärzte fackelten nicht lange, setzen das Herz ein, nähten alles wieder
zu, weckten mich mit einem Klaps und erklärten mir, dass man zwar für meine
geistige Gesundheit nicht garantieren könne, dass ich aber körperlich in
bester Verfassung sei und noch ewig leben würde. Es war, als hätte man mir
einen Schleier von den Augen gerissen. Ich Stinkstiefel! Mein ganzes Leben
bisher war völlig verpfuscht. Immer diese peinlichen Provokationen. Diese
unsäglichen Ausdünstungen heißer Luft. Wie konnte ich das bloß wieder
gutmachen? Wie mich bei allen entschuldigen, die ich vor den Kopf gestoßen
hatte?
Als Erstes gab ich Ursula, dieser hartherzigen Brombeere, einen Tritt. Dann
ließ ich die Alte mit dem Kopftuch von meinen Leibwächtern herbeitragen.
Ich wollte ihr sagen, wie leid es mir tat. Dass ich jetzt ein anderer
Mensch war. Aber was war das? Sie nahm das Kopftuch ab und fing die
Strahlen der Sonne ein. Sie war gar nicht alt und hässlich. Ihr Name war
Aishe, und sie war wunderschön. Ich konnte nicht anders, ich nahm sie zur
Frau. Wir liebten uns auf der Stelle.
Mit einem Mal erkannte ich: unsere Zukunft lag in Braunau. Also zog ich all
meine Gelder aus der Schweiz, aus Liechtenstein und Luxemburg und von den
Bahamas ab. Ich erwarb das Altdeutsche Weinhaus und wurde Wirt. Endlich
hatte ich einen Ort gefunden, an dem ich meine Fotografien ausstellen
konnte. Abends würde ich dann vor mein Publikum treten und
Horrorgeschichten erzählen aus meinem ersten Leben als Furunkel der Nation.
Meine Leibwächter werde ich umschulen lassen auf Kellner. Und mit Aishe
zusammen werde ich künftig jede Nacht türkischen Honig knabbern …
Das war das schönste Ferienerlebnis, das ich je hatte.
11 Aug 2012
## AUTOREN
Michael Ringel
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