# taz.de -- CDU-Spitzenfrau Julia Klöckner: Die Angängerin | |
> Wie tickt die kommende Generation in der Politik? Die CDU-Spitzenfrau | |
> Julia Klöckner hat keine Angst vor lauten Tönen. Sie kann aber auch ganz | |
> anders. | |
Bild: Zeigt sich gerne kampfeslustig: Julia Klöckner. Sie hat aber auch andere… | |
Die Gegenfrageregel dient in der Psychoanalyse dazu, die | |
„Funktionsfähigkeit“ des Analytikers zu schützen: Sie ist ein Mittel | |
dagegen, dass der Patient fragend in seine Privatsphäre eindringt und seine | |
Neutralitätsbasis zerstört. Fast muss ich lachen, als Julia Klöckner meine | |
erste Frage mit einer Gegenfrage kontert. Sie sagt mir damit: Ich weiß mich | |
zu schützen. Es passt zu ihr. Zu ihrer intellektuellen Schnelligkeit. Und | |
ihrer Aggressivität. | |
Im Lateinischen bedeutet aggredi so viel wie an etwas aktiv herangehen, es | |
angehen. Eine solche Angängerin ist Klöckner ohne Zweifel. Sie ist, das ist | |
jedenfalls ihr Image, das junge blonde Gift einer sich erneuernden CDU: | |
wertkonservativ, aber pluralistisch, handfest, attraktiv, emanzipiert und | |
intelligent; volksnah; ohne Ressentiment, aber durchsetzungsfähig. | |
Nicht nur eine ihre Rolle reflektierende Frau, sondern – wie es der Jargon | |
will – eine Powerfrau. Und, das gehört natürlich dazu: erfolgreich. Den in | |
Rheinland-Pfalz regierenden Sozialdemokraten unter dem letzten auf | |
politisches Gottesgnadentum verpflichteten Landesfürsten der Republik, | |
„König“ Kurt Beck, hat sie die Harke gezeigt: Bei der Landtagswahl 2011 | |
fehlten ihr gerade mal 8.000 Stimmen, um die CDU zur stärksten Fraktion zu | |
machen. Königin Julia? Womit wir beim beliebtesten publizistischen | |
Klöckner-Klischee wären: Weinkönigin war sie schon, die von ganz | |
Deutschland sogar. | |
Die Tochter einer „Winzerfamilie mit katholischen Wurzeln“ habe in dieser | |
Rolle gelernt, dem Volk aufs Maul zu schauen. So kann man es überall lesen, | |
und so sagt sie es auch selbst. Möglich. Aber Julia Klöckner ist keine | |
Populistin mit exakt geplantem Aufstiegsszenario. Der CDU ist sie erst mit | |
24 beigetreten. Es war die Kirche, nicht die Partei, die sie geprägt hat – | |
auch wenn sie ihr nicht kritiklos gegenübersteht, etwa beim Umgang mit | |
Wiederverheirateten. | |
Die Karriere in der CDU führt sie nicht zuletzt auf die Frauenquote zurück | |
– und spendet Alice Schwarzer das ambivalente Lob: „Sie hat den Frauen | |
meiner Generation den Weg geebnet, dass wir heute nicht so sein müssen, wie | |
sie war.“ Ihre eigene Leistung sieht sie darin, „in Zeiten, wo ein Fenster | |
offen ist, auch beherzt ohne langes Zögern Ja zu sagen und dann volle Kraft | |
zu arbeiten, nicht immer, Fenster mit Gewalt selbst zu öffnen. Man muss | |
auch warten können.“ Eine Bescheidenheit, die nicht recht ins öffentliche | |
Bild Klöckners passen will. Wie so manches. | |
## Wuchtbrumme statt Hungerhaken | |
Ich gebe es zu: Meine erste unzensierte Assoziation, als ich sie mit | |
violettem Blazer, hellviolettem Lippenstift und dunkelviolett lackierten | |
Nägeln, das Kinn leicht gehoben und breit lächelnd am Rheinufer auf mich | |
zukommen sehe, ist: „Wuchtbrumme“. Ein ebenso veraltetes wie verbotenes | |
Wort. Nein, sie sei kein „Hungerhaken“, wird sie später in unserem Gesprä… | |
sagen: Sie hat Volumen. Alles an ihrem Auftritt signalisiert, dass sie | |
keine Angst vor starken Farben und lauten Tönen hat. | |
Vor unserem eigentlichen Termin sind wir in einer Schule verabredet, die | |
gerade ihr Projekt „Schule als Staat“ beendet. Klöckner ist Ehrengast, ihre | |
Performanz im Parlament der Schüler geschickt, ohne anbiedernd zu wirken. | |
Der erste nicht ins Bild passende Eindruck ereilt mich in ihrer Begegnung | |
mit dem Lehrerkollegium. Klöckner, die studierte katholische Theologin, die | |
selbst Religionslehrerin war, erkundigt sich nach dem Schulalltag. Schnell | |
entsteht eine offene Atmosphäre: Sie hört zu, fragt nach – und macht | |
Notizen. | |
In diesem Moment sind die Klischees weg: Nicht nur das publizistisch | |
genährte, auch das selbst geschaffene Bild der ach so handfesten Macherin. | |
Als sie ihre Eindrücke notiert, wirkt sie still, bei sich. Ihr Gesicht | |
verliert den leicht auftrumpfenden Frechheitsausdruck, es wirkt | |
differenziert und ernst – und so schön wie ernste, differenzierte Gesichter | |
eben wirken, die bereit sind, etwas aufzunehmen. | |
Später, im Gespräch darauf angesprochen, wird sie sagen: Ja, da habe sie | |
fast in den alten „Studentenmodus“ umgeschaltet, sei ganz rezeptiv | |
geworden. Sie versteht genau, was ich meine; wird nachdenklich, als ich | |
bemerke, da sei etwas Schüchternes bei ihr spürbar geworden. Und – ich kann | |
mir den Coach nicht ganz verkneifen – just im Zugang zu diesem nach außen | |
gut abgeschotteten Bereich würde ich ihr Potenzial sehen. | |
Die schöne Schüchternheit muss im Gespräch nach dem Schulauftritt freilich | |
erst neu entdeckt werden. Lange frage ich gegen ein freundliches | |
kommunikatives Sperrfeuer an. Sie versteht, was ich will: das, was sie | |
partout nicht will, einen Blick hinter die Kulissen der öffentlichen | |
Person. | |
## Öffentlich ist nicht privat | |
Julia Klöckner trennt öffentliches und privates Leben so strikt wie wenige. | |
Gerade weiß man, dass sie mit einem Journalisten zusammenlebt. Ihr | |
Selbstschutz in diesem Feld ist so radikal, dass ihr die Aggressivität, mit | |
der sie es verteidigt, zu entgehen scheint – oder gleichgültig ist. | |
Imponierend. Aber ich frage mich, was sie schützt: Solch extremes Verhalten | |
kenne ich nur da, wo ein Problem im Spiel ist. | |
Als das Gespräch auf Bioethik kommt, wird ein Druck spürbar, der auf ihr | |
lastet. Vielleicht weil ihr Lebensmodell – unverheiratet, kinderlos – für | |
Konservative ungewöhnlich ist. Ungewollt habe ich einen empfindlichen Punkt | |
bei ihr berührt. Was sie dazu sagt, klingt strikt politisch: Die CDU sei da | |
weiter, als es mancher haben wolle, sagt sie knapp. „Lebensläufe sind | |
verschieden, ob geplant oder ungeplant.“ Es gebe Platz in der Partei für | |
einen „erweiterten Familienbegriff“. Auch hier spüre ich ihre Kampfeslust. | |
Julia Klöckners Talent für den Angriff ist emotional zeitgemäß: Es gehört | |
zur Rolle der Oppositionsführerin. Mit Kurt Beck, der sich, so sagt sie, | |
„machomäßig abfällig auf mich als junge Frau eingeschossen hat“, liegt s… | |
im Clinch. Einiges in seinem Verhalten hat sie verletzt. Umso | |
überraschender ihr Eingeständnis, dass, „ich wage es kaum laut zu sagen, | |
wir uns ähnlich sind im direkten Umgang mit den Leuten. Keine | |
Berührungsängste“. Im Vieraugengespräch gehe es mit ihm erheblich besser | |
als auf öffentlicher Bühne. Auch hier unterscheidet sie genau. | |
Nach meiner Erfahrung aber haben allzu betonte Trennungswünsche damit zu | |
tun, das Zusammenkommen des Getrennten zu fürchten. Was könnte das im Fall | |
Klöckners heißen? | |
## Hat sie das Zeug zur Landesmutter? | |
Auf ihre politischen Perspektiven, etwa eine länderübergreifende | |
Infrastrukturkooperative im Südwesten Deutschlands – Frankreich und | |
Luxemburg inklusive – kann es sich kaum beziehen. Da hat sie, so sagt sie | |
es selbst, „Visionen“ – ein Lieblingswort Helmut Kohls, den sie bewundert. | |
Der wiederum hätte sie kaum, wie seinerzeit Angela Merkel, „das Mädchen“ | |
genannt. Was implizit eine Frage an ihre Karriere provoziert. Dass sie | |
Opposition kann, hat sie bewiesen. Aber: Hat sie auch das Zeug zur | |
Landesmutter? | |
Ich würde es ihr, der glaubhaft an der christlichen Sozialethik | |
orientierten Kämpferin, zutrauen. Julia Klöckner hat ihr politisches Talent | |
noch nicht ausgeschöpft. Auch, weil sie es nicht hinreichend einzuschätzen | |
weiß. „Net nur reden, sein und machen“, sagt sie. Es könnte ihr Motto sei… | |
Aber kann sie ihren glaubwürdigen Eigensinn auch in eine angemessene | |
kommunikative Form bringen? Sie, die einen Unterschied zwischen männlicher | |
(„lautstark“) und weiblicher Macht („Strategie“) sieht, scheint sich | |
manchmal selbst im Wege zu stehen. Sie versteht ihre aggressive Seite – und | |
die daraus resultierenden Wirkungen – zu wenig. | |
Beispielhaft fasst sie das selbst zusammen: Zwar sei sie an intellektuellen | |
und ästhetischen Dingen interessiert – Kunst, Architektur, sie outet sich | |
als Bauhaus-Fan, aber: „Ich kann auch nicht nur mit betroffen guckenden, | |
hochintellektuellen Menschen mich umgeben: Spaßfreie Bedeutungsschwere, das | |
macht mich kirre. Mit Vorliebe breche ich das mit einem kernigen Spruch | |
auf. Da zeigt sich dann, wer daran noch Freude hat. Ich ertrage auf Dauer | |
keine homogene Monotonie.“ | |
Durchaus sympathisch. Aber wenn sie erfolgreich auf „Regierungschefinmodus“ | |
umschalten will, wird sie das mit den betroffen guckenden Intellektuellen | |
lernen müssen. Sprengen ist immer Sache der Aufständischen. Und die | |
regieren nicht. | |
11 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Christian Schneider | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |