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# taz.de -- Hanfparade 2012: Wir sind Gras
> Auf der diesjährigen Hanfparade in Berlin wurde ganz entspannt für die
> Legalisierung von Cannabis gekämpft. Es gab sogar neue Slogans.
Bild: Der Kampf geht breiter: Teilnehmer der Hanfparade 2012.
BERLIN taz | Als er das letzte Mal an so einem „Sticky“ gezogen habe,
erzählte mir ein Freund vor Kurzem, habe er sich den ganzen Abend gefühlt
wie ein pfefferminzgrüner Zeppelin. Einen solchen suche ich vergeblich am
Samstagmittag beim Start der 16. Hanfparade an der Weltzeituhr.
Aber der Alexanderplatz ist erwartungsgemäß voll mit Menschen. Es dauert
bloß eine Weile, die Demonstranten von den Touristen und Konsumwütigen zu
unterscheiden. Ein erster Ansatzpunkt: Dreadlocks und grüne
Kleidungsstücke, die vereinzelt auffallen. Bei der skeptisch blickenden
Rentnerin im giftgrünen Kostüm bin ich unsicher. Auch die grünen Stände der
Dekra gehören vermutlich nicht dazu.
In der Nähe der Farbtupfer entdecke ich die Handvoll spärlich geschmückter
Wagen. Viele Demonstranten sind es auch noch nicht, 13 Uhr am Wochenende
entspricht nicht ganz den Gewohnheiten eines Kiffers. Sicher werden es im
Laufe des Nachmittags noch mehr.
Steffen Geyer, Sprecher und – auch wenn er es gleich leugnet – seit vielen
Jahren eine größere Portion Seele der Parade, eröffnet mit einem
schwungvollen „Hallo, Berlin“ die Auftaktkundgebung. Große Reden werden
hier nicht geschwungen, die ersten Redner kämpfen mit ihren Notizen und der
Lärmsituation auf dem Platz. Frank Tempel, Bundestagsabgeordneter der
Linken, erläutert erst souverän, warum er für eine Legalisierung eintritt,
und erträgt dann tapfer die Unmutsrufe, als er erzählt, er habe sich schon
als Kriminalbeamter mit dem Thema befasst.
## „Wir sind laut, weil ihr uns das Ganja klaut!“
Dann übt Geyer mit den Zuhörern einen Slogan ein: „Wir sind hier, wir sind
laut, weil ihr uns das Ganja klaut!“ Eher zufällig fällt aber in einem
Beitrag ein anderes Motto, das begeistert aufgegriffen wird. Der
menschliche Körper erzeuge eigene Suchtstoffe – deshalb sei es konsequent,
auch die Menschen zu verbieten, führt der Redner inhaltlich euphorisiert
einen längeren Gedankengang aus und stolpert irgendwie in den Schlusspunkt:
Wir sind Gras. Großes Gelächter, spontan wird skandiert: „Wir sind Gras!
Wir sind Gras!“
Die Wagen setzen sich in Bewegung, und langsam wird sichtbar, wer noch
alles dazugehört. Nach einer großen Runde um den Platz sind ein paar
tausend Menschen zusammengekommen. Hinter den Wagen beginnen die Ersten zu
tanzen, die Sonne lacht, es wäre wohl angemessen, jetzt einen Joint
anzuzünden. Ein anderer Freund hat mir allerdings geraten, nichts zur Demo
mitzunehmen. Der richtige Aktivist mache das danach, belehrte er mich. Als
ich ihn später treffe, lächelt er breit und reicht an Mitdemonstranten den
deutlichen Beleg dafür herum, dass er nicht willens war, seinem eigenen Rat
Folge zu leisten.
Der süße Duft ist allerorten in der Luft, obwohl auch die Veranstalter von
allzu offenem Konsum auf der Demo abraten. Per Lautsprecher wird die
Telefonnummer eines professionellen Helfers weitergegeben – bei
Durchsuchungen und anderen Zusammenstößen mit der Polizei. Die wird oft
angesprochen und für vieles gescholten. In diesem Jahr vor allem dafür,
auch denjenigen den offenen Konsum auf der Demo untersagt zu haben, die
sich das Recht auf Cannabis aus medizinischen Gründen erstreiten konnten.
Höchstens für die Farbwahl ihrer Uniformen bekommen die Beamten ein Lob
oder dafür, so zahlreich erschienen zu sein.
Mit dem Fotografieren der Teilnehmer hält sich die Polizei zurück. Dafür
reihen sich jetzt an der Strecke dicht an dicht die Touristen, fast so, als
wäre Marathon. Manche lächeln scheu zurück, manche schauen grimmig, die
meisten aber heben ihr vielfältiges Equipment und fotografieren lückenlos
die Vorüberziehenden. Das Identifizieren übernimmt dann später einmal
Facebook oder Google.
## Bananen auch nicht
„Freiheit, Gesundheit und Gerechtigkeit“ ist das Motto der diesjährigen
Parade, das Plakat zitiert das Delacroix-Gemälde von der barbusigen
Freiheit, die auf die Barrikaden geht. Auch Dr. Axel Klein vom „Schildower
Kreis“ mahnt radikales Umdenken in der Drogenpolitik an: Die Prohibition
müsse enden. Immer wieder werde argumentiert, unsere Droge sei Alkohol und
Cannabis nicht in unserer Kultur verankert. Bananen, sagt Klein, seien auch
nicht in unserer Kultur verankert. „Es ist wichtig, Gesicht zu zeigen“,
ruft Steffen Geyer ins Mikro, als der Zug für eine Zwischenkundgebung vor
dem Bundesgesundheitsministerium anhält. Wir sehen uns um: In so
freundliche Gesichter sieht man gern. Es müssten viel mehr sein, wissen wir
alle.
Woran liegt’s? Warum gehen nur noch ein paar tausend zur ältesten deutschen
Demonstration für die Legalisierung von Cannabis als Medizin und
Genussmittel? In Italien werde jetzt eher gekokst, sagt mir ein Italiener,
die Preise seien auch stark gefallen. Gras sei harmlos und entspanne, aber
mit Koks fühle man sich stark und aktiv. Das wäre gerade eher das, was die
Leute wollen.
Dann steuert die Demo den Zielort hinter dem Brandenburger Tor an. Die
einen rufen „Gebt den Hanf frei“, die anderen „Gebt das Hanf frei“. Vor…
Hauptbühne setzen sich die meisten erst mal in Grüppchen auf den Asphalt.
Weitere sechs Stunden Kundgebung sollen folgen, gemischt mit Livemusik.
„Der Versuch, sich der deutschen Drogenpolitik mit dem Verstand zu nähern,
muss zwangsläufig scheitern“, hat Geyer einmal in einem Interview gesagt.
Auf der Demo ergänzte er bei ähnlichen Sätzen: „Aber wir werden trotzdem
siegen.“
13 Aug 2012
## AUTOREN
Frank Sorge
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