# taz.de -- Aus Le Monde diplomatique: Fataler Reichtum | |
> Während der deutsche Handelsüberschuss alle anderen noch ärmer macht, hat | |
> sich in Griechenland die Selbstmordrate inzwischen verdreifacht. | |
Bild: An der Dürre verdienen nur die Spekulanten | |
Von den Empörten in Spanien bis zur weltweiten Occupy-Wall-Street-Bewegung | |
gehen allerorten Menschen auf die Straße, um sich gegen die Zumutungen des | |
Finanzkapitalismus zu wehren: Zum einen gegen die Arbeits- und | |
Perspektivlosigkeit der vielen, zum anderen gegen den Reichtum und die | |
Macht der wenigen. | |
Vor allem ein Thema treibt die Menschen um - und das ist nicht die | |
Staatsverschuldung, die so viele Politiker als Wurzel allen Übels | |
darstellen, sondern etwas viel Fundamentaleres: die Verteilungsfrage.1 | |
Diese Frage ist nicht nur in moralischer, sondern auch in | |
wirtschaftspolitischer Hinsicht aktueller denn je. Beginnen wir bei der | |
Eurokrise, um zu begründen, warum das so ist. Anders als uns die Politiker | |
- vor allem in Deutschland - glauben machen wollen, sind die hohen Schulden | |
ja nicht auf eine typisch südeuropäische Faulheit und Verschwendungssucht | |
zurückzuführen. Die ebenso hoch verschuldeten Länder USA, Irland oder Japan | |
widerlegen diese Behauptung. | |
Die Überschuldung ist in fast allen Krisenländern eine Folge der 2007 | |
ausgebrochenen Finanzkrise. Diese begann bekanntlich als Immobilienkrise in | |
den USA, aber auch in Irland und Spanien,(2) und mutierte schnell zur | |
Bankenkrise. Um die einzudämmen, sprangen die Staaten mit gigantischen | |
Rettungsaktionen ein, ergänzt durch Konjunkturprogramme wie etwa die | |
Abwrackprämie. Und all das finanzierten sie, wie auch sonst, auf Pump. | |
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Die eigentliche Frage ist daher die nach den Ursachen der Finanzkrise. | |
Natürlich gibt hier nicht die eine, allumfassende Erklärung. Zu den | |
Faktoren, die zum Entstehen der Krise beitrugen, gehören beispielsweise die | |
Deregulierung der Finanzmärkte und die dadurch ermöglichten hochriskanten | |
"Finanzinnovationen"; die globalen und innereuropäischen Handels- und | |
Wettbewerbsungleichgewichte, die etwa der griechischen Wirtschaft das | |
Rückgrat brachen; und auch die künstlich niedrigen Zinsen - in den USA zur | |
Bekämpfung der Rezession nach dem Crash der New Economy und in Südeuropa | |
als Folge der Euro-Einführung -, die in zahlreichen Ländern zu einer | |
Immobilienblase führten. | |
Diese verknappte Darstellung vermag jedoch nicht zu erklären, wo die | |
gewaltige Macht der Finanzmärkte herrührt. Konkret: warum zum Beispiel auf | |
die kostspieligen Bankenrettungen unmittelbar nach Ausbruch der Finanzkrise | |
in der sich anschließenden Eurokrise gleich wieder ein Bankenrettungsschirm | |
aufgespannt werden musste - natürlich auf Kosten der Steuerzahler. | |
Auch dafür gibt es mehrere Gründe. Da ist zum einen die erpresserische | |
Macht der riesigen Bankkonzerne, die zu groß geworden sind, als dass man | |
sie im Krisenfall sich selbst überlassen könnte ("too big to fail"). Da | |
sind zum andern der Konkurrenzdruck der Globalisierung und das damit | |
einhergehende Fallen der Profitraten. Dies führte dazu, dass die Renditen | |
der Realwirtschaft als nicht mehr ausreichend erschienen und der globale | |
Kapitalismus ein neues, profitträchtiges Anlagefeld entwickeln musste: eben | |
die Finanzmärkte. | |
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Die Krise hat also sehr vielfältige Ursachen, und es wäre eine unzulässige | |
Vereinfachung, sie allein auf die Verteilungsfrage zurückzuführen. Dennoch | |
gilt: Die Finanzmärkte hätten längst nicht die Macht, die sie haben, wenn | |
sie nicht so viel Geld bewegen könnten - mehr als 200 Billionen US-Dollar, | |
das Dreifache des Weltsozialprodukts.3 Und für diese globale Geldschwemme | |
gibt es einen klar zu identifizierenden Grund: die zunehmende Konzentration | |
von Einkommen und Reichtum in den Händen weniger. | |
Wenn das Volkseinkommen breit gestreut wird, das heißt als Lohn oder | |
staatliche Transferleistung bei der gesamten Bevölkerung ankommt, dann wird | |
ein großer Teil davon für den täglichen Bedarf gleich wieder ausgegeben. | |
Das erhöht die Nachfrage und kurbelt die Realwirtschaft an. Wenn aber ein | |
immer größerer Teil auf die Konten derjenigen fließt, die ohnehin mehr | |
haben, als sie jemals ausgeben können, dann wird dieses Geld auf den | |
Finanzmärkten angelegt. | |
Und zwar mit dem einzigen Ziel, sich scheinbar aus sich selbst heraus zu | |
vermehren. Parallel dazu wachsen - ebenfalls scheinbar aus sich selbst | |
heraus - die Finanzmärkte mit dem Effekt, dass die Realwirtschaft, sprich | |
die Produktion von Gütern und allen möglichen nichtfinanziellen | |
Dienstleistungen, zum bloßen Anhängsel verkümmert. Jedenfalls aus Sicht der | |
Investoren. | |
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Diese Entwicklung ist seit längerer Zeit im Gange. Seit den 1980er Jahren, | |
seit Beginn des neoliberalen Aufbruchs der Regierungen von Thatcher und | |
Reagan, hat die Politik dafür gesorgt, dass sich Arbeit und Einkommen | |
zunehmend entkoppeln. Voraussetzung dafür war, die Macht der Gewerkschaften | |
auf breiter Front zu brechen (nach dem Vorbild Margaret Thatchers) und ganz | |
bewusst einen Niedriglohnsektor zu schaffen, und zwar mittels Deregulierung | |
der Arbeitsmärkte und dem Rückbau des Sozialstaats (die Methode Gerhard | |
Schröder). Die Folge war, dass die Reallöhne stagnierten oder sogar sanken | |
und der Anteil der Löhne am gesamten Volkseinkommen schrumpfte. Im | |
Vergleich dazu sind die Managerbezüge und die Gewinne im Finanzsektor | |
regelrecht explodiert. Eben diese Gewinne lassen die Vermögen der ohnehin | |
schon Vermögenden weiter anwachsen und stocken damit die Geldmenge auf, die | |
auf den globalen Finanzmärkten angelegt werden. | |
Dabei versteht sich fast von selbst, dass dieser wachsende Reichtum sich | |
nicht in den Steuereinnahmen des Staates widerspiegelt, so dass dieser viel | |
zu wenig zu einer Rückverteilung an die Bedürftigeren beitragen kann. Im | |
Gegenteil: In Deutschland und den meisten anderen entwickelten Ländern | |
haben die Steuerreformen der vergangenen Jahre, sprich die Senkung der | |
Steuern auf Spitzeneinkommen, Kapitalerträge und Konzerngewinne, die | |
Umverteilung von unten nach oben noch verstärkt. | |
"Es geht nicht um Verteilungsgerechtigkeit, es geht um | |
Chancengerechtigkeit", lautete das Argument, mit dem Bundeskanzler Gerhard | |
Schröder diese Weichenstellung verkauft hat. "Eine Gesellschaft lebt | |
dynamischer, wenn es Ungleichheiten gibt", verkündete sein | |
Wirtschaftsminister Werner Müller. Und der damalige SPD-Fraktionschef Peter | |
Struck befand, die traditionelle SPD-Politik nach dem Motto: "von den | |
Reichen nehmen, um den Armen zu geben", könne nicht länger "die Politik | |
unserer modernen Gesellschaft sein".(4) | |
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Das war nicht nur leeres Gerede. Die Einkommen der Gut- und der | |
Geringverdiener haben sich seit dem Antritt der rot-grünen Regierung | |
tatsächlich dramatisch auseinanderentwickelt. Bei den Managerbezügen ließen | |
sich exponentielle Steigerungen durchsetzen, während am anderen Ende des | |
Spektrums ein prekärer Niedriglohnsektor geschaffen wurde. Von 1999 bis | |
2009 schrumpfte das Einkommen des Bevölkerungszehntels mit dem geringsten | |
Einkommen um 9,6 Prozent, im gleichen Zeitraum wuchs es beim obersten | |
Zehntel um 16,6 Prozent.(5) | |
Dazu passt eine Meldung der Hans-Böckler-Stiftung, wonach allein in den | |
Krisenjahren zwischen 2008 und 2010 die durchschnittliche Vergütung von | |
Unternehmensvorständen um 21 Prozent zulegte (zusätzliche Leistungen zur | |
Altersvorsorge noch nicht eingerechnet).(6) In den letzten zehn Jahren sind | |
die Vorstandsbezüge real (das heißt inflationsbereinigt) sogar um 94 | |
Prozent gestiegen, haben sich also fast verdoppelt. Die Reallöhne der | |
Arbeitnehmer sanken derweil um 3 Prozent. 2010 lag für 11,5 Millionen | |
Menschen, das sind 14 Prozent der deutschen Bevölkerung, das verfügbare | |
Einkommen unter der von der EU definierten Armutsrisikoschwelle. | |
Im internationalen Vergleich nimmt die Einkommensungleichheit in | |
Deutschland überdurchschnittlich stark zu. Nach einer OECD-Studie ist | |
zwischen 1980 und 2010 die Ungleichheit bei den Einkommen hierzulande mehr | |
als doppelt so stark angewachsen wie im OECD-Durchschnitt. Mit dieser | |
"Dynamik der Ungleichheit" liegt Deutschland unter den entwickelten Ländern | |
an sechster Stelle. Nur in Ländern wie den USA und Portugal ist die Kluft | |
zwischen den Gut- und den Geringverdiener noch tiefer geworden.(7) | |
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Gerade in den USA als dem Land mit dem größten Finanzmarkt überhaupt | |
entwickeln sich die Einkommen in alarmierendem Tempo auseinander. Wie | |
Untersuchungen der Ökonomen Emmanuel Saez und Thomas Piketty zeigen,(8) | |
stiegen im Zeitraum von 2000 bis 2007 für 90 Prozent der Bevölkerung die | |
Einkommen nach Abzug der Inflation nur um insgesamt 4 Prozent. Dagegen | |
durften sich die 0,1 Prozent Topverdiener über ein Plus von mehr als 90 | |
Prozent freuen. | |
Als dann nach dem Schock, den die Pleite der Investmentbank Lehman Brothers | |
2008 ausgelöst hatte, die Einkommen langsam wieder zu wachsen begannen, | |
landete dieser Zuwachs komplett bei dem einen Prozent der absoluten | |
Spitzenverdiener. Die Mitglieder dieses exklusiven Clubs - viele von ihnen | |
im Finanzsektor tätig - beziehen 20 Prozent des gesamten von US-Bürgern | |
erarbeiteten Einkommens. | |
Solche Entwicklungen schlagen sich natürlich in den Statistiken über die | |
Konzentration des Reichtums nieder. Der Grund ist einfach: Spitzenverdiener | |
geben nicht ihre gesamten Einkünfte aus. Mit dem Geld werden vielmehr die | |
zum Teil ohnehin schon beträchtlichen, oft durch Erbschaften oder auch | |
Unternehmensgründungen erlangten Vermögen weiter vergrößert. | |
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Einen ersten Eindruck geben hier die Schätzungen der Allianz. Die | |
Versicherung interessiert sich für solche Daten, da sie mit ihrer Tochter | |
Allianz Global Investors auch eine Vermögensverwaltung betreibt. Das reine | |
Geldvermögen der Deutschen belief sich demnach Ende 2010 auf 4,88 Billionen | |
Euro. Im Durchschnitt besaß jeder Bundesbürger damit 59 900 Euro, fast 3 | |
000 Euro mehr als ein Jahr zuvor. Aber das sind Durchschnittswerte, | |
natürlich haben die meisten von uns nicht annähernd 60 000 Euro auf dem | |
Konto. | |
Aufschlussreicher ist deshalb der sogenannte D.A.CH-Vermögensreport einer | |
anderen Investmentgesellschaft, der Liechtensteiner Valluga. Demnach gab es | |
2010 in Deutschland 829 900 Vermögensmillionäre; das waren trotz Krise 6,5 | |
Prozent mehr als im Vorjahr. Diese Millionäre machen gut 1 Prozent der | |
Bevölkerung aus. Sie besitzen dem Report zufolge fast ein Drittel des | |
gesamten privaten Finanzvermögens (wobei der Wert selbst genutzter | |
Immobilie nicht eingerechnet ist). Den Prognosen nach wird diese | |
Vermögenssumme bis 2014 auf 2,9 Billionen Euro anwachsen. Das entspräche, | |
und hier wird es spannend, einem Zuwachs von 7,3 Prozent pro Jahr. Aber | |
selbst unter den Superreichen wächst die Ungleichheit: Die Milliardäre | |
unter ihnen bringen es auf Wachstumsraten zwischen 8 und 10 Prozent. | |
Ähnliches weiß das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) zu | |
berichten. In ihrem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP), das auf regelmäßigen | |
Befragungen basiert, kamen die Forscher für das Jahr 2008 auf ein Vermögen | |
(diesmal inklusive Immobilien) von 88 034 Euro pro Erwachsenem. Das ist ein | |
Plus von 10 Prozent innerhalb von fünf Jahren.(9) | |
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Auch hier verschleiern allerdings die Durchschnittswerte den tatsächlichen | |
Zustand im Land. Der vom DIW ermittelte Vermögenszuwachs kam nämlich fast | |
ausschließlich den Millionären zugute. Schon in der Mitte der | |
Reichtumspyramide reichte es nur noch für einen durchschnittlichen Zuwachs | |
von 1,9 Prozent in fünf Jahren. Die reichsten 10 Prozent verfügten demnach | |
2008 über 61,1 Prozent des Gesamtvermögens - 2002 waren es noch 57,9 | |
Prozent gewesen. Dagegen haben 27 Prozent der Bevölkerung gar kein oder | |
negatives Vermögen, sprich: Schulden. | |
DIW-Forscher Stefan Bach präsentiert noch eindrucksvollere Zahlen.(10) Er | |
ergänzt die SOEP-Daten durch Angaben des Manager Magazins, das regelmäßig | |
eine Liste der Superreichen veröffentlicht, also der Aldi-Albrechts, der | |
Versandhaus-Ottos und der BMW-Quandts. Diese wenigen extrem Reichen sind so | |
verschwiegen, dass sie im Rahmen normaler Befragungen meist gar nicht | |
erfasst werden können, wodurch sich das Bild natürlich verzerrt. Wenn man | |
diese Riesenvermögen mit einrechnet, ergibt sich folgende Verteilung: 0,1 | |
Prozent der bundesdeutschen Haushalte besitzen 22,5 Prozent des gesamten | |
Vermögens im Land. Das reichste eine Prozent kommt auf 35,8 Prozent, also | |
mehr als ein Drittel. Die Top 10 Prozent besitzen schon zwei Drittel, | |
während für die gesamte untere Hälfte gerade mal 1,4 Prozent bleiben. | |
Beim Blick über den Atlantik entdeckt man noch extremere Verhältnisse. 43 | |
Prozent des gesamten Nettovermögens von US-amerikanischen Privathaushalten | |
konzentrieren sich beim reichsten Prozent der Bevölkerung und 83 Prozent | |
bei den reichsten 10 Prozent.(11) Weltweit zählen übrigens knapp 11 | |
Millionen Menschen, also 0,16 Prozent der Weltbevölkerung, zu den | |
Dollarmillionären (selbst genutzte Immobilien nicht gerechnet). Die meisten | |
von ihnen leben nach wie vor in den USA, gefolgt von Japan und Deutschland; | |
aber Hongkong, Indien, Vietnam oder Indonesien holen in dieser Hinsicht | |
sehr schnell auf. | |
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Diese globale Klasse der Reichen, die von den internationalen | |
Vermögensverwaltungsgesellschaften als High Net Worth Individuals (HNWIs) | |
umworben werden, hält mehr als ein Drittel des weltweiten | |
Geldvermögens.(12) Die NGO Tax Justice Network geht in einer neuen Studie | |
davon aus, dass diese Zahlen noch weit untertrieben sind, weil die | |
gigantischen in Steueroasen versteckten Vermögen - die Schätzungen reichen | |
bis zu 32 Billionen US-Dollar - meist gar nicht erfasst sind.(13) Werden | |
sie eingerechnet, könnte sich ein Drittel des tatsächlichen globalen | |
Geldvermögens in den Händen von nicht einmal 100 000 Menschen befinden. Das | |
wären 0,001 Prozent der Weltbevölkerung. | |
Was hat dieser sagenhafte Reichtum in den Händen sehr weniger Individuen | |
nun mit der aktuellen Krise zu tun? Wie oben gezeigt, vagabundieren die | |
überschüssigen, weil nicht mehr konsumierten Geldmengen auf der Suche nach | |
möglichst profitablen und damit riskanten Anlagemöglichkeiten um die Welt. | |
Doch die enge Korrelation zwischen Ungleichheit und Krisenanfälligkeit hat | |
noch eine weitere Ursache: die relative Verarmung der unteren | |
Einkommensschichten, die die unvermeidliche Kehrseite der geschilderten | |
Einkommens- und Vermögenskonzentration ist. Um ihren Lebensstandard zu | |
halten, haben vor allem in den USA viele ihr eigenes Häuschen verpfändet. | |
Und auch in den südeuropäischen Ländern (vorweg Spanien) stieg die private | |
Verschuldung. Zugleich stagnierte wegen der äußerst bescheidenen | |
Lohnentwicklung die Nachfrage, was die Realwirtschaft geschwächt und zu | |
mehr riskanten Investitionen auf den Finanzmärkten geführt hat. | |
Während Normalsparer ihr Geld zu 39 Prozent ganz klassisch als Sparguthaben | |
und zu 28 Prozent in relativ konservativen Kapitalmarktprodukten anlegen | |
(vor allem in Investmentfonds), drehen die HNWIs (oder Millionäre) ein | |
deutlich größeres Rad.(14) Ein knappes Drittel ihres Vermögens investieren | |
sie in Staats- und Unternehmensanleihen, ein Drittel in Aktien (die | |
US-Millionäre kauften sogar für 42 Prozent ihre Geldes Aktien). Außerdem | |
schätzen sie aus Angst vor Inflation insbesondere Immobilien und zunehmend | |
auch Rohstoffe und Derivate, die riskantesten der spekulativen | |
Finanzpapiere. Es sind also eindeutig die Vermögen der Superreichen und | |
nicht die bescheidenen Ersparnisse der Normalbevölkerung, die für die | |
Potenzierung der Risiken in den Finanzmärkten verantwortlich sind. | |
Um den Zusammenhang von Reichtum und Krise zu erläutern, lohnt sich auch | |
ein Ausflug in die Geschichte. So warnte der US-Ökonom und Nobelpreisträger | |
Paul Krugman im New York Times Magazine vor Zuständen wie in den 1920er | |
Jahren, die in den USA als "Gilded Age" bezeichnet wurden.(15) Er erzählte | |
von den gigantischen Villen aus jener Ära, die er als Teenager auf Long | |
Island bestaunte, wobei er sich den Reichtum vorzustellen versuchte, der | |
allein für die Entlohnung der Heerscharen von Dienstboten nötig war. | |
## Der trügerische Glanz an der Oberfläche | |
Das vergoldete Zeitalter - es heißt so, weil der Glanz nur an der | |
Oberfläche war - endete bekanntlich mit dem Crash von 1929 und der | |
Weltwirtschaftskrise. Mit dem New-Economy-Boom der 1990er Jahre und dem | |
sich anschließenden Immobilienboom der 2000er Jahre erreichte die | |
Einkommens- und Vermögensverteilung in den USA erneut so extreme Werte wie | |
in den 1920er Jahren. Krugmans Aufsatz erschien vor zehn Jahren. Mit seiner | |
Mahnung hat er leider recht behalten. Auch diesmal endete die Chose in | |
einer Finanzmarktkrise, die sich längst zur globalen Wirtschaftskrise | |
ausgeweitet hat. | |
Aus der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre wurden damals in den USA | |
zumindest einige wichtige Lehren gezogen: Zum einen setzte man eine strenge | |
Regulierung der Banken und Finanzmärkte durch, die bis in die 1990er Jahre | |
für relative Stabilität sorgte. Zum anderen wurden unter Präsident | |
Roosevelt - wie aus dem keynesianischen Lehrbuch - | |
Arbeitsbeschaffungsprogramme und Infrastrukturinvestitionen durchgeführt, | |
von denen die USA heute noch zehren. Damals begann zugleich eine Epoche | |
vergleichsweise geringer Ungleichheit, die mit hoher finanzpolitischer | |
Stabilität einherging und bis weit in die Nachkriegszeit hinein andauerte. | |
## | |
Das interessanteste Element der damaligen Krisenbekämpfung ist ihre | |
Finanzierung: Sie erfolgte hauptsächlich durch Steuern. Diese verschaffen | |
dem Staat nicht nur finanzielle Spielräume, ohne dass er dafür Schulden | |
aufnehmen muss, sie entfalten darüber hinaus auch eine segensreiche | |
Umverteilungswirkung. Denn mit den Steuern, die der Staat überproportional | |
von den Reichen nimmt, kann er zum Beispiel Bildungs- und Sozialausgaben | |
bezahlen, von denen alle etwas haben. Der Spitzensatz der Einkommensteuer | |
in den USA, der bis zum Crash 1929 bei nur 25 Prozent gelegen hatte, wurde | |
in den 1930er Jahren stufenweise auf 79 Prozent angehoben, um dann nach dem | |
Zweiten Weltkrieg auf 91 Prozent zu steigen.(16) Die von konservativer und | |
liberaler Seite mantrahaft wiederholte Behauptung, hohe | |
Einkommensteuersätze seien leistungsfeindlich und stünden somit der | |
wirtschaftlichen Entwicklung im Wege, kann seither als widerlegt gelten. | |
Trotzdem liegt der Spitzensteuersatz in den USA heute bei gerade einmal 35 | |
Prozent. | |
In der aktuellen Krise werden die Erinnerungen an frühere Zeiten wieder | |
sehr lebendig. Die schon erwähnten US-Ökonomen Emmanuel Saez und Thomas | |
Piketty, denen die ungleiche Einkommensverteilung Sorgen macht, können sich | |
durchaus eine Rückkehr zu Spitzensteuersätzen von 50 oder sogar 90 Prozent | |
vorstellen. Und Frankreichs Präsident François Hollande hatte in seinem | |
Wahlkampf 75 Prozent angekündigt. Selbst die SPD, die in der Ära Schröder | |
den Spitzensteuersatz von 53 auf die heutigen 42 Prozent gesenkt hatte, | |
fasste auf ihrem Parteitag Ende 2011 den programmatischen Beschluss, im | |
Falle ihres Einzugs in die Regierung eine zaghafte Anhebung auf 49 Prozent | |
anzustreben. | |
Zunehmend werden auch Forderungen laut, die Reichen direkt an den Kosten | |
der Krise zu beteiligen, die sie zumindest mit verursacht haben. Wie ein | |
"Senior Economist" der Allianz-Vermögensverwaltung bei der Vorstellung | |
eines Vermögensreports zur Eurokrise bemerkte: Die staatliche Verschuldung | |
sei nur "die halbe Geschichte", weil es ja auf der anderen Seite auch viel | |
privates Vermögen gebe. Für den Mann stand fest: "Alle apokalyptischen | |
Untergangsszenarien sind verfrüht. Denn die Substanz ist ja da."(17) Von | |
dieser Feststellung ist es nur noch ein kleiner Schritt bis zu der | |
Forderung, dass die überschuldeten Staaten die vorhandenen Vermögen zur | |
Finanzierung der Schulden beziehungsweise der Krisenkosten heranziehen | |
sollten. | |
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"Besteuert uns", forderten vergangenes Jahr französische Milliardäre per | |
Zeitungsanzeige. Auch sie haben schließlich Interesse an stabilen | |
Verhältnissen. In Italien erklärte Ferrari-Aufsichtsrat Luca di | |
Montezemolo: "Ich bin reich. Es wäre nur gerecht, wenn ich mehr zahlte." | |
Und in Deutschland haben jüngst mehrere Organisationen und Initiativen, | |
darunter neben Attac auch die Initiative Vermögensteuer jetzt! und die | |
Initiative Vermögender für eine Vermögensabgabe, ein Bündnis unter dem | |
Motto "Umfairteilen - Reichtum besteuern" gegründet. | |
Die SPD-regierten Bundesländer wollen neuerdings die seit 1997 nicht mehr | |
erhobene Vermögensteuer wieder einführen. Trotz eines äußerst großzügigen | |
Freibetrags von 2 Millionen Euro, pro Person wohlgemerkt, und einer Höhe | |
von nur 1 Prozent sollen auf diese Weise 11,5 Milliarden Euro pro Jahr in | |
die Kassen der Bundesländer kommen. | |
Einen anderen Plan verfolgen die Grünen: Sie wollen nach dem Modell des | |
Lastenausgleichs, der nach dem Zweiten Weltkrieg den Flüchtlingen | |
zugutekam, die Reichen durch eine einmalige Vermögensabgabe an der | |
Finanzierung der Krisenlasten beteiligen. Nach diesem Plan sollen im Lauf | |
von zehn Jahren 100 Milliarden Euro zusammenkommen. | |
Damit soll keinesfalls gesagt sein, dass höhere Steuern ein Allheilmittel | |
wären. Da die Krise viele Ursachen hat, müssen auch die Lösungsvorschläge | |
vielfältig sein: von einer Re-Regulierung der Finanzmärkte und der | |
Zerschlagung der Großbanken über einen Schuldenerlass für überschuldete | |
Staaten bis hin zu einer expansiven Lohnpolitik und staatlichen | |
Investitionsprogrammen. | |
Gleichwohl sind Steuern ein entscheidendes, bislang in der politischen | |
Diskussion jedoch unterschätztes Element zur Krisenbekämpfung, für die der | |
Staat ebendiese Steuereinnahmen dringend braucht. Ebenso wichtig sind sie | |
aber auch für die Vermeidung künftiger Krisen, denn ein vernünftiges | |
Steuersystem bewirkt eine Umverteilung von oben nach unten. Steuern helfen | |
also gegen die ungerechte Verteilung des Reichtums - und damit gegen eine | |
der wesentlichen Krisenursachen. | |
Fußnoten: | |
(1) Siehe z. B. "Protest Spurs Online Dialogue on Inequity", "New York | |
Times, 8. Oktober 2011. | |
(2) In Japan ist die hohe Verschuldung eine Folge des dort viel früher, | |
nämlich schon Anfang der 1990er-Jahre, stattgefundenen Immobiliencrashs. | |
(3) McKinsey beziffert die Summe aller Aktien, Anleihen und Kredite | |
weltweit auf 212 Billionen US-Dollar (Mapping Global Capital Markets 2011). | |
(4) Alle Zitate aus: "Der große Graben", "Der Spiegel, 17. Dezember 2007. | |
(5) Siehe Markus M. Grabka, "Eine Bestandsaufnahme: Kinder-/Armut in | |
Deutschland", Präsentation auf der Tagung "Kinderarmut in Deutschland und | |
Europa" der Arbeitsgemeinschaft der deutschen Familienorganisationen am 30. | |
11. 2010 in Berlin. | |
(6) [1][boeckler.de/14_37883.htm]. | |
(7) OECD: StatExtracts 2010, Income Distribution - Inequality. | |
(8) "For Two Economists, the Buffett Rule Is Just a Start", "New York | |
Times, 16. April 2012. | |
(9) Joachim R. Frick und Markus M. Grabka, "Gestiegene | |
Vermögensungleichheit in Deutschland", in: "DIW Wochenbericht, Nr. 4, 2009, | |
S. 54-67. | |
(10) | |
[2][www.vermoegensteuerjetzt.de/images/studien/Praesentation_Bach.pdf]; | |
Angaben nach einer Studie über eine Vermögensabgabe für die grüne | |
Bundestagsfraktion. | |
(11) E. N. Wolff, "Recent trends in household wealth in the United States: | |
Rising debt and the middle-class squeeze - an update to 2007", The Levy | |
Economics Institute of Bard College, Working Paper, No. 589, | |
Annandale-on-Hudson 2010. | |
(12) Capgemini, Merrill Lynch, Global Wealth Report 2011, und Boston | |
Consulting Group: Global Wealth Report 2011. | |
(13) James S.( )Henry, "The Price of Offshore Revisited - New Estimates for | |
,Missing' Global Private Wealth, Income, Inequality, and Lost Taxes", Tax | |
Justice Network, Juli 2012. | |
(14) Siehe Anmerkung 12. | |
(15) Paul Krugman, "For Richer", "New York Times Magazine, 20. Oktober | |
2002. | |
(16) Vgl. Sam Pizzigati, "Genug ist genug", "Le Monde diplomatique, Februar | |
2012. | |
(17) "Die Spur des Geldes", "Der Spiegel, 19. September 2011. | |
[3][Le Monde diplomatique] vom 10.8.2012 | |
19 Aug 2012 | |
## LINKS | |
[1] http://boeckler.de/14_37883.htm | |
[2] http://www.vermoegensteuerjetzt.de/images/studien/Praesentation_Bach.pdf | |
[3] http://www.monde-diplomatique.de | |
## AUTOREN | |
Nicola Liebert | |
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