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# taz.de -- 11. Ruhrtriennale: Komplexität muss sein
> Lebende Skulpturen und dekonstruierte Oper: Die Ruhrtriennale eröffnet
> mit Live Art und John Cages „Europeras 1 & 2“ – und erfüllt damit nicht
> alle Erwartungen.
Bild: Züchtig mit Badehose: Simon Fujiwaras Live-Art „Future/Perfect“.
Die elfte Ausgabe der Ruhrtriennale gibt im neuen Untertitel „International
Festival of the Arts“ zu erkennen, dass ihr Anspruch umfassend sein will.
Intendant Heiner Goebbels, der für drei Jahre die Geschicke des
Leuchtturm-Festivals leiten wird, setzt programmatisch starke Akzente auf
die bildende Kunst und will konsequenter als seine Amtsvorgänger die
Grenzen zwischen den Gattungen aufbrechen.
So radikal Goebbels’ Konzept ist, so verblüffend ist seine Erwartung ans
Publikum: Es darf, nein, es soll unvoreingenommen der eigenen Imagination
freien Lauf lassen, die Veranstaltungen sollen ganz ohne Voraussetzung
funktionieren. Andererseits wird dem mündigen Besucher, so das
Programmbuch, Komplexität nicht erspart. Ein riskanter Widerspruch, der
durchaus produktiv werden könnte.
Im Essener Museum Folkwang herrschte bei der Live-Art-Ausstellung „12
rooms“ die geschäftige Stimmung einer Kunstmesse: Zwölf Räume bieten
Performance-Kunst aller Richtungen und die Möglichkeit, sich in greifbarer
Nähe menschlicher Skulpturen auf intensive Konfrontationen einzulassen.
Alle zwölf Räume sind knapp bemessen, sodass der Präsenz der Akteure schwer
auszuweichen ist. Performance-Kunst in Bonsai-Format.
Viele Besucher öffnen bloß die Tür, schauen kurz rein oder bleiben gleich
draußen, wenn ihnen die Konstellation im Raum nicht geheuer oder langweilig
scheint. Tatsächlich ist das Intensitätsgefälle groß, jede Performance hat
ihren eigenen Rhythmus, in den einzufinden doch nicht jedermanns Sache ist.
## Körperliche Qual
Zwischen heiterer Interaktion und stummer Betrachtung ist alles geboten.
Nackte Frauenkörper erzwingen in zwei Fällen ehrfürchtige Stille: Marina
Abramovic’ „Luminosity“ zeigt in Höhe eines Andachtsbildes eine nackte
Frau, die rittlings auf einem schmalen Sattel balanciert und die Arme
ausbreitet wie der Gekreuzigte, den Blick ins Leere richtend. 30 Minuten
dauert die Performance, die eine körperliche Qual sein dürfte.
In Joan Jonas’ Raum „Mirror Check“ begutachtet eine Frau mit einem
Handspiegel ausdauernd ihren hüllenlosen Körper, während der athletische
Mann auf der Sonnenbank bei Simon Fujiwaras „Future/Perfect“ eine züchtige
Badehose trägt. Santiago Serras „Veterans of the wars of …“ zeigt einen
deutschen KFOR-Soldaten, der mit dem Rücken zum Publikum in der Ecke steht
und wenige rituelle Posen einnimmt. Ein schmaler junger Mann, der zugleich
nah und unendlich fremd, ja bedrohlich wirkt, wie von einem anderen Stern.
Abends folgte die Premiere von John Cages „Europeras 1 & 2“ in der Bochumer
Jahrhunderthalle, inszeniert von Heiner Goebbels. John Cages Musiktheater
von 1987 ist eine süße Rache an der Gattung Oper, eine Antioper, die
Demontage und Hymne zugleich ist: Aus 64 Opern hat Cage Zitate und
Klangfetzen herausoperiert, deren Wahl er dem Zufallsgenerator des
chinesischen Orakels I Ging überließ.
## Sekundengenau durchgetaktet
10 Opernsänger, 26 Instrumentalisten und 25 Assistenten bespielen die 90
Meter tiefe Bühne der Bochumer Jahrhunderthalle mit musikalischen
Versatzstücken aus mehr als 200 Jahren Operntradition. Zitierend auf die
Bühne gebracht werden aber auch Kulissen, Figuren und Gesten aus dem Fundus
des Genres, um herausgerissen aus ihrem ursprünglichen Kontext neue
Konstellationen zu bilden.
Der Zufall ist zwar der Meister des Konzepts von „Europeras 1 & 2“, in der
Ausführung ist das Geschehen tatsächlich bis auf die Sekunde genau
durchgetaktet, was man auf den im ersten Teil mitlaufenden Uhren unschwer
mitverfolgen kann. Neunzig Minuten lang ächzt die Opernmaschinerie auf
vollen Touren: Barocke Kulissen werden herein- und herausgefahren, rote
Samtvorhänge rauschen, Prospekte rollen herab, ein Schiff schwankt auf
Stoffwellen, ein Höllenschlund tut sich auf, und zu Händel-Koloraturen
kollern Felsbrocken herein. Der Zuschauer kann verfolgen, wie all das
gemacht wird, denn das Bühnenhandwerk wird hier offen zur Schau gestellt.
Die Perfektion der Abläufe ist atemberaubend und der Aufwand beträchtlich,
doch die üppigen Effekte nutzen sich rasch ab.
Nach diesem Bildersturm friert der zweite Teil auf stark verkürzter
Guckkastenbühne zur schwarz-weißen Scherenschnittoptik ein. In dieser edel
inszenierten Statik wird noch deutlicher, was schon zu ahnen war: Cages vor
25 Jahren revolutionäres Stück ist stark gealtert, sein anarchistisches
Potenzial ist zum ironischen Amüsement geschrumpft. Und die luxuriöse,
überbordend ästhetische, zutiefst nostalgische Inszenierung der
Ruhrtriennale erstarrt letztlich in ihrer ehrfürchtigen Perfektion. Fazit:
Ein durchwachsener Festivalstart, der an die hoch gesteckten Erwartungen
noch längst nicht heranreicht.
20 Aug 2012
## AUTOREN
Regine Müller
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