# taz.de -- Feminismus im Sender: "Latzhosen stehen mir nicht" | |
> Heute ist nach 40 Jahren der letzte Arbeitstag von Magdalena Kemper in | |
> der Frauenredaktion des RBB. Ein Gespräch über Schminkverbote, bornierte | |
> Postfeministinnen und Differenzen mit Alice Schwarzer | |
Bild: "Ich will mehr Ruhe haben, aber trotzdem noch dabei sein": Magdalena Kemp… | |
taz: Frau Kemper, Sie haben 40 Jahre lang den Feminismus im RBB vertreten. | |
Reicht’s jetzt? | |
Magdalena Kemper: Gerade jetzt gehe ich ungern. Es kommt wieder neuer | |
Schwung in den Feminismus, das war dringend nötig. Junge Frauen kommen in | |
der Redaktion an, die Generation der Alphamädchen, die eigene Themen | |
mitbringen: Sie wollen weiterkommen und sind deshalb für die Quote. Das war | |
für uns Ältere nicht so ein Thema. Auch Kinder sind für sie | |
selbstverständlicher. Ich bin froh, dass da etwas weitergeht. | |
Das war eine Zeit lang nicht so klar. Anfang des Jahrtausends lehnten die | |
Postfeministinnen den „Siebziger-Jahre-Feminismus“ rundheraus ab. Der sei | |
männer- und lustfeindlich, humorlos und verbissen. Haben die Sie gemeint? | |
Das weiß ich nicht, aber wir in der Redaktion haben uns sehr darüber | |
geärgert. Irgendwann stoßen doch viele an die gläsernen Decken, kommen | |
beruflich nicht mehr weiter, finden keinen Betreuungsplatz für ihre Kinder. | |
Eine Kollegin von mir sagte immer: „Das Imperium schlägt zurück.“ Nach all | |
dem, was die Müttergeneration der Postfeministinnen schon erkämpft hatte, | |
fand ich den bloßen Verweis auf individuelle Lösungen borniert und bitter. | |
Ich bin sehr froh, dass sich das wieder geändert hat. | |
Aber die neuen Feministinnen teilen die Kritik der Postfeministinnen: Sie | |
wollen nicht gegen Männer agieren, wollen sexy geschminkt sein und Spaß | |
haben. | |
Manches kann ich verstehen, aber vieles ist historisch schlicht falsch. Wir | |
haben nicht gegen Männer, sondern für Frauen agiert. Das Schminkverbot war | |
schon damals Blödsinn. Ich habe mich immer geschminkt. Ich habe auch nie | |
eine Latzhose getragen. Die stehen mir nicht. Zudem hatten wir ziemlich | |
viel Spaß. Da wird einfach ein altes Bild, das Männer und manche Frauen uns | |
übergestülpt haben – freudlos, grau, humorlos –, von einer Generation der | |
Ahnungslosen aufgegriffen und weitergetragen. | |
Kommt man als Feministin nicht automatisch in die Meckerecke, weil man eben | |
oft etwas zu kritisieren hat? | |
Ja, allein die geschlechtergerechte Sprache. Macht heute kein Mensch mehr, | |
auch weil unsere Ostkolleginnen dafür gelegentlich wenig Verständnis | |
hatten. Aber wir waren Redakteurinnen und nicht Redakteure. Wenn man das | |
heute immer noch korrigiert, macht man sich nicht beliebt. | |
Wieso sind Sie eigentlich Feministin geworden? | |
Die Frauenbewegung hat viele meiner persönlichen Fragen aufgegriffen: Was | |
will ich in meinem Job? Wie sortiere ich mein Privatleben? Ich habe mich ja | |
für Frauen interessiert. Ich war auch Teil der Studentenbewegung gewesen. | |
Dort war das revolutionäre Subjekt ein anderes. Das meinte nicht mich. Es | |
war mir von Anfang an klar: Diese Bewegung meint mich. Sie war und ist für | |
mich die größte, effektivste und wichtigste revolutionäre Bewegung des | |
letzten Jahrhunderts. | |
Gab es ein persönliches Erweckungserlebnis? | |
Das darf man heute gar nicht laut sagen, aber es war Verena Stefans Buch | |
„Häutungen“. Diese Anforderung, die nette, anschmiegsame Partnerin zu sein, | |
der Stefan dann einfach nicht mehr gehorcht, das hat mich tief berührt. | |
Wie haben Ihre Eltern Ihr Engagement aufgenommen? | |
Meine Familie ist katholisch, da konnte man über die Streichung des | |
Paragrafen 218 nicht gut diskutieren. Meine Mutter sagte dann: „Du bist im | |
Hungerjahr 47 geboren, alle haben gesagt, ich solle dich abtreiben. Hätte | |
ich das damals gemacht, wärst du nicht auf der Welt. Wie kannst du da für | |
Abtreibung sein?“ Aber die Mutter meiner Mutter, die ich leider nicht mehr | |
kennengelernt habe, hat in den 1920er Jahren Bildungseinrichtungen für | |
Frauen mit aufgebaut und sich um Prostituierte gekümmert. Es gab also ein | |
frauenpolitisches Erbe in meiner Familie. | |
Alice Schwarzer hat in ihren Memoiren geschrieben, die Berliner | |
Feministinnen seien besonders hart gewesen. Sie hätten alles besser gewusst | |
und ihr, Schwarzer, den Mund verboten. | |
Ich denke, dass Alice Schwarzer gewohnt war, die Prima inter Pares zu sein. | |
Ich habe erlebt, dass sie ins Frauenzentrum kam und nicht so richtig | |
gewürdigt wurde. Der rheinische Feminismus schien anders als der in Berlin, | |
entspannter und gemütlicher. Alice Schwarzer strahlt eine gewisse | |
Körperlichkeit aus, etwas Bodenständiges, sie lacht viel, fast kumpelhaft. | |
Da waren die Berlinerinnen anders. Sie kamen aus der Studentenbewegung, aus | |
dem Weiberrat, und waren theoretisch geschulte Intellektuelle. Alice | |
Schwarzer agierte auf einer ganz anderen Ebene. | |
Wie kam es zu der Magazinsendung „Zeitpunkte“? | |
1979 gab sich der Sender eine höchst progressive Hörfunkreform. Da suchte | |
man Frauen für eine Magazinsendung am Vormittag. Wir Kolleginnen vom SFBeat | |
haben uns gemeldet. Und immer mehr Frauen kamen dazu, manche direkt aus der | |
Bewegung, manche aus handfesten Berufen ohne journalistisches Vorwissen. | |
Sie waren für uns sehr wichtig, weil sie andere Kompetenzen hatten. | |
Und die HörerInnen? Wie war die Reaktion? | |
Wir haben etwas gemacht, was damals absolut unüblich war. Wir haben nicht | |
nur über Sexualität oder Gewalt geredet, sondern wir haben die Frauen mit | |
ihren Erfahrungen zu Wort kommen lassen. Wir sind zur Reportage ins | |
Frauenhaus gegangen. Das hat zu einer unglaublichen Popularisierung dieser | |
Sendung beigetragen. In den ersten Jahren hatten wir in Westberlin die | |
zweithöchste Einschaltquote. Es riefen massenhaft Hörerinnen an, die uns, | |
angeregt von unseren Sendungen, ihre Geschichte erzählen wollten. | |
Und wie reagierten die KollegInnen? | |
Ich bin heilfroh heutzutage, dass ich das nicht genau wusste. Ich hätte mit | |
der Verachtung und den Lästereien, den gelegentlichen Hasstiraden gegen uns | |
nicht gut leben können. Mir wurden gern sexistische Karikaturen an die | |
Bürotür gehängt. | |
Gab es persönliche Angriffe? | |
Es gab Respekt dafür, dass unsere Sendung derart von HörerInnen getragen | |
wird, dass man sie nicht absetzen konnte. Jedes Mal, wenn das wieder | |
anstand, gab es heftigen Protest der Berliner Frauenszene. Unterschriften | |
wurden gesammelt, Politikerinnen setzten sich ein. Aber eine Stunde Sendung | |
nur aus der Sicht von Frauen – das war eine unglaubliche Provokation. Das | |
konnten manche kaum ertragen. Ein Kollege herrschte mich mal an: „Meine | |
Frau hat mich verlassen, das liegt nur daran, dass sie eure Sendung gehört | |
hat.“ Ein anderer Kollege sagte: „Wenn ich den Namen Kemper nur höre, dann | |
kriege ich Aids.“ Er hat sich dafür allerdings entschuldigt. | |
Also war doch einiges auszuhalten? | |
Unser Schutz war das Kollektiv. Man kam aus einer Sitzung, in der wir schon | |
auch mit Verachtung und Desinteresse konfrontiert waren – und wir konnten | |
uns dann in der Redaktion etwas ausruhen. Ohne die „Zeitpunkte“-Kolleginnen | |
wäre es nicht gegangen. | |
Ist das heute noch ähnlich? | |
Es hat nachgelassen. Aber immer noch werden gern einschlägige Witze | |
erzählt, und dann wartet man darauf, wie Kemper reagiert. Aber der Umgang | |
ist respektvoller geworden. Jetzt gehen sogar einige meiner männlichen | |
Kollegen in Elternzeit. Das verändert schon den Blick, denke ich. | |
Ikone des neuesten Feminismus ist Charlotte Roche. Die hat neulich erst | |
einen Roman über Sex und die Abhängigkeit der Protagonistin von einem Mann | |
geschrieben. Wie finden Sie das? | |
Ich bin da sehr ambivalent. Frauen sollen erotische Literatur und Pornos | |
schreiben, das ist gar keine Frage. Gleichwohl geht es um Auflage. Und ich | |
sehe die feministische Debatte nicht unbedingt weitergebracht durch dieses | |
Buch. | |
Alice Schwarzer sagt, Charlotte Roche habe nicht die Lösung, sondern das | |
Problem. | |
Na ja, Probleme dürfen schon noch beschrieben werden … | |
Bei vielen jungen Frauen hat man das Gefühl, dass Sexyness für sie alles | |
ist, wirklich alles. Ist das ein Rückschritt? | |
Das ist eher eine Phase, in der Mädchen sich ihrer Sexyness versichern | |
müssen. Aber man muss auch dazu sagen, dass die Frauenbewegung in einer | |
bestimmten Schicht nie angekommen ist. Damals waren es die Petticoats, | |
heute sind es Push-up-BHs. | |
Und wenn heute kleine Mädchen mit einer Rosa-Welle überschüttet werden, | |
graust es Ihnen dann? | |
Ich bin nicht so in Sorge. Ich glaube, dass die Frauenbewegung so tiefe | |
Einschnitte in die Gesellschaft gebracht hat, dass ich die Befürchtung, | |
alles sei umsonst gewesen, nicht habe. Es muss wieder und wieder etwas | |
erkämpft werden, aber man kann das, was damals in Gang kam, nicht mehr | |
stoppen. Rosa-Phasen gehen vorbei. | |
Und Sie? In welche Phase treten Sie jetzt ein? | |
Ich muss mal gucken. Ich war nun vierzig Jahre in diesem Haus. Ich will | |
natürlich, dass die Sendung nach meinem Weggang nicht noch mehr | |
zusammengestrichen wird. Die Intendantin hat uns ihr Wort gegeben, das | |
beruhigt mich sehr. Ich will am liebsten in diesem Gesprächszusammenhang | |
bleiben. Mehr Ruhe haben, aber trotzdem noch dabei sein – so eine Mischung | |
hätte ich am liebsten. | |
23 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Heide Oestreich | |
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