# taz.de -- Freiluftschach: Denken ist ein schweres Geschäft | |
> Ältere Männer spielen Schach in Planten un Blomen. Ein Besuch an einem | |
> Ort, an dem Emotionen tiefer gehängt werden. | |
Bild: Jederzeit, bei jeder Witterung, immer - spielen ältere Herren Schach in … | |
Hermann räumt die Blätter weg. Er ist so um die siebzig. Vielleicht ein | |
bisschen drüber. Die Sonne scheint auf die weißen und schwarzen | |
Spielfelder. Hermann läuft herum. Er hat eine Hose mit Karos an, die am | |
Hintern geflickt ist. Die Figuren, die großen, stehen bereit. Die vier | |
Tische mit den Schachbrettmustern sind besetzt, mit Spielern und Kiebitzen, | |
die zugucken und Kommentare abgeben. Kaum einer unter sechzig. Nur Hermann | |
hat keinen, der sich auf eine Partie mit ihm einlässt. „Muss ich warten“, | |
sagt er. | |
Auf einem Tisch stehen eine Kaffeekanne, Milch, Zucker. Überall Fahrräder. | |
Die Männer hier sind in einem Alter, in dem es mit Damenfahrrädern leichter | |
geht. Die Fotografin stellt ihr Fahrrad ausgerechnet vor die Lücke im | |
Geländer, durch die man durchgehen muss, wenn man hinter die Büsche zum | |
Pinkeln will. Die Herren sind in einem Alter, in dem das öfters vorkommt. | |
Einer will pinkeln und schiebt brummend das Vorderrad des Fahrrads ein | |
wenig weg. | |
Hermann erzählt das, was er nun erzählt, mehr sich selbst: „Ich spiele seit | |
20 Jahren hier, vielleicht 25, und nie war was. Immer alles friedlich, auch | |
die Leute drum rum.“ Die Leute darum herum spielen Federball, Kinder zielen | |
mit Wasserstrahlen auf Bojen, ein professionell ausgestatteter Jogger in | |
neongrünem Shirt tuckert eine Runde nach der anderen durch Planten un | |
Blomen. Im Gras liegt, wem Sonne reicht. | |
Zwei sitzen auf einer Bank und diskutieren über Politik und Geschichte. | |
Zwei sitzen mit dem Rücken zur Sonne, die ihre Glatzen zum Glänzen bringt. | |
Ich weiß nicht, was hier für Bäume stehen, aber unter ihnen ist es | |
lauschig. Da drüben reibt sich ein Spieler mit der flachen Hand die rechte | |
Gesichtshälfte, der andere kratzt sich im Nacken, der dritte hat den Kopf | |
in die linke Hand gelegt, der vierte den Kopf auf die rechte Faust. Denken | |
– schweres Geschäft. | |
Zwei sitzen auf der Bank und packen ein mitgebrachtes Brett aus. Der eine | |
legt sein rechtes Bein unter seinen Hintern und setzt sich drauf. Insgesamt | |
25 Männer spielen heute hier, eine Frau. | |
Die Figuren für die Tische muss jeder mitbringen, der Schrank mit den | |
Figuren fürs große Spiel wird um acht auf- und um 22 Uhr abgeschlossen. | |
„Ein paar kommen morgens“, sagt Hermann zu sich, „die meisten nachmittags. | |
Hängt auch vom Wetter ab.“ | |
An den meisten Tischen wird Blitzschach gespielt. „Krk, krk“, macht die | |
Uhr, wenn die Spieler drauf klopfen. Am Tisch ganz links sitzt Adam. Die | |
Kiebitze können ihre Klappe nicht halten: „Den musst du machen.“ Der Gegner | |
von Adam antwortet: „Dann überlegt man mal, was da so vorgeschlagen wird, | |
und dann stellt sich das als Mist raus.“ | |
Die Atmosphäre hier ist etwas gereizt. Endspiel Turm und ein paar Bauern | |
gegen Dame und ein paar Bauern. „Gib mir meine Dame“, sagt der Gegner von | |
Adam, dessen Bauer tief in Adams Feld steht, „Himmel, Arsch und Zwirn.“ | |
Adam hat die gegnerische Dame in der Hand, denn noch ist der Bauer nicht | |
dort, wo er eine Dame werden kann. „Damit irritiert er nur den Gegner, | |
immer macht er das. Immer, das ist sein Trick. Das bringt Zeit“, schimpft | |
Adams Gegner. Adams Lippe zuckt, er zittert ein bisschen, aber er spielt | |
konzentriert weiter. Keine Dame für seinen Gegner. | |
Adam gewinnt und geht sofort weg. Sein Gegner schimpft, verlieren ist hart. | |
Adam geht rüber zu dem Tisch mit der einzigen Frau und setzt sich auf einen | |
Kiebitzplatz. Mit dem Rücken zu seinem Gegner von eben. Hermann hat | |
inzwischen einen Gegner gefunden. „Wir spielen mal so, mal so. Mal strengen | |
wir uns an, mal nicht“, sagt er. | |
Und dann die Eröffnung. Hermann singt: „Alle Jahre wieder kommt das | |
Christuskind?“ Sein Gegner, weißes Hemd, schwarze Haare, singt auch und | |
nimmt zwischendurch einen Schluck Bier aus der Dose. Hermann kommentiert | |
und erklärt jeden seiner Züge, auch die des Gegners: „Mach ich das, macht | |
er das, ist der Läufer futsch, nehm ich seinen Bauer. Nicht gut.“ | |
Vorschläge der Kiebitze diskutiert er auch. | |
Wenn das Wetter so gut ist wie heute, kann nicht jeder permanent spielen. | |
Wer dran ist, wird gerufen: Der Gegner von Adam ruft: „Adam.“ Der schüttelt | |
den Kopf. Das „Adam“ ist eine halbe Entschuldigung, vielleicht mehr als | |
eine halbe. Noch mal: „Adam, du kannst wieder.“ Adam sagt: „Ich brauch no… | |
ein bisschen Pause.“ Bedröppelt zieht der andere ab. | |
Hermann hat sich in die Bredouille gespielt. „Wenn ich das mache, bin ich | |
Schach“, sagt er, „eieiei“, sagt er, „wenn ich die Dame dorthin ziehe, … | |
der Turm weg. Auauau. Das sieht nicht gut aus.“ Hermann kämpft, bis er matt | |
ist. Er verliert nicht oft. | |
Hier wird nicht triumphiert, gejubelt, die Faust geballt, nicht dem Gegner | |
gratuliert, nicht um Geld gespielt. Jedenfalls nicht offen. „Er hat mich | |
unterschätzt“, sagt Hermanns Gegner. Harald, einer von denen, die auf der | |
Bank sitzen und Hermann zugeguckt haben, sagt: „Schachspieler sind die | |
verrücktesten Leute, aber ruhig. Verrückte, ruhige Leute.“ Klaus soll | |
spielen, braucht aber noch Pause. Adam ist inzwischen zu seinem Tisch | |
zurück gegangen. Nun spielen Harald und Horst das große Spiel: Bauer von E | |
2 nach E 4. | |
23 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Roger Repplinger | |
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