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# taz.de -- Kino mal anders: Illegaler Rave für Cineasten
> Kein Vorhang, keine Werbung, kein Popcorn. Dafür ein bisschen Abenteuer.
> Unterwegs mit einem echten Off-Kino
Bild: Unterwegs zum Joggen? Oder doch zum Secret-Cinema?
Eine Szene wie aus einem Film: Ein Radfahrer bremst scharf an einer
Kreuzung, er blickt sich suchend um. Doch da ist niemand. Der Verkehr auf
der Heerstraße dünnt aus, Ruhe legt sich über das Charlottenburger Westend.
Plötzlich geht es ganz schnell: Noch ein Radler bremst. Dann kommen sie aus
allen Richtungen, minütlich werden es mehr. Bald sind es 20, dann 50,
schließlich über 100. Einige tuscheln, andere schauen sich verstohlen um.
Eine Geheimaktion!
Sie alle haben dieselbe E-Mail erhalten – mit einer Uhrzeit, einem
Treffpunkt und einem anonymen Absender: eine Einladung ins Secret Cinema.
Die Veranstaltung ist für Cineasten das, was für Technofans ein illegaler
Rave ist. Die geheime Kinoreihe findet vor allem im Sommer statt. Das
Publikum wird per Mailverteiler an verlassene Orte gelotst, wo ein
Überraschungsfilm gezeigt wird.
Die Veranstalter sind scheu. „Wir wollen keine große Öffentlichkeit, sonst
kann unser Kino nicht mehr stattfinden“, sagt einer. Lizenzen haben sie
keine, die Nutzung der Orte ist nicht genehmigt. Aber sie machen das schon
seit zehn Jahren so. Aktionen wie das Secret Cinema wirken wie ein Relikt
aus den 90ern, als in Ostberlin noch viele Eigentumsverhältnisse unklar
waren und es weniger Regulierung, aber illegale Clubs gab, die man kannte
oder eben nicht. Die Macher vom Secret Cinema sehen sich offenbar in dieser
Tradition: „Wir sind altmodisch. Keine Werbung, kein Marketing und kein
Facebook. Wir wollen uns nicht profilieren, uns geht es nur um eine gute
Aktion für die Gäste.“
Im Westend fährt nun ein Mann auf einem Motorroller vor: „Es geht los“,
sagt er. Fast gleichzeitig hält ein ausrangierter beigefarbener BVG-Bus am
Beginn der Teufelschaussee. „Alle die kein Rad haben in den Bus, alle
anderen mir nach.“ Nach 20 Minuten Fahrt durch die Dunkelheit geht es zu
Fuß weiter, bergauf, durchs Dickicht. Der Boden ist aufgeweicht. Einige
schultern ihre Räder, andere haben sie im Wald aneinandergekettet.
Ein Junge mit Baskenmütze erzählt, wohin es die letzten Male ging: „Einmal
war es ein stillgelegter S-Bahnhof. Und vor ein paar Monaten ein
verfallenes Krankenhaus. Da hat die Polizei aber am Ende geräumt.“
Jetzt zwängt sich die Gruppe durch ein Loch in einem Bauzaun, und
inzwischen ist auch das Ziel des konspirativen Ausflugs offensichtlich: die
alte Abhörstation auf dem Teufelsberg. Die beiden weißen Türme der Ruine
aus dem Kalten Krieg ragen in die Nacht. Ab und zu finden hier illegale
Partys statt, an den Wochenenden werden Touristenführungen angeboten. Unter
Berlins verlassenen Orten ist die Station auf dem Teufelsberg sozusagen ein
Klassiker.
Man steigt über Treppen vorbei an klaffenden Löchern, Teelichter flackern
auf den Stufen. Sicherheitsgeländer gibt es nicht. Vor Betreten des Turms
mussten alle eine Erklärung unterzeichnen: Diese Begehung findet auf eigene
Gefahr statt.
In der dritten Etage dienen schwarze, umgedrehte Plastikmülleimer als
Sitze, ein Beamer wirft den Vorspann an eine rissige Wand. Ganz oben, im
Inneren der Antennenkuppel, ist ein Tisch mit Flaschenbier und Knabberzeug
aufgebaut. Gezeigt wird ein deutscher Spielfilm aus 80er Jahren. Es geht um
den Deutschen Herbst, die RAF, den Radikalenerlass. Die Handlung ist
verworren, die vergangenen 30 Jahre sind nicht spurlos am Film
vorbeigegangen. Verfassungsschützer in Trenchcoat und Schlapphut beschatten
in Kreuzberg einen linken Lehrer. Einige langweilen sich, sie erkunden die
Station weiter oder steigen aufs Dach. Doch das Warten lohnt sich:
Irgendwann spaziert der Lehrer über den Teufelsberg – und schaut mit seiner
französischen Freundin zur Abhörstation herüber. Eine Wetterstation sei
das, erklärt er ihr. Szenenapplaus und Gejohle.
Solche Momente machen das Secret Cinema aus: Ort und Film gehören immer
irgendwie zusammen. „Wir wollen, dass die Zuschauer das Gefühl haben, im
Film zu sitzen“, sagt ein Veranstalter. Stolz sind sie darauf, dass meist
niemand bemerkt, dass sie überhaupt dort waren. „Wir bauen den Beamer auf,
gucken den Film und sind wieder weg. Aber wir gehen auch an Orte, wohin
sich andere nicht trauen. Eine Party in der Hasenheide ist nicht originell,
sondern dämlich“.
Das Secret Cinema hat schon einen DDR-Film über eine Neubausiedlung in
einer Hochhausruine gezeigt oder einen Film über Gärten in einer
Laubenpieperkolonie. Früher war so etwas auch mitten in der Stadt möglich,
inzwischen sei das schwierig geworden, berichtet einer der Organisatoren.
Auch die Mentalität der Leute habe sich mit den Jahren verändert. „Wenn du
heute eine illegale Party im dritten Hinterhof machst, fragen sie als
Erstes, ob das genehmigt ist und wo die Toiletten sind. Natürlich gibt es
keine.“
Nach dem Film stehen viele der Kinogänger auf dem Dach und schauen auf die
dunkle Stadt herab. Es ist ein warmer Abend, das letzte Bier wird
ausgetrunken. „Ich wäre niemals alleine hierhergekommen“, sagt Jan. Der
Student wohnt eigentlich in Potsdam, von der Abhörstation hat er schon viel
gehört. Auch seine Freundin ist begeistert: „Ein Abenteuer“, findet sie.
Über den Film spricht fast keiner mehr.
Einer der Veranstalter räumt die Flaschen zusammen und faltet eine
Tischdecke, als sein Telefon klingelt. Er nickt kurz, legt auf und ruft:
„Schnell jetzt, die Polizei ist da.“ Die Kinogänger schnappen sich den
Tisch und die Bierkästen und rennen die Treppen hinab. Schnell zerstreut
sich die Gruppe. Nur das Blinken der Fahrradlampen ist noch eine Weile zu
sehen.
2 Sep 2012
## AUTOREN
Laurence Thio
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