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# taz.de -- Rollin-Ausstellung in München: Nackte Psychedelic-Vampire
> Er verband die Lebensentwürfe der Hippiekultur mit dem Surrealismus: Das
> Filmmuseum München zeigt das Werk des französischen Regisseurs Jean
> Rollin.
Bild: Ein typischer Rollin, hier noch bekleidet: „Nude Vampire“, 1970.
Sein Pulli ist rot, ihr Hemd gelb – zwei frisch Verliebte, die einander
küssen und necken, zwei umeinander scharwenzelnde Farbkleckse in einer
neblig-diesigen, laub- und moosfarbenen Welt des Verfalls. Schwer und
bedrohlich dagegen die Kulisse der massiven, schwarzen Lokomotive, auf der
beide mit einer Leichtigkeit herumtanzen als hätte man sie von einer
Pusteblume gepustet: Unwirklich anmutende Lebensfreude vor einem bleiernen
Monument des Todes.
Schließlich führt Rot Gelb auf den Friedhof, dort in eine Gruft, wo sie
sich lieben. Dann ist es draußen dunkel und der Friedhof eine ewig
durchschreitbare Welt ohne Äußeres geworden, die der Komponist Pierre Raph
in dunkel klirrende Musik einwebt. Den Ausgang suchen beide und finden ihn
nicht. Vielleicht, so ahnt man irgendwann, sind sie als Tote, die sich
Leben und Liebe erträumten, auch bloß heimgekehrt.
Dass dieser Film von 1973, „La Rose de Fer“, den größten Flop seines
Regisseurs darstellt, verwundert nicht: Zu quer steht er zu allen
Erwartungen, mit denen ein vornehmlich jugendliches Publikum ans Horrorkino
tritt, zumal 1973, als der Horrorfilm in den USA sich im Zuge einer
Selbstmodernisierung des Gerümpels der europäisch geprägten Phantastik bis
auf weiteres entledigte, während in Großbritannien die gediegen
angestaubten Hammer-Studios sich völlig orientierungslos in Obskuritäten
wie „Dracula jagt Mini-Mädchen“ stürzten.
Ein fragiles, in seiner Sachtheit und morbiden Schönheit rundum
beglückendes Filmpoem wie dieses, das mit vollen Händen aus der
literarischen Tradition der schwarzen Romantik schöpft, mit dem
Surrealismus von Buñuel bis Franju flirtet und zudem Antonionis
modernistische Filmästhetik auf Sichtnähe hält, ist schwer mit dem
Interesse des Genrekinos an einer eindeutigen Emblematik vereinbar. Einmal
sieht man eine gelangweilte Dracula-Figur beim Rückzug in ihre Gruft:
Deutlicher kann eine Absage an Papas Gruselkino kaum ausfallen.
## Schludrige Pornos und Horrorfilme
Nicht, dass es bei diesem Regisseur an Vampiren mangelt: Sein voller Name
lautet Jean Michel Rollin Le Gentil. So verhakt sein Name, so säuberlich
getrennt seine zwei Filmografien: Als Michel Gentil drehte er (angeblich
mit gesenktem Blick vor lauter Verlegenheit ob der indiskreten Situation)
eine Reihe schludriger Pornos, die auch für Retro Porn Chic unnütz sind.
Der Brotjob gestattete es ihm, unter dem Namen Jean Rollin in einem
auteuristisch faszinierend stimmigen Werk dem Horror- und Vampirgenre jene
Form morbid-lyrischer, psychedelisch entgrenzender Schönheit
zurückzuverleihen, die ihm auf dem langen Weg aus den Schreibstuben des 18.
und 19. Jahrhunderts in die Bahnhofskinos der 70er Jahre abhanden gekommen
ist.
Obendrein verband er darin die Sehnsucht nach neuen Lebensentwürfen der
Hippie- und Subkultur mit einer phantastischen Variante des Surrealismus,
den Räuschen der Romantik und den bizarren Fantasien der
Groschenheftromane. So klingen seine Filmtitel wie „Lèvres Du Sang oder
„Les Demoniaques“ auch wie Versprechen einer verbotenen Schattenwelt, wie
sie ihm vielleicht Georges Bataille, der Philosoph der sexuellen
Ausschweifung und Vergeudung, als Freund der Familie am Kinderbett
eingeflüstert haben mag.
## Rächende Musen
Rollins Filme sind bis an die Grenze zum Somnambulen entschleunigt, für ihr
Desinteresse an plausiblen Plots, ja Plots überhaupt geradezu berüchtigt.
Während deutsche Krautrocker den Inner Space ihrer Generation musikalisch
erkundeten, verfolgte Jean Rollin im benachbarten Frankreich mit seinen
traumwandlerischen Filmfantasien ein ganz ähnliches Projekt: In seinem
frühen Meisterwerk „La Vampire Nue“ verliert sich ein junger Mann in den
Verstrickungen eines mysteriösen Libertinage-Zirkels hinter bürgerlicher
Fassade – eine ganz eigene Interpretation von Schnitzlers „Traumnovelle“
unter den Bedingungen des Horrorfilms.
Man mag Rollins idiosynkratischen Low-Budget-Auteurismus schundig finden –
besser beraten ist man, in jenem Zustand reizvoll dämmerigen Kinofiebers,
dem das Anti-Erzählkino Vorschub leistet, in diesen Filmkosmos voller
artifizieller Tristesse, nackter Psychedelic-Vampire und rächender Musen
lustzuwandeln. Die Möglichkeit dazu bietet sich im Filmmuseum München, das
den 2010 von der Öffentlichkeit fast unbemerkt verstorbenen Filmemacher ab
heute mit einer überfälligen Werkschau ehrt.
Die rustikal blödsinnige Poetik der historischen deutschen, delirant ins
Kraut schießenden Bahnhofskino-Verleihtitel wie „Sexualterror der
entfesselten Vampire“ muss man dabei geflissentlich ignorieren. Unter
solchen marketingträchtigen Verbiegungen gilt es, das faszinierende Werk
eines einzigartigen Kino-Obskuranten zu bergen.
5 Sep 2012
## AUTOREN
Thomas Groh
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