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# taz.de -- DIE WAHRHEIT: Wir sind Korn
> Festivalsommer: Open Air aus der Warte echter Superstars.
Bild: Das ist Jonathan Davis ohne einen seiner neuen Gitarristen, deren Namen i…
Als uns der Shuttlebus am Bahnhof abholt, sind wir aufgeregt wie die
Teenies. Schon seit Ewigkeiten haben Kollege Fischer und ich kein Festival
mehr besucht – und jetzt treten wir sogar auf einem auf: dem „Open Flair“
im nordhessischen Eschwege! Im Backstagebereich, am Garderobenzelt, begrüßt
uns der Kollege Gieseking, mit dem wir hier heute Nachmittag lesen. Er hat
bis in den frühen Morgen mit den Leningrad Cowboys gezecht und sieht
einigermaßen zerstört aus.
Um sich frisch zu machen, knabbert Gieseking in der Sonne hinter dem
Zirkuszelt ein wenig Catering-Gemüse. Seine Freundin Rita besorgt uns
derweil zwei Festival-T-Shirts, deren Anblick uns mit unbändigem Stolz
erfüllt. Während auf unseren Backstagepässen nämlich nur schnöde „Künst…
steht und demütigenderweise auch die Bühne („Kleinkunst“), prangen auf der
Rückseite des T-Shirts tatsächlich unsere Namen, ganz klein und ganz weit
unten, aber immerhin auf demselben Kleidungsstück wie die fettgedruckten
Schriftzüge von Korn, Bush und den Beatsteaks.
„Meinst du, die Typen von Korn haben auch noch so eine kindliche Freude
daran, ihren Namen auf einem Festival-Shirt zu lesen?“, fragt Kollege
Fischer. „Inzwischen wieder“, sage ich. „Die heutige Jugend kennt diese
NuMetal-Bands der Neunziger doch gar nicht mehr richtig.“
Als eine Frau aus dem Festivalteam wissen möchte, wer wir sind, probieren
wir es einfach aus. „Wir sind Korn“, strahle ich. „Doch wirklich, wir
stehen hier auf dem T-Shirt“, deutet Fischer zum Beweis auf das Korn-Logo.
Die Frau lächelt nachsichtig und erklärt uns irgendwas zu den
Übernachtungsmodalitäten. „Wir sagen trotzdem allen, dass wir Korn sind“,
schlage ich anschließend vor. „Weiß doch keiner, wie die aussehen.“
„Superidee“, sagt Fischer skeptisch und hält mir den Backstagepass unter
die Nase. „Schau mal: Da steht ’Kleinkunst‘!“ „Auch für uns von Korn…
es nicht mehr so rund“, erkläre ich. „Der Niedergang der Musikindustrie,
die illegalen Downloads, die verdammte Piratenpartei … Man muss nehmen, was
man kriegt.“
Und das tun wir. Nachdem wir das Zirkuszelt gerockt haben, begeben wir uns
in den Backstagebereich der Hauptbühne, um uns am Rockstar-Catering gütlich
zu tun und tüchtig zu betrinken. Außerdem hat Gieseking versprochen, dass
wir die Konzerte von der Nebenbühne aus anschauen können und unten an den
Biertischen vielleicht sogar einige Rockstars kennen lernen.
Wir sehen aber keine – nur Leute, von denen andere Leute tuscheln, dass es
sich dabei um die Beatsteaks handeln könnte. Immerhin lernen wir eine
Zwanzigjährige kennen, die auf Nachfrage mitteilt, dass sie die letzte
Platte von Korn mit ihren Dubstep-Experimenten überwältigend schlecht
findet.
Danach schauen wir uns die Beatsteaks von der Nebenbühne aus an, was hübsch
aussieht, allerdings schnell langweilig wird, weshalb wir zum
Festivalbüro-Container gehen, um unsere Gage abzuholen. „Wir sind Künstler
und wollen abkassieren“, sagen wir zur Begrüßung. „Was seid ihr denn für
Künstler?“, fragt der Typ hinter dem Schreibtisch. „Wir sind Korn“, zisc…
ich. „Genau, Korn“, sagt Fischer und nickt finster.
„Dann tretet ihr aber erst morgen auf“, sagt der Typ scharfsinnig und
verstrickt uns in ein Gespräch, in dem schnell klar wird, dass zwischen
unserer Gage und der von Korn doch ein kleiner Unterschied besteht.
Mittendrin platzt eine junge Festival-Mitarbeiterin herein und wird vom
Bürochef vertröstet: „Ich habe hier grad Künstler sitzen.“ – „Und we…
ihr?“, fragt sie. „Korn“, rufen wir unisono. „Ich bin Jonathan Davis“…
ich hinzu, „und das ist einer von meinen neuen Gitarristen, dessen Name mir
gerade nicht einfällt.“
Sie ist begeistert: „Wow! Echt?“ – „Ach – ist auch kein Zuckerschleck…
wehrt Fischer bescheiden ab. „Wir müssen jetzt zum Beispiel das ganze Geld
zählen“, sage ich missmutig. Sie runzelt die Stirn. „Nee, ne?“, funkelt …
den Bürochef an. Und zu uns: „Ihr seid gar nicht Korn! Ihr habt mich
reingelegt! Ich hab’s echt kurz geglaubt.“ Viele Nachtstunden später
steigen wir vor unserem Landhotel aus dem Shuttle. Vor der Tür kommen uns
die Reste einer Hochzeitsgesellschaft entgegen. „Die sind vom Open Flair!“
gellt es.
„Was für ’ne Band seid ihr denn?“ Routiniert beginne ich: „Wir sind Ko…
Doch diesmal ist Fischer schneller: „Gestatten, Jonathan Davis!“ „Und ich
bin einer der neuen Gitarristen“, sage ich lahm, „der, dem sein Name
manchmal entfällt.“ – „Kriegen wir Autogramme?!“, kreischen die beiden
jungen Damen entfesselt. Als wir einwilligen, lupfen die beiden
unverzüglich ihre Röcke und halten uns ihre Oberschenkel zum Signieren hin.
Während Fischer auf beide in Schönschrift „Jonathan Davis“ hinschreibt,
erfinde ich schnell einen „Rick Bick“, na ja, betrunken halt.
Die Pärchen sind dann schön zu ihren Autos gegangen, die Männer leicht
verstimmt darüber, wie schnell ihre Frauen vor Rockstars die Röcke lupfen,
und wir krachbesoffen ins Bett – als Korn und Doppelkorn.
5 Sep 2012
## AUTOREN
Mark-Stefan Tietze
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