# taz.de -- Bosbach, der Tod und das Fernsehen: Bis zum bitteren Ende | |
> Der schwer krebskranke CDU-Politiker Wolfgang Bosbach möchte am liebsten | |
> bei der Arbeit sterben. Ein Tabubruch ist das nicht. | |
Bild: Lieber bis zum Ende schuften, statt sang- und klanglos auf einem Krankenh… | |
Ein Sterbender macht Wahlkampf. Das ist neu, und es funktioniert. Wolfgang | |
Bosbach (CDU) gibt gerade viele Interviews und die Reaktionen auf seine | |
Ankündigung, auch todkrank 2013 für den Bundestag kandidieren zu wollen, | |
fallen fast immer positiv aus. | |
Auch in Talkshows konfrontiert Bosbach die Runde freundlich und nüchtern | |
mit der Tatsache, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleibe, er aber auf jeden | |
Fall weiterarbeiten wolle. Auch seine Todesangst verschweigt der | |
Konservative nicht. Diese Mischung aus Verletzlichkeit und Unberührtheit | |
verwirrt, beeindruckt aber auch. | |
Wenn Wolfgang Bosbach am liebsten bei der Arbeit sterben möchte, dann ist | |
dieser Wunsch völlig legitim. Aber ist Bosbachs talkshowkompatible | |
Ankündigung des eigenen Todes auch ein Tabubruch, wie viele meinen? Weil | |
unsere Gesellschaft den Tod ja so verdränge, der Tod mithin das letzte Tabu | |
sei, nachdem die 68er und alle nach ihnen den Sex aus der Privatsphäre | |
entlassen haben? | |
## Tod im Scheinwerferlicht | |
Die Öffentlichkeit tabuisiert den Tod nicht, sie liebt ihn, sie vermarktet | |
ihn, sie banalisiert ihn. Ohne müde zu werden, verhandeln und bebildern die | |
Medien und das Kino den Tod, die Leiche, das Sterben. Nicht nur die | |
Nachrichten, auch die Unterhaltungsindustrie ist voller toter Körper. | |
Mal subtil, mal nicht, entwickelt sie aus dem Tod im Scheinwerferlicht | |
heraus ihre Geschichten. Und macht einem Massenpublikum dabei Vorschläge, | |
wie es mit dem Tod im Leben umgehen kann oder soll. Reale und fiktive | |
Erlebnisräumen greifen mit dem verstärkten Konsum von Medienbildern immer | |
stärker ineinander. | |
Im Akkord gestorben wird zum Beispiel in den Krankenhaus-Soaps. „Emergency | |
Room“ wurde von 1994 bis 2007 von einem Millionenpublikum weltweit | |
begeistert konsumiert. Die Serie machte übrigens in ihren Anfängen den in | |
seinen Anfängen noch gar nicht so schmucken George Clooney berühmt. Das | |
Erfolgsrezept: Zeige den amerikanischen Krankenhausalltag so krass, wie | |
eine Seifenoper es erlaubt. | |
Die Notaufnahme wird hier zur Metapher für den Turbokapitalismus, der | |
keinen Platz hat für Schwache und Sterbende, aber ArztheldInnen aufbietet, | |
die gegen diese Unmenschlichkeit anarbeiten. Sisyphosarbeit – die Moral | |
stirbt zuletzt. Jeden Tag aufs Neue versuchen übermüdete, schlecht bezahlte | |
Jungärzte ihr Bestes, um kurz vor knapp Leben zu retten. Trotzdem wird viel | |
gestorben. Haben die Patienten Pech, kommt das überlastete Personal nicht | |
einmal dazu, einen Vorhang vorzuziehen, um wenigstens ein bisschen | |
Privatsphäre zu simulieren. | |
## Mit der Kamera voll drauf | |
Der bittere Subtext lautet: Dein Leben hängt vom Tageszustand eines | |
Poststudiumslehrlings ab, der mit seinem Privatleben nicht zu Rande kommt | |
und auch gern mal Sex hätte als Aufputschmittel und nicht nur Schlafentzug. | |
Also unkonzentriert sein kann, während er mit dem Skalpell hantiert. | |
„ER“ mutet den ZuschauerInnen einiges zu. Nachfolgeserien wie „Grey’s | |
Anatomy“ sind deutlich vorsichtiger und kitschiger. Aber auch hier hält die | |
Kamera voll drauf, wenn Körper in Windeseile aufgeschnitten werden oder nur | |
noch der Elektroschock das Herz ins Laufen bringt. | |
Das sanglose Sterben auf dem Krankenhausgang findet dagegen eher nicht ins | |
Bild, man setzt beim Schrecklichen lieber auf Action. Trotzdem: Der Tod ist | |
immer anwesend, auch beim Sex. Wie oft werden die ÄrztInnen in allen Serien | |
aus dem Bett geholt! Die Sterberei ist das Hintergrundgeräusch, selbst von | |
ganz jungen Menschen, die das Leben noch vor sich haben und hart an ihrer | |
Karriere arbeiten. | |
## Leichen im Keller | |
Oder die Qualitätsserien des US-Pay-TV-Kanals HBO. „Six Feet Under – | |
Gestorben wird immer“ erfindet die Familiensaga zwischen 2001 und 2005 neu, | |
denn porträtiert wird das Leben in einer Bestattungsfirma in Familienhand. | |
Folge um Folge werden Leichen im Keller des Einfamilienhauses für die | |
Aufbahrung hübsch gemacht, die dann im Erdgeschoss stattfindet, während die | |
Dramen der multisexuellen Familie in der Küche eine Etage darüber | |
ausgetragen werden. Das Leben als Puppenhaus. Der Tod ist buchstäblich und | |
metaphorisch die Existenzgrundlage. | |
Oder die grandiose Mafiaserie „Sopranos“. Im Nachgang zu Martin Scorseses | |
Mafiaklassiker „Goodfellas“ (1990) mordet sich die Familie Soprano | |
sukzessive in die Mittelschicht hinein, die sie willig empfängt. Der Haken | |
ist nur, dass das mit der Sinnstiftung nicht so richtig klappen will. | |
Tony, der Boss, wird über sein Geschäft und seine Familie depressiv. Oder | |
ganz aktuell, zumindest im deutschsprachigen Fernsehen: die gerade auf Arte | |
ausgestrahlte dänische Krimiserie „The Killing“, die die modeversessenen | |
Briten schon vor drei Jahren zum ersten Mal überhaupt in ihrer | |
Fernsehgeschichte Untertitel ertragen ließ – überall begegnen die Zuschauer | |
mit freudiger Angstlust dem Tod und Sterben und der Trauer, und zwar mitten | |
im zivilen Alltag. | |
## Unerschütterlicher Arbeitsethos | |
Wie sie alle im Angesicht des Todes weitermachen, wie sie fürs Leben | |
kämpfen, und dauert es auch nur noch kurze Zeit, wie das Leben im Angesicht | |
des Todes weitergeht – dieses Narrativ durchzieht die Massenkultur wie ein | |
roter Faden. | |
Auch Wolfgang Bosbachs Rede vom eigenen Tod folgt dieser Dramaturgie: Ich | |
leugne den Tod nicht, ich nehme ihn als Bestandteil meiner Gegenwart an – | |
aber ich werde so lange wie möglich nichts an meinem Leben, auch nur an | |
meinem Alltag ändern. Wenn alles gut geht, werde ich arbeiten bis zum | |
Umfallen. Auch unsere Fernsehärzte und -kommissare arbeiten und arbeiten, | |
auch sie begegnen dem Schrecklichen, das am Ende immer siegt, mit schier | |
unerschütterlichem Arbeitsethos. | |
Der Tod, die größte Veränderung, die ein Mensch in der Lage ist zu | |
vollziehen, er wird durch diese Haltung nicht geleugnet, aber gebannt: Du | |
veränderst mich nicht, sagt Bosbach, zumindest noch nicht. In einer | |
säkularisierten Gesellschaft, in welcher der Heldentod kein Ideal mehr ist, | |
flößt dieser mit eiserner Arbeitslust unterlegte Widerstand gegen des | |
Menschen größten Feind Respekt ein. | |
Eine gesellschaftskritische Auseinandersetzung mit dem Tod wird in der | |
Leistungsgesellschaft ohne verlässlichen Gott gnadenlos vernachlässigt. | |
Wir, so sagt das Kollektiv, werden euch zeigen, wie man bis zum bitteren | |
Ende arbeitet. Und warum sehen wir uns die leistungsgeschwängerten | |
Todesgeschichten an? Weil wir so wahnsinnig gern überleben. Solange wir | |
fernsehen können, sterben ja nur die anderen. Das genießen wir. | |
4 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Ines Kappert | |
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