# taz.de -- „Müll-DNA“ doch kein Müll: Millionen von Schaltern | |
> Lange galten im menschliche Erbgut nur die Gene als relevant. Das | |
> „Encode“-Projekt beweist nun das Gegenteil – sinnlose Teile der DNA gibt | |
> es demnach kaum. | |
Bild: Insgesamt besitzen 80,4 Prozent des menschlichen Genoms in mindestens ein… | |
LONDON/WASHINGTON dpa | Ein weit größerer Teil des menschlichen Erbguts als | |
bislang angenommen hat eine Funktion. Mehr als 80 Prozent besitzen | |
zumindest eine Aufgabe. Sinnlose Abschnitte – sogenannte Junk-DNA – gibt es | |
kaum, wie das Mammutprojekt „Encode“ ergeben hat. | |
In der „Encyclopedia of DNA Elements“ (Enzyklopädie der Erbgutelemente) | |
erfassen Wissenschaftler, welche Funktion die etwa drei Milliarden | |
Basenpaare der menschlichen DNA haben. In Fachjournalen wie Nature und | |
Genome Research sind rund 30 Beiträge zu den Ergebnissen veröffentlicht. | |
Das Projekt erweitere das Wissen über Krankheiten, bei denen genetische | |
Faktoren eine Rolle spielen und sei eine wachsende Ressource für neue | |
Ansätze in der Biomedizin, schreibt das „Encode“-Konsortium in einem | |
Übersichtsartikel in Nature. Beteiligt sind mehr als 440 Forscher aus über | |
30 Instituten. Die bisher 15 Terabytes (15 Billionen Bytes) an Rohdaten | |
sind frei zugänglich. | |
Mehr als 1640 Datensätze zu 147 Zelltypen seien in die Datenbank | |
eingeflossen, schreibt das „Encode“-Konsortium. Und es wird klar: Die | |
„Junk-DNA“ ist in Wirklichkeit ein gewaltiger Steuerungsapparat für die | |
Abläufe in den Zellen. „In unserem Genom wimmelt es nur so von Schaltern: | |
Millionen von Stellen, die dafür verantwortlich sind, ob ein Gen an- oder | |
abgeschaltet wird“, erläutert „Encode“-Analysekoordinator Ewan Birney in | |
einer Mitteilung des European Bioinformatics Institute (EMBL-EBI). | |
2003 war beim Humangenomprojekt die Reihenfolge der Erbgutbausteine des | |
Menschen abschließend bestimmt worden. Im Anschluss war vom National Human | |
Genome Research Institute (NHGRI) in Bethesda (US-Staat Maryland) das | |
öffentliche Forschungskonsortium „Encode“ ins Leben gerufen worden. Ziel | |
ist es, alle Elemente im Erbmaterial DNA aufzuspüren, die eine Funktion | |
haben. | |
## Viel mehr Informationen gespeichert | |
Nur ein Bruchteil des menschlichen Erbguts enthält Gene, Abschnitte mit | |
Bauplänen für die Proteine der Zelle. Lange Zeit war angenommen worden, | |
dass große Bereiche der DNA überflüssiger, im Verlauf der Evolution | |
angesammelter Müll (Junk-DNA) sind. Bei einem „Encode“-Pilotprojekt hatten | |
Forscher bis 2007 ein Prozent des menschlichen Genoms untersucht. Gezeigt | |
wurde, dass im humanen Erbmaterial viel mehr Informationen gespeichert sind | |
als angenommen. | |
Jetzt ist ganz klar: Die „Junk-DNA“ ist in Wirklichkeit ein gewaltiger | |
Steuerungsapparat für die Abläufe in den Zellen. „In unserem Genom wimmelt | |
es nur so von Schaltern: Millionen von Stellen, die dafür verantwortlich | |
sind, ob ein Gen an- oder abgeschaltet wird“, erläutert | |
„Encode“-Analysekoordinator Ewan Birney in einer Mitteilung des European | |
Bioinformatics Institute (EMBL-EBI). | |
Nicht nur Veränderungen in den Genen, sondern auch Abweichungen in diesen | |
bisher wenig berücksichtigten Bereichen können zu Krankheiten führen. | |
Forscher um John Stamatoyannopoulos von der University of Washington in | |
Seattle zeigten dies für die chronische Darmentzündung Morbus Crohn, die | |
Nervenkrankheit Multiple Sklerose und Herzleiden. | |
## Regulatorische Bereiche | |
Veränderungen der regulatorischen Bereiche außerhalb der eigentlichen Gene | |
seien in diese und andere Krankheiten tiefgreifend involviert, berichten | |
die Wissenschaftler im Fachmagazin Science. Insgesamt besitzen – nach | |
derzeitigem Stand – 80,4 Prozent des menschlichen Genoms in mindestens | |
einem Zelltyp zumindest eine Funktion. | |
Einige beeinflussen, ob und wann ein Gen abgelesen wird, andere wirken sich | |
auf die Struktur des Erbguts aus. Die Arbeit sei noch lange nicht zu Ende, | |
erklärt Nature-Autor Brendan Maher. Niemand wisse, wie viel mehr | |
Informationen das Genom in den rund 180 verschiedenen Zelltypen noch | |
bereithalte. Bis zu einem umfassenden Handbuch zur Funktion des Menschen | |
ist es noch immer ein weiter Weg. | |
6 Sep 2012 | |
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