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# taz.de -- Fotografie von Edward Burtynsky: Öl auf Fotopapier
> Edward Burtynsky Fotografien dokumentieren eindrucksvoll die Abhängigkeit
> der Welt vom Öl. Gleichermaßen zeigt er Förderung, Transport und Nutzung.
Bild: Ölfelder (Bildausschnitt).
„Die Szenerie erinnerte mich an den Beginn des industriellen Zeitalters,
fast wie in einer Geschichte von Charles Dickens.“ Der kanadische Fotograf
Edward Burtynsky, geboren 1955 in St. Catharines, schildert so seine
Eindrücke vom Shipbreaking in Bangladesh.
Riesige ausrangierte Öltanker werden dort in ihre Einzelteile zerlegt. Eine
mörderische Arbeit, die viele der Arbeiter barfüßig und mit bloßen Händen
oder mit einfachsten Geräten täglich ausführen. Die Fotografien von
Burtynsky wirken surreal und apokalyptisch. Riesige Schiffswracks liegen
gestrandet im Hafen und klaffen auseinander. Davor Menschen, die in einem
unwirklichen Licht durch öligen Schlick waten und an überdimensionalen
Wrackteilen schneiden und schweißen (Chittagong, 2000).
Burtynsky bringt auf unprätentiöse Weise die unheilvolle Verkopplung von
Konsum, Umweltzerstörung und Ausbeutung, die zwischen den reichen
Industrienationen und den Schwellen- und Entwicklungsländern besteht, ins
Bewusstsein.
## Erdöl als Nachhall einer anderen Ära
Auf den Bildern aus Chittagong sieht man den Endpunkt eines
Produktionsprozesses, der sich ausschließlich um Öl dreht. Die riesigen
Tanker transportieren hunderttausende Barrel Öl weltweit über die Meere, um
den Hunger auf die kostbare Ressource und die daraus entstehenden Produkte
zu befriedigen. Wenn die Schiffe veraltet sind, werden sie nach Bangladesh
gebracht und dort abgewrackt.
Mag das 21. Jahrhundert auch das Jahrhundert der digitalen Revolution, der
Gentechnologie oder der vollautomatischen Produktion sein, an vielen Orten
der Welt sind die Lebens- und Arbeitsbedingungen jedoch noch wie zu Beginn
des Industriezeitalters: brutal, unwürdig und giftig.
Edward Burtynsky gliedert seine Arbeit in unterschiedliche Themenfelder wie
„Extraction“ , „Transport“ oder „End of Oil“. Im Kapitel „Transpo…
er, wie individuelle Mobilität, Infrastruktur und Benzinverbrauch
ineinandergreifen. Die Autobahnkreuze (Highway, 2003) bilden in Los Angeles
unübersehbare Netze, die allmählich zum Zentrum der Stadt geworden sind und
die zersiedelten Teile der Megacity miteinander verbinden.
Hunderttausende von Autos produzieren täglich Emissionen in unvorstellbarer
Menge und lassen die Stadt im Smog ersticken. Aber wer könnte in L.A. ohne
Auto zur Arbeit fahren, Einkaufen oder soziale Kontakte pflegen? Alles fußt
auf dem Phänomen des individuellen Verkehrs und damit auf dem Verbrennen
von Kraftstoff.
## Zeitlos präsenter Grundstoff der Moderne
Burtynsky zeigt an diesem Beispiel lediglich einen kleinen Ausschnitt der
auf Öl basierenden Produktion und dem daraus resultierenden Verbrauch; denn
nahezu jedes Gerät und jeder Gegenstand, den wir ganz selbstverständlich
nutzen, ob Smartphone oder Auto, Medikamente und Kosmetika,
Kinderspielzeuge, Computer, Flugzeuge oder Plastikteller, fast alles
basiert auf der Förderung und Verarbeitung der endlichen Ressource Öl.
Als 1859 in Titusville in Pennsylvania die ersten großen Ölfelder in
Amerika erschlossen wurden, ahnte niemand, dass damit ein industrieller
Prozess gestartet wurde, der alle Aspekte der gesellschaftlichen
Organisation grundsätzlich und nachhaltig verändern würde.
Schon 1870 hatte John D. Rockefeller seine Firma Standart Oil als mächtigen
Trust installiert und war so zum ersten Milliardär der Welt geworden. Öl
wurde allmählich zu einem wichtigen sozioökonomischen und politischen
Faktor. Nicht umsonst beschloss 1911 der oberste amerikanische Gerichtshof
die Zerschlagung von Standart Oil, um die Vormachtstellung eines mächtigen
Monopolisten zu unterbinden.
Weltweit wurde die Ressource Öl entdeckt und gefördert und von Nordamerika
bis Russland, von Saudi Arabien bis Afrika begannen Staaten und Konzerne um
die Kontrolle des Öls zu kämpfen. Geld, Macht und politischer Einfluss sind
im Besitz von Ölquellen konzentriert. Fortschritt und Zerstörung, Arbeit
und Ausbeutung, Freiheit und Unterwerfung, alle Widersprüche des modernen
Lebens lassen sich in der Herstellungskette von der Förderung bis zum
Konsumgut nachweisen.
## Unvorstellbar hoher Verbrauch
Die gesellschaftlichen Abhängigkeiten vom Öl sind immens. Das endgültige
Aufbrauchen der Ressourcen ist das Schreckgespenst der Ölmultis, der
Konzerne und der Konsumenten. Denn die Vorräte sind endlich und der
Verbrauch war in den letzten 100 Jahren unvorstellbar hoch. Heute werden
täglich mehr als 85 Millionen Barrel täglich gefördert.
Allein die USA verbrauchen davon 20 Millionen Barrel, gefolgt von China,
Russland, Japan und Deutschland. Raffiniertes und verbranntes Öl produziert
Treibhausgase. Jetzt schon haben wir mit den katastrophalen und
unabsehbaren Folgen des Klimawandels zu kämpfen.
Burtynskys Bilder der Ölfelder in Kalifornien (Belridge, 2003) zeigen
exemplarisch, wie tief die Wunden sind, die die Ölförderindustrie in die
Landschaft geschlagen hat, und wie zerstörerisch der gesamte Prozess ist;
sie zeigen Orte, an die wir nicht denken mögen, wenn wir im Auto sitzen,
die nächste Flugreise planen oder einfach Strom verbrauchen.
## Nüchtern statt theatralisch
Edward Burtynsky ist in seiner Arbeit direkt, aber nie anklagend. Er zeigt
den Status quo von Kalifornien bis Baku. Anders als der brasilianische
Fotograf Sebastião Salgado, der in beeindruckenden Reportagen die
Arbeitsbedingungen von Arbeitern weltweit dokumentiert hat und dabei auf
Schwarz-Weiß-Ästhetik und eine zum Teil drastische und theatralische
Darstellung setzt, verschafft sich Burtynsky einen nüchternen Überblick.
Seine farbigen großformatigen Fotografien bieten Perspektiven, in denen die
Menschen lediglich Teil der Szenerie und nicht das Zentrum sind.
Damit steht er in der Tradition der amerikanischen Topografen und der New
Color Photography. Ähnlich wie der Amerikaner Richard Misrach, der die
militärischen Verwüstungen in Nevada umfangreich abgelichtet hat,
systematisiert auch Burtynsky die Konsequenzen einer von Produktion und
Konsumtion geprägten Gesellschaft auf visueller Ebene.
Er sagt selbst, dass seine Arbeit „einen politischen Unterton hat, da sie
erst allmählich von der ästhetischen Auseinandersetzung zum Politikum
wurde“. Der Diskurs wird mittels Bildern geführt. Spiegelt man dieses
Vorgehen in einem Projekt wie „Fish Story“ des Fotografen Allan Sekula, der
sich umfassend mit Transportwegen auf den Weltmeeren fotografisch und in
begleitenden Essays beschäftig hat, fehlen einem die historischen, sozialen
und ökonomischen Querverbindungen in Burtynsky Arbeit.
Dennoch überzeugt sein Vorgehen völlig. Denn das, was er zeigt, ist nach
wie vor gesellschaftlich verdrängt: Niemand möchte den eigenen
Lebenstandart in der Zerstörung der Natur und der Ausbeutung anderer
Menschen begründet sehen. Die Genauigkeit, mit der Burtynsky recherchiert
und wie er seine Bilder zu einer großen visuellen Erzählung über die
Industrie der Jetztzeit zusammensetzt, macht deutlich, dass es so nicht
weitergehen kann.
Austellung war bis zum 9.9.2012 im C/O Berlin Projects zu sehen, Katalog,
Verlag Steidl, 115 Euro
11 Sep 2012
## AUTOREN
Maik Schlüter
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