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# taz.de -- Ausstellung in Baden-Baden: Rohheit und Feinheit
> Die Kunsthalle Baden-Baden zeigt schrecklich-schöne Arbeiten von Wangechi
> Mutu. Darin spielt sie mit den Erwartungen und Fantasien über Afrika.
Bild: „Suspended Playtime“ von Wangechi Mutu.
Es ist ein Horrorkabinett. Etwas für schlaflose Nächte, wenn jedes Geräusch
einen zusammenzucken lässt. Wenn man am liebsten das ganze Haus hell
erleuchten möchte, sich aber nicht bis zum Lichtschalter traut. Jeder
Tropfen, der auf dem Tisch aufprallt, tut fast körperlich weh. Und dann der
Geruch: ganz leicht modrig, nach Verwesung riechend und leise, leise
Richtung Ekelschwelle schwebend, die Kehle reizend.
Der in Kenia geborenen und in New York lebenden Künstlerin Wangechi Mutu
gelingt es virtuos, dass einem fast, aber nur fast schlecht wird. Dabei
sieht man in dem spärlich erleuchteten Raum in der Kunsthalle Baden-Baden
nichts Gefährliches, wenn man sich die Einzelteile ihrer Installation
anschaut: Über einem acht Meter langen, ovalen Holztisch hängen viele
Flaschen, mit Fell überzogen und mit der Öffnung nach unten, ab und zu
tropft etwas rote Flüssigkeit herunter.
Die eine Wand besteht aus rohen Brettern mit ein paar kreisrunden Löchern,
an der gegenüberliegenden hängt ein riesiger kreisförmiger Haufen von
Tierfellen, Füchse, Hirsche, Kaninchen, auch in den Ecken kann man ein paar
Felle entdecken, weil sie mit billiger Plastikfolie überzogen sind.
Und doch strahlt „Exhuming Gluttony“ (Austreibung der Völlerei) eine
bedrohliche Atmosphäre aus, lässt an ein blutiges Ritual denken, an
Massenmord und Schlächterei. Oder an eine ebenso blutige Teufelsbeschwörung
oder einen Exorzismus. Düsternis beherrscht die Szene, das Rote wird sofort
zu Blut, die Felle lassen einen Menschenhäute assoziieren, die Haare auf
dem Boden, über die man gehen muss, Konzentrationslager.
## Sinnlichkeit und Intellektualität
Ganz subtil schleichen sich bei Wangechi Mutus Arbeiten schockartige
Erkenntnisse ein. Manchmal brauchen sie ein bisschen Zeit, wie ihre
Collagen, die in einer Mischung aus Sinnlichkeit und Intellektualität
gefertigt sind. In ihnen erschafft sie in filigraner Kleinstarbeit aus
Bildschnipseln, die sie Modemagazinen, politischen Zeitschriften,
Pornoheften und Landschafts- oder Technikfotografien entnimmt und mit
unterschiedlichsten Materialien wie Fäden, Federn, billigen Plastikperlen
und Stoff versetzt, eine neue, im ersten Moment afrikanisch exotische
Seelenlandschaft.
Da sieht man Menschenköpfe, in denen die Nase ein Pferdekopf ist, die
Lippen werden von einem zusammengekrümmten Jungen geformt, ein Auge ist ein
Fisch, eine Hand wie eine Kralle geformt – Tiere, Motorräder, alles kann
vorkommen. In „Humming“ verbirgt ein Leopardenmuster Hand, Gesicht und
Oberkörper einer Frau, die von riesigen Moskitos angegriffen wird, die von
einer rosafarbenen Orchideenblüte hervorgebracht werden. Nur zufällig
entdeckt man die klaffende Wunde an ihrem Hals.
Mutu spielt in ihren Arbeiten mit den Erwartungen ebenso wie mit den
Fantasien über Afrika: Reichtum und Gewalt, Schönheit und Tod. Sie setzt
auch politische Zeichen, wie in der Arbeit, für die sie die Umrisse der
Seen Ruandas aus der Wand der Kunsthalle gekratzt und blutrot angemalt hat.
Sie kann auch spielerisch sein, wie in der Installation „Suspending
Playtime“ mit Dutzenden Bällen an Schnüren, so dass sie auf Kniehöhe frei
im Raum pendeln können. Man kann, man soll zwischen ihnen durchgehen und
damit in Bewegung setzen. Aber da sie aus zusammengepressten Plastiksäcken
bestehen, erinnern sie auch an die improvisierten Fußbälle in armen
Ländern. Ihre Arbeiten rühren an Archetypen ebenso wie an Vorurteilen, ihre
komplexen Kompositionen sind nicht eindeutig auslotbar, sondern bleiben oft
an dem, was so brutal Schnitt-Stelle genannt wird: zwischen Begehren und
Aufbegehren, Rohheit und Feinheit.
Immer balanciert Mutu auf diesem schmalen Grat zwischen politischer
Aufklärung, Schrecken und Ästhetik. Entstanden sind sinnlich fassbare,
manchmal schrecklich ästhetische Zeichen, die noch lange nachwirken können.
Damit zeigt die Kunsthalle unter ihrem neuen Direktor Johan Holten, dass
sie nach dem unerquicklichen Zwischenspiel von Karola Kraus, die sich nicht
einmal gescheut hat, Bilder aus der Galerie ihrer Schwester auszustellen,
bruchlos an die spannende Tradition von Matthias Winzen anschließen kann,
mit diskursiv anregenden und gleichzeitig sinnlichen Ausstellungen. Damit
überholt sie auch spielend das benachbarte Museum Frieder Burda, das zwar
mehr Besucher anlockt, dessen Ausstellungen aber meist einfach nur harmlos
sind.
## Wangechi Mutu: Staatliche Kunsthalle Baden-Baden, bis 30. September,
Katalog, Verlag für moderne Kunst, 20 Euro
12 Sep 2012
## AUTOREN
Georg Patzer
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