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# taz.de -- Literaturfestival: Ein Raumschiff im drögen Berlin
> Überraschende Einblicke an einem Abend mit vier Autoren aus aller Herren
> Länder, die sich plaudernderweise über den Clash der Kulturen
> verständigen
Bild: Bücher über Bücher: Das Internationale Literaturfestival in Berlin.
Es war im Gespräch mit dem britischen Autor David Mitchell, als die Sache
mit der Langeweile ins Spiel kam. David Mitchell, muss man wissen, hat
einen historischen Roman geschrieben, der um 1800 spielt, und zwar in
Japan, einem Reich, das sich damals von der Welt abschottete. Nur auf einer
kleinen Insel im Hafen von Nagasaki lebten ein paar Europäer, die mit den
Japanern Handel trieben. Auf dieser Insel setzt David Mitchell seinen
holländischen Helden aus. Dort verliebt er sich in eine japanische Hebamme,
die westliche Medizin gelernt hat.
„Wie reagierten die Japaner auf die europäische Aufklärung?“, will der
Moderator des Abends und Co-Chef des Internationalen Literaturfests, Thomas
Böhm, schlauerweise vom Autor wissen. Die vielen Besucher, die beim Abend
mit dem Titel „Clash der Kulturen“ im Schweinsgalopp, also im plaudernden
Gespräch, mit vier Autoren aus aller Herren Länder Bekanntschaft schließen
dürfen, sind gespannt. „Welche ist die langweiligste Stadt in
Deutschland?“, fragt David Mitchell zurück. Er möchte, dass wir uns
vorstellen, in dieser Stadt lande ein Raumschiff mit Außerirdischen, die
auf alle Fragen unserer Zeit eine Antwort hätten – dann hätten wir ein
gutes Bild zur Ankunft der modernen Wissenschaft in Japan.
Thomas Böhm, der übrigens schon jetzt dafür gelobt wird, das
Literaturfestival mit viel Konzept und der nonchalanten Moderationskunst
eines Conférenciers bereichert zu haben, schlägt zunächst Oberhausen vor,
denn in Oberhausen ist er geboren, sagt er. Doch dann überlegt er es sich
anders. Er wählt Charlottenburg und schließlich, im Brustton der
Überzeugung und zum Amüsement der Zuhörer, Prenzlauer Berg. Da hat er es
gefunden: Das andere Bild, das diesen Abend trifft. Es ist, als sitze man
hier nicht vor einer schnöden Bühne, sondern vor einem Raumschiff – und
erführe binnen anderthalb Stunden so viel Neues, dass es einen trifft wie
der Blitz.
Das gilt nicht nur für Wallace. Es gilt auch für den großen Roman des
afrikanischen Autors Ngugi Wa Thiong’o, in dem er auf höchst amüsante Weise
die ganze Geschichte Afrikas seit der Kolonialzeit aufs Korn nimmt. Vor
allem aber gilt es für das Buch des indischen Autors Kiran Nagakar, der die
Geschichte zweier Brüder im Bombay der sechziger Jahre erzählt – und viel
davon zu berichten weiß, was Armut mit Menschen machen kann. Die Brüder
denken, dass die Welt ihnen gehört, sie haben große Pläne. Als der eine
aber versucht, in der US-Botschaft ein Visum zu bekommen und plötzlich all
die wohlerzogenen Inder im Wartezimmer Englisch reden hört, macht er auf
dem Absatz kehrt. Plastischer könnte man das postkoloniale Dilemma, in dem
Indien bis heute steckt, kaum auf den Punkt bringen.
Kurz und gut: Es war ein toller Abend auf dem Internationalen
Literaturfestival, vielleicht sogar einer der tollsten bislang – denn er
ähnelte nicht nur einer Raumschifflandung im langweiligen Berlin. Im Grunde
lud er die armen Erdlinge sogar zu einer Spritztour ein.
11 Sep 2012
## AUTOREN
Susanne Messmer
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