# taz.de -- DIE WAHRHEIT: Apokalyptische Räumkommandos | |
> Wir hatten schon einige Open-Air-Festivals erlebt. | |
Wir hatten schon einige Open-Air-Festivals erlebt. Irgendeine | |
Plattlandkommune schob in jedem Sommer Treckeranhänger zu einer halben | |
Wagenburg zusammen und engagierte vier bis fünf Stümperformationen, die | |
sich dann auf dem schmalen Pfad zwischen Blues, Blues Rock und Rhythm ’n’ | |
Blues dahinschleppten. | |
Die selbst gezeichneten und fotokopierten Plakate zeigten den immergleichen | |
Schweinebauern mit Gibson Flying V vorm Bauch und Wolters-Pilsener-Kanne am | |
Hals. Wir wollten die Flying V. Ohne den Landwirt. Irgendwann hatte endlich | |
einer die Führerscheinprüfung bestanden und wir konnten die | |
Rieselfelderfestivals hinter uns lassen. | |
1988 fuhren wir zum „Monsters of Rock“-Festival ins Bochumer Ruhrstadion. | |
Nur mit viel Glück und Spucke hatte die monströse Show zuvor in Schweinfurt | |
stattfinden können. Denn am Vorabend waren Hunderte bereits angereister | |
Metalheads durch die Innenstadt gezogen und hatten ihrer Vorfreude durch | |
das Einwerfen von Schaufensterscheiben, Abfackeln von Müllcontainern und | |
kleinere Scharmützel mit ein paar Hundertschaften Kontaktbeamter Ausdruck | |
verliehen. Es ging sogar das Gerücht um, es habe Tote gegeben. Das stimmte | |
zwar nicht, aber dennoch: Selten war Heavy Metal gefährlicher. | |
Die Zeitungen berichteten von „Ausschreitungen stark alkoholisierter, | |
gewaltbereiter Jugendlicher“. Und wir konnten es gar nicht mehr erwarten, | |
nach Bochum zu kommen. Anthrax und Megadeth standen auf dem Plan, zudem | |
Great White, Kiss, David Lee Roth und schließlich als Headliner Iron | |
Maiden. | |
Für Megadeth spielten dann Testament zu unserer Verwunderung, aber nicht | |
Enttäuschung, denn die Band kann einen gar nicht enttäuschen. Testament | |
kamen über uns wie ein Naturereignis. Ein akustischer Weltuntergang war das | |
mit all der Panik, Verwirrung, dem Chaos, dem Leiden der Kreatur. Und die | |
Menschen standen da wie bei einem heidnischen Gottesdienst, feuerten dieses | |
apokalyptische Räumungskommando noch an. | |
Amüsiert haben wir uns schließlich auch noch einmal auf der Heimfahrt. Wir | |
wurden von zwei unsagbar traurigen, grandios einsilbigen Autobahnschupos | |
angehalten, die nur unwesentlich älter waren als wir, aber auf die vielen | |
einschlägigen Heckscheibenaufkleber und das Zottelhaar naturgemäß irgendwie | |
reagieren mussten. Mit leblosen Augen und einem von Weltekel angekränkelten | |
Timbre erkundigten sich die beiden, ob unser Fahrer Alkoholika zu sich | |
genommen hatte. Er verneinte, und ich verzichtete diesmal darauf, ihn zu | |
korrigieren. | |
„Waffen dabei?“, fragte der Wortführer. Wir mussten lachen. „Mal | |
aussteigen!“, sagte er. „Kofferraum öffnen.“ Da lag dann keine abgesägte | |
Schrotflinte, sondern nur eine angefangene Schachtel Ferrero Küsschen. Wir | |
boten den beiden grünuniformierten Gestalten sogar eine Praline an, so | |
herzlich leid taten sie uns. Mit einem Fingerzeig zur Nummernschildplakette | |
und dem lakonischen Hinweis „Bald TÜV!“ ließen sie uns ziehen. Wie gesagt, | |
gefährlicher als in jenen Jahren war Heavy Metal selten. | |
14 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Frank Schäfer | |
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