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# taz.de -- 20 Jahre taz-Genossenschaft: „Eine harte Diskussion“
> Die Redaktionsmehrheit wollte verkaufen. Erst nach harter Diskussion
> wurde die taz Genossenschaft. Wie kam es eigentlich zur
> Genossenschaftsgründung?
Bild: 20 Jahre danach: taz-Genossenschaftsgründer Kalle Ruch (links), Christi…
taz: Herr Ströbele, Herr Eisenberg, Kalle, sind Sie eigentlich Abzocker?
Eisenberg: Abzocker?
Gehen wir mal zurück zum Anfang der 1990er Jahre. Damals haben sie das
taz-Genossenschaftsmodell entwickelt – und sich eine Menge Feinde in der
Redaktion gemacht. Die meinten, die Genossenschaft werde die „linke
Spendenbereitschaft abzocken“ …
Eisenberg: Das ist doch Quatsch!
… und sei wegen „der innewohnenden Perspektivlosigkeit eine Verarschung
dieser Spender“. So zumindest stand es damals in der taz.
Eisenberg: Die hatten keine Ahnung. Das sieht man heute: Die Leute, die
taz-Genossen, haben werthaltige Genossenschaftsanteile erworben – dagegen
waren die Modelle der anderen Gruppe doch Scheiß.
Die andere Gruppe, immerhin die Redaktionsmehrheit, wollte einen richtigen
Investor finden – und mit mehr Geld endlich richtig loslegen. Was sprach
dagegen?
Eisenberg: Die haben gedacht, wenn ein Investor kommt, wenn ich wie beim
Spiegel oder bei der WAZ arbeite, dann gibt es ein ordentliches Auto, eine
Sekretärin und noch eine Mitarbeitergratifikation. Dann geht es mir besser.
Das war ein historischer Irrtum.
Ruch: Gar nicht! Es haben doch viele in die Großverlage gewechselt, denen
geht es blendend. Die haben eine tolle Altersversorgung, das gibt es bei
der taz nicht.
Eisenberg: Die hatten aber keine Vorstellung davon, wie es ist, wenn man
einen Chef hat, der einen nicht mehr mag oder der meint, man sei mit 58 zu
alt.
Viele hatten nach zehn Jahren taz erstmals Familie, Kinder – und brauchten
Geld.
Ströbele: Es war schon immer ein Mangel der taz, dass die Leute über viele,
viele Jahre mit Selbstausbeutung gearbeitet haben. Natürlich haben die sich
gefragt: Wie geht das in Zukunft mit mir finanziell weiter? Und das zu
Recht. Aber der Verkauf der taz wäre eben der falsche Weg zu mehr
Sicherheit gewesen. Die Inhalte hätten sich geändert. Es gibt keinen
Großinvestor, der nicht reinredet.
Und jetzt mischt der Genosse und Bild-Chef Kai Diekmann mit.
Ströbele: Unter den vielen Tausenden Genossen fällt der doch gar nicht auf.
Was ist mit dem Vorwurf der Gegner, dass die Genossenschaftler nur den
Konkurs verschleppten?
Ströbele: Der ist gemein – gegenüber denen, die jahrelang Verantwortung
übernommen haben. Die Geschichte der taz ist eine Geschichte von
Finanzkrisen. Alle drei Jahre standen wir vor der Frage, ob es noch
weitergeht. Dauernd haben wir Wohltätigkeitskampagnen gestartet. Die
Genossenschaft war die Konsolidierung dieser Wohltätigkeitsaufrufe – nur
dass die Leute wirklich einen Gegenwert bekamen, statt bloß zu spenden. Das
war eine solidere Basis.
Ruch: Die Redakteure haben das alles nicht verstanden …
… weil Kalle Ruch der einzige mit einem abgeschlossenen Wirtschaftsstudium
war?
Eisenberg: Die hatten auch definitiv die falschen Berater. Die haben sich
von Horst Mahler, der sich aber nie der offenen Diskussion hier stellte,
erzählen lassen, was juristisch möglich ist.
Horst Mahler? War der damals noch ein linksradikaler oder bereits ein
rechtsextremistischer Anwalt?
Eisenberg: Der war schon immer so, wie er jetzt ist, damals aber bei der
FDP. Jedenfalls der Falsche. Die Entwicklung der Zeitungsverlage hat doch
bewiesen, dass die Medien, die von Werbeerlösen abhängig waren, in viel
ernstere Schwierigkeiten kamen als diejenigen mit einer vergesellschafteten
Eigentümerstruktur.
Die aktuellen Zeitungskrisen waren doch 1990 gar nicht absehbar.
Eisenberg: Doch. Wäre die taz 1990 an den Jahreszeiten Verlag oder jemand
anderes verkauft worden, hätte es sie 1993 nicht mehr gegeben.
Ströbele: Stimmt!
Eisenberg: 1993 war das Geld in allen Medien alle. Da sind etwa die
Bezirkszeitungen im Osten reihenweise wiederverkauft worden.
Die Redaktion soll so naiv nicht gewesen sein. Die Mehrheit wollte
Professionalität, wollte konkurrenzfähige Arbeitsbedingungen, wollte einen
Personalabbau um der Effizienz willen – in der Verwaltung zum Beispiel.
Ströbele: Redaktion und andere, also Verlagsmitarbeitende – diese
Trennlinie war nicht so scharf, auch wenn die Meinungsführer in der
Redaktion einen Investor wollten.
Ruch: Außerdem waren ja gerade die Verlagsabteilungen am wenigsten
ausgebaut. Nach der Gründung der Genossenschaft sind wir von 200 Leuten
runter auf 120, das hat im Wesentlichen die Redaktion getroffen.
Viele sind nach dem Krach schon aus Ärger gegangen. Waren das die
Streitlustigen, vielleicht auch die Kantigen, die der taz Profil verliehen?
Ruch: Die Streitkultur hat sich nicht geändert in der taz. Linke, Laute,
Liberale, Leise – das gab es vor und nach der Gründung der Genossenschaft.
Eisenberg: Manche, die damals wutschnaubend gingen, wären ohnehin nicht zu
halten gewesen. Das waren Reisende.
Wenige Jahre später hat dann auch Kalle Ruch Kontakt mit einem Investor
aufgenommen.
Ruch: Die ersten Jahre der Genossenschaft liefen ja nicht. Die
Berlinförderung war weggefallen. Die Immobilie, die die taz 1989 im alten
Berliner Zeitungsviertel in der heutigen Rudi-Dutschke-Straße gekauft
hatte, half auch nicht über die Finanzprobleme hinweg. Aber die Sache mit
der Spiegel-Beteiligung ist dann ja auch baden gegangen.
Haben Sie das Genossenschaftsmodell damals bei vielen Flaschen Rotwein nach
Feierabend entwickelt?
Ruch: Nein, das war eine harte, öffentliche Diskussion. Wir haben zum
Beispiel mal in Zehlendorf in so einer Villa gesessen, da kam ein
französischer Anwalt, der uns etwas von einer Kommanditgesellschaft auf
Aktien erzählt hat. Dann rief irgendwann der junge Sozialdemokrat Olaf
Scholz – inzwischen Bürgermeister von Hamburg – an und sagte:
Genossenschaft. Ich wusste nicht, was das ist. Dann haben wir uns
zusammengesetzt.
Ströbele: Ich habe schon in der Gründungsphase der taz überlegt, ob eine
Genossenschaft nicht das bessere Modell ist. Der Eigentümer des Imperiums
taz war damals ein Verein namens Freunde der alternativen Tageszeitung. Das
passte nicht. Aber es war damals für die taz unmöglich, in einen
Genossenschaftsverband reinzukommen.
Wegen Schmuddeligkeit?
Eisenberg: Ja, wegen Schmuddeligkeit. Das änderte sich erst nach der Wende,
nachdem im Osten plötzlich neue Genossenschaften entstanden und die Zugänge
zu den Verbänden sich öffneten.
Wer hat dann die Papiere geschrieben?
Eisenberg: Ich!
Ströbele: Ich habe immer die Auseinandersetzungen mit dem Registergericht
geführt. Die Mitarbeiter unter den Genossinnen und Genossen sollten den
stärksten Einfluss bekommen. Uns war unklar, ob man eine Genossenschaft in
ihrem Handlungsspielraum so stark einschränken kann. Dann haben wir extra
eingebaut, dass nur mit 70-prozentigen Mehrheiten von Genossen und
Mitarbeitenden grundsätzliche Entscheidungen getroffen werden können, etwa
ein möglicher Verkauf.
Was haben die taz-GenossInnen eingebracht – außer Geld?
Ruch: Es gibt keinen Fußballverein, der eine so große Fanschaft hat.
Eisenberg: Doch, vielleicht schon, aber die Fußballfans haben nicht so viel
Geld und sind nicht so gebildet.
Ströbele: Die taz-Genossen haben sich zum Beispiel eingemischt, als 2010
die Honorare der taz-Auslandskorrespondenten gekürzt werden sollten.
Hat die taz-Genossenschaft Nachahmer?
Ruch: Nachmachen kann man das nicht. Die taz ist nicht nur ein Unternehmen,
sie ist ein soziales und gesellschaftliches Projekt aus einer bestimmten
Zeit und Bewegung heraus. Selbst die offensichtlichen Nachteile, dass sie
ihre Leute nicht richtig versorgen kann, haben sich zum Vorteil gewendet:
Die Mitarbeiterfluktuation hat dazu geführt, dass sich die taz ständig
erneuert hat.
Ist das der Gruß des Geschäftsführers an die altgedienten
Redaktionsmitglieder?
Ruch: Ein paar Alte sind geblieben. Ich erlebe die vielleicht siebte
Generation von Redakteuren – es gibt immer wieder tolle junge Journalisten
darunter.
Eisenberg: Die taz ist die einzige Tageszeitung, die einen ernsthaften
journalistischen Stellenwert hat, die ohne erhebliche Werbeeinnahmen
auskommt und die nicht insolvenzgefährdet ist.
15 Sep 2012
## AUTOREN
H. Gersmann
U. Winkelmann
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