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# taz.de -- DIE WAHRHEIT: Eine Erinnye namens Holger
> „Oha“, sagte Raimund, als Theo das Café Gum betrat: „Sieht aus, als ob
> sich ein Bernhardiner über dir erbrochen hätte.“
„Oha“, sagte Raimund, als Theo das Café Gum betrat: „Sieht aus, als ob s…
ein Bernhardiner über dir erbrochen hätte.“ Unser Freund hatte einen großen
Fleck aus braunem Schmodder auf der Hose und blickte Raimund an, als ob er
gerade eine tragende Rolle in einer Tötungsfantasie mit ihm besetzte.
Raimund hob beschwichtigend die Hände: „Okay, Spaß beiseite. Also, was ist
geschehen?“ – „Holger hat wieder zugeschlagen“, knirschte Theo. „Und …
da“, fuhr er fort und zeigte auf den Fleck, „war ein großer Kakao mit Sahne
to go.“
Seit einigen Wochen fiel Theo andauernd den sonderbarsten Unglücksfällen
zum Opfer. Mal stürzte in der Stadtbücherei ein Regal um und begrub ihn
unter sich, mal fing der Hinterreifen seines Fahrrads plötzlich Feuer, und
mal rollte ihm beim Joggen im Stadtpark unversehens eine Flasche zwischen
die Füße, so dass er stolperte und Kopf voran in den Entengrützetümpel
klatschte. Das Erstaunlichste aber war, das sich stets ein junger Bursche
namens Holger in der Nähe befand, der ihm beim Löschen des Hinterreifens
half und ihn aus der Entengrütze zog – zugleich, wie sich herausstellte,
das Malheur aber auch verursacht hatte.
Natürlich glaubte Theo zunächst, dass das Bürschlein ihn mit voller Absicht
plagte. Doch Holger war jedes Mal so zerknirscht über das Vorkommnis, dass
es unmöglich schien, ihm eine tiefsitzende Bösartigkeit zu unterstellen.
Anscheinend war er schlicht ein Schussel, und Theo hatte das Pech, eine
rätselhafte Anziehungskraft auf ihn auszuüben. „Also ich“, sagte Raimund,
„glaube ja mittlerweile, dass er eine Erinnye ist.“ – „Eine Erinnye?“…
„Jawohl! Denkt an Sartre, ’Die Fliegen‘, an Orest, der von den Racheengeln
gejagt wird.“ – „Aber der“, sagte ich, „hat immerhin seine Mutter
hingemeuchelt – was man Theo wohl nicht vorwerfen kann.“
„Dafür“, flüsterte Raimund, „hat er neulich Nacht eine von Petes heilig…
Zigaretten gemopst. Ich wette, Pete hat es gemerkt. Und Pete ist Grieche
und dürfte demnach beste Beziehungen zu den Olympiern haben!“ Ich blickte
Theo entgeistert an. „Du hast was?!“ Theo wurde rot. „Ich brauchte noch
eine für den Heimweg und hatte selber keine mehr. Ich …“
Jedes Frühjahr bekam Pete, der Gum-Wirt, der eigentlich Petris hieß, ein
Päckchen aus seinem Heimatdorf. Es enthielt ein paar Schachteln Zigaretten,
die Eleftheria, seine bildschöne Cousine, mit dem Tabak aus ihrem eigenen
Garten höchstpersönlich für ihn rollte. Die Kippen stanken erbärmlich, aber
Pete pries sie wie ein Göttergeschenk und hütete sie wie einen Schatz.
In diesem Moment bekam Theo sein Bier. Pete knallte es wortlos auf die
Theke. „O ja“, flüsterte ich, „er hat es gemerkt! Also mach was, Theo!“
Theo räusperte sich. „Pete“, sagte er: „Ich möchte dich um Verzeihung
bitten!“ – „Verzeihung? Wofür?“ – „Ich habe neulich eine von deinen
Zigaretten geklaut.“ – „Und?“ – „Und ich könnte als Wiedergutmachu…
eine Stunde lang Gläser spülen.“ – „Eine Stunde?“ – „Ähm … den…
Abend?“ – „Sehr gut, so soll es sein!“, dröhnte Pete und reichte ihm
grinsend ein Handtuch. Seitdem ist Theo Holger tatsächlich nie wieder
begegnet.
18 Sep 2012
## AUTOREN
Joachim Schulz
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