# taz.de -- Radikale Kritik: „Jede Menge koloniale Bezüge“ | |
> Bei der Konferenz „decolonize the city!“ soll eine rassismuskritische | |
> Perspektive auf die Stadt entwickelt werden. | |
Bild: Koloniale Kontinuität oder buntes Berlin? Der Karneval der Kulturen | |
taz: Frau Ha, was hat Berlin mit Kolonialismus zu tun? | |
Noa Ha: Eine ganze Menge! Der Kolonialismus war eine europäische Erfindung, | |
auch Deutschland hatte Kolonien. In Berlin fand 1884 etwa die sogenannte | |
Afrika-Konferenz statt, auf der die Grenzen afrikanischer Staaten | |
festgelegt wurden. | |
Aber ist der Kolonialismus nicht längst Geschichte? Die meisten ehemaligen | |
Kolonien sind seit mindestens 50 Jahren unabhängig. | |
Formal gesehen ist das Geschichte. Kolonialisierung hat aber auch über | |
Wissensproduktion stattgefunden, die sagt: Es gibt eine weiße, männliche | |
Rasse, die übergeordnet ist, das „Wir“. Dieses Wissen gibt es bis heute. In | |
Berlin gibt es jede Menge koloniale Bezüge: Am ehemaligen Gröbenufer | |
zwischen Friedrichshain und Kreuzberg wurde zum Beispiel eines kolonialen | |
Feldherren gedacht. Dass diese Straße vor drei Jahren in May-Ayim-Ufer | |
umbenannt wurde, war nicht selbstverständlich. | |
Wo werden koloniale Kontinuitäten in Berlin sichtbar? | |
Es gibt eine Vielzahl von Straßennamen mit Kolonialbezug und Initiativen, | |
die versuchen, diese umzubenennen. Auch hier geht es um Wissensproduktion, | |
in der Schule zum Beispiel. Koloniale Afrikabilder sind dort oft noch | |
Alltag. Schwarze und postkoloniale MigrantInnen werden in der Schule | |
ständig als Nichtdeutsche, als Andere angesprochen. Kürzlich gab es einen | |
Skandal um segregierte Klassen an der Kreuzberger Lenau-Grundschule, an der | |
SchülerInnen mit und ohne sogenanntem Migrationshintergrund getrennt | |
wurden. | |
War das ein Einzelfall? | |
Das ist Alltag: An vielen Schulen wurden sogenannte Deutschklassen | |
eingerichtet. All diese Dinge folgen einer kolonialen Logik, die | |
unterscheidet, wer „wir“ sind und wer die Anderen sind. Die Anderen sind | |
nicht nur anders, sondern immer auch minderwertig, problematisch und | |
kriminell. Deshalb müssen sie verändert werden. Viele subtile Mechanismen | |
sagen Menschen, wo sie hingehören und wo nicht: Wenn Menschen zum Beispiel | |
wegen ihres Namens eine Wohnung oder einen Job nicht bekommen. | |
Welche politischen Aktionsformen wählen Ausgegrenzte momentan? | |
Flüchtlinge, die zurzeit auf einem Marsch nach Berlin sind, haben beim | |
Überqueren der bayerisch-thüringischen Grenze gerade ihre Papiere | |
zerrissen, um gegen die Residenzpflicht zu protestieren. Auch der | |
Migrationsrat Berlin-Brandenburg und andere selbstorganisierte Gruppen von | |
Schwarzen und postkolonialen MigrantInnen wie die Initiative Schwarze | |
Menschen in Deutschland leisten wichtige Arbeit. Hier könnte Berlin | |
anknüpfen und sie unterstützen. | |
20 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Nikolai Schreiter | |
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