# taz.de -- Die Rote Liste der Kultur: Kahlschlag statt Konzert | |
> Das Berliner Archiv der Jugendkulturen, Sommertheater in Roßlau und die | |
> Bergischen Symphoniker – drei Fallbeispiele für die allgegenwärtigen | |
> Einsparungen im Kulturbereich. | |
Bild: Wasserburg ohne Theater: Roßlau in Sachsen-Anhalt. | |
Die Gründe für den Kulturabbau sind vielfältig, doch sehr oft fehlt | |
Kommunen oder Bundesländern das Geld. Seit Juli veröffentlicht der Deutsche | |
Kulturrat regelmäßig in seiner Zeitschrift Politik & Kultur, ob Museen, | |
Theater, Kinos oder Orchester noch auf der Vorwarnliste der bedrohten | |
Kultureinrichtungen stehen oder schon akut gefährdet sind. | |
Der Deutsche Kulturrat ist der Dachverband der deutschen Kultur-Verbände | |
und damit das politische Sprachrohr von Lichtspielhäusern, Theatern, Museen | |
und allen anderen Kultureinrichtungen. Er vergibt – analog zur Roten Liste | |
bedrohter Arten – die Gefährdungskategorien 0 (geschlossen) bis 4 | |
(Gefährdung aufgehoben/ungefährdet). | |
Mit der [1][Roten Liste bedrohter Kultureinrichtungen] will der Kulturrat | |
den „schleichenden und geräuschlos vonstatten gehenden Kulturabbau in | |
Deutschland anhand von konkreten Beispielen belegen“, sagt | |
Kulturrat-Geschäftsführer Olaf Zimmermann. Die nächste Rote Liste erscheint | |
in der November/Dezember-Ausgabe von Politik & Kultur. | |
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Jugend ohne Anwalt | |
BERLIN taz | Klaus Farin sitzt auf einem Goldschatz. Trotzdem kämpft der | |
Jugendforscher aus Berlin seit Jahren gegen den finanziellen Ruin. Sein | |
1998 gegründetes „Archiv der Jugendkulturen“ umfasst eine weltweit | |
einzigartige Sammlung authentischer Szenezeugnisse, vom ersten Techno-Flyer | |
bis zur Antifa-Zeitung. | |
Der auf 200 Quadratmetern Präsenzbibliothek geordnete Materialwust aus | |
8.000 Büchern und Broschüren, 32.000 Fanzines, Zeitschriften, Zeitungen, | |
Flyern, 600 Magister- und Diplomarbeiten sowie 84.000 CDs, LPs, MCs, DVDs | |
und Videos dient Farin und einer Handvoll Mitarbeiter zur | |
wissenschaftlichen Erforschung von Adoleszenzphänomenen. Ob Skater, Emos, | |
Junghexen: mit ihrem Detailwissen über jede noch so obskure Jugendkultur | |
haben sich die Jugendforscher ein Renommee bei Wissenschaftlern, Politikern | |
und Publizisten erarbeitet. | |
Ausstellungen wie zu „50 Jahre BRAVO“, Workshops und die wissenschaftliche | |
Publikationsreihe leisten unverzichtbare Aufklärungsarbeit. Im Gegensatz zu | |
vielen selbst ernannten Jugendexperten wissen die oftmals selbst szenenahen | |
Archivmitarbeiter, wovon sie reden, wenn es um Ballerspiele oder die | |
Gefährlichkeit von Gangster-Rap geht. | |
Obwohl vielfach ausgezeichnet, wurde das Archiv nie regelmäßig öffentlich | |
gefördert. Für den Wissenschaftsbetrieb zu eigensinnig, für die Politik | |
nicht relevant genug – so hielt man sich jahrelang mit Projektgeldern, | |
Praktikanten und ehrenamtlicher Arbeit über Wasser. Als 2010 die Miete | |
nicht mehr bezahlt werden konnte, sammelte Farin Spenden und gründete die | |
Stiftung „Respekt“. | |
## Fast alle arbeiten ehrenamtlich | |
Doch auch die brachte dem Archiv nicht den finanziellen Frieden: 103.000 | |
Euro Stammkapital genügen nicht, um von den Zinsen die Arbeit zu | |
finanzieren. Weiterhin lebt das Archiv prekär: 25 von 31 Mitarbeitern | |
arbeiten ehrenamtlich, eine langfristige Planung ist unmöglich. | |
Dazu kam ab 2010 der Umsatzeinbruch im Buchhandel, der den hauseigenen | |
Verlag an den Rand des Konkurses bringt. Dies und das Problem der | |
Mietzahlung für das wachsende Archiv hat den Kulturrat veranlasst, das | |
Archiv der Jugendkulturen als „gefährdet“ einzustufen. | |
Zur Zukunftssicherung hat sich Archiv-Gründer Farin nun überlegt, den | |
Verlag zu verkaufen – aber nicht an irgendwen. Freunde des Projekts sollen | |
als Kommanditisten in die Verlags-KG einsteigen und Anteile für 5.000 Euro | |
kaufen. | |
Der eigentliche Zweck des Verlagsverkaufs ist, langfristig das Archiv zu | |
retten, wie Verlagsleiter Farin sagt. Finden sich zu wenige | |
Kaufinteressenten, droht dem Verlag das Aus. Und längerfristig dem Archiv, | |
denn das Archiv lebt vom Verlag. Im worst case würde den empfindlichen | |
Jugendkulturen, die zwischen einer jugendhungrigen Industrie und einer | |
skeptischen Öffentlichkeit wachsen, ein Anwalt genommen. NINA APIN | |
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Ein „teures Ding“ | |
BOCHUM taz | Mitten im Konzert war plötzlich Stille. Keinen Ton spielten | |
die Bergischen Symphoniker mehr. Generalmusikdirektor Peter Kuhn wandte | |
sich stattdessen ans Publikum: „So klingt es, wenn Sie kein Orchester mehr | |
haben.“ | |
Der Grund für den ungewöhnlichen Protest der aktuell 71 Musikerinnen und | |
Musiker: Den Bergischen Symphonikern droht die Zerschlagung. Denn getragen | |
wird das Orchester von den Städten Remscheid und Solingen. Und die stehen | |
vor der Pleite: Als kleinste kreisfreie Großstadt Nordrhein-Westfalens hat | |
das knapp 110.000 Einwohner zählende Remscheid 572 Millionen Euro allein an | |
Kassenkrediten aufgehäuft – nur um kurzfristig zahlungsfähig zu bleiben. In | |
Solingen ist die Lage kaum besser: Dort laufen Kassenkredite von über 480 | |
Millionen Euro. | |
Mithilfe der Landesregierung will Remscheids SPD-Oberbürgermeisterin Beate | |
Wilding aus der Schuldenspirale aussteigen. Mit fast 6 Milliarden Euro will | |
das Kabinett von Wildings Parteifreundin Hannelore Kraft | |
Nordrhein-Westfalens klammen Kommunen helfen. Mit Unterstützung aus | |
Düsseldorf sollen die Haushalte schon 2016 ausgeglichen sein. | |
In Remscheid werden deshalb nicht nur die Gewerbe-, Grund- und Hundesteuern | |
erhöht – es wird auch eisern gespart: Bereits Ende Juni legte Wildings | |
Verwaltung dem Stadtrat einen Beschluss vor, der das Aus für die in Form | |
einer GmbH organisierten Symphoniker besiegeln sollte: „Wir haben dem Rat | |
die Beendigung der Gesellschaft vorgeschlagen“, sagt Wildings Büroleiter | |
Sven Wiertz. | |
Das aber ging den Kommunalpolitikern der regierenden Ampelkoalition aus | |
SPD, Grünen und FDP zu weit. Schließlich ist das Orchester neben dem | |
Theatergebäude das letzte in Remscheid verbliebene Symbol der Hochkultur – | |
ein eigenes Theaterensemble leistet sich die Stadt längst nicht mehr. | |
Stattdessen werden freie Produktionen eingekauft. | |
Doch die Remscheider haben die Rechnung ohne ihre Partner aus Solingen | |
gemacht. Schon vor 17 Jahren hatten die beiden Städte ihre Orchester | |
zusammengelegt. Insgesamt 14 Millionen Euro sind so bereits gespart worden, | |
schätzen Insider. Solingens Oberbürgermeister Norbert Feith (CDU) hat sich | |
zum Weiterbestehen der Symphoniker bekannt. Seitdem pokern beide | |
Stadtverwaltungen ums Geld: „Der 1995 geschlossene Vertrag ist nicht | |
einseitig kündbar“, sagt Reiner Daams, der für die Solinger Grünen in der | |
Gesellschafterversammlung der Orchester-GmbH sitzt. | |
## Unbezahlbarer Luxus | |
In Remscheid sieht das seine Parteifreundin Beatrice Schlieper ganz anders. | |
Natürlich sei ein Aus für die Bergischen Symphoniker „traurig“. Die Musik… | |
leisteten „hervorragende Arbeit“ etwa mit ihrer Schulmusik, mit der | |
Jugendliche für klassische Musik begeistert werden sollen, sagt die Chefin | |
der grünen Ratsfraktion. Dennoch sei das Orchester ein „teures Ding“, ein | |
„Luxus“, den sich die Pleitestadt kaum mehr leisten könne: „Wenn wir wei… | |
2 Millionen Euro im Jahr für die Symphoniker ausgeben, erklärt uns die | |
Kommunalaufsicht doch für verrückt.“ | |
Unter den Musikern geht deshalb die Angst um. Zwar haben sie mit | |
Unterstützung von KollegInnen von der neuen Philharmonie Westfalen, vom | |
WDR, von Orchestern aus Düsseldorf und Hagen bereits vor dem Rathaus | |
protestiert, doch wegen der laufenden Verhandlungen will kein Symphoniker | |
offen reden. | |
Die Musiker fürchten den finanziellen Kahlschlag, und nicht nur die | |
Orchesterakademie für junge StudentInnen sei bedroht. Wenn nicht nur | |
Remscheid, sondern auch Solingen 500.000 Euro kürzt, sei ein Viertel des | |
Etats weg. Die Symphoniker müssten dann radikal verkleinert werden – selbst | |
im besten Fall drohe die Abstufung vom B- zum C-Orchester. Ein Musiker | |
fasst den kulturellen Aderlass zusammen: „Strauß, Mahler oder Bruckner | |
können wir dann nicht mehr spielen.“ ANDREAS WYPUTTA | |
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Theatersommer fällt ins Wasser | |
DRESDEN taz | Kuriose Nutzungen hat die Wasserburg Roßlau in Sachsen-Anhalt | |
in ihren 650 Jahren schon erlebt: provisorisches Rathaus, Gefängnis, | |
Wohnhaus. Inzwischen ist die Wasserburg ein typischer Veranstaltungsort, um | |
den sich ein Burgverein kümmert, der Mittelalterfeste, Ritteressen, | |
Ska-Konzerte und Theater auf dem Programm hat. | |
„Ein toller Ort und eine ideale Kulisse“, schwärmt Benjamin Kolass vom | |
Verein theaterBurg. Ansonsten aber hat er wenig Grund zum Schwärmen. Seit | |
2005 spielt seine überwiegend aus Berlinern bestehende freie Theatergruppe | |
einen Sommer lang eine Inszenierung, die sie speziell für Roßlau | |
einstudiert haben. Anfangs waren es eher Problemstücke wie „Der Kick“ oder | |
„norway.today“, dann Kleists „Zerbrochenen Krug“ und Büchners „Leonc… | |
Lena“. | |
In diesem Jahr aber musste der Burgtheatersommer ausfallen. Im April sagte | |
das Kultusministerium in Magdeburg den zuvor gewährten 10.000-Euro-Zuschuss | |
ab. Damit fiel eine von vier Finanzierungssäulen, die so kurz vor | |
Saisonstart nicht ersetzt werden konnte. Dabei trägt sich der | |
theaterBurg-Verein schon weitgehend selbst. Nur ein Viertel macht die | |
Landesförderung aus. Weitere 10.000 Euro kommen jeweils aus staatlichen | |
Lotterieeinnahmen, von privaten Sponsoren und aus den Eintrittsgeldern. | |
Das Kultusministerium begründete die Absage mit der allgemeinen Kürzung der | |
Fördermittel für freie Theater im Landeshaushalt. Man habe deshalb eine | |
Prioritätenliste erstellen müssen, wobei aus Sachsen-Anhalt stammende | |
Künstler bevorzugt wurden. Die Berliner hätten dieses Kriterium nicht | |
erfüllt. Die späte Verabschiedung des Haushalts habe die für die Künstler | |
ärgerlich späte Absage zur Folge gehabt. | |
## Das Bauhaus schluckt Gelder | |
Im Nachbarort am großen Anhaltischen Theater in Dessau kracht es auch, weil | |
205.000 Euro eingespart werden sollen. Und was das arme Sachsen-Anhalt für | |
die regionale Kultur aufbringen kann, schluckt das Bauhaus. Aber die | |
„Kleinen“ dürften nicht gegen die „Leuchttürme“ ausgespielt werden, m… | |
theaterBurg-Organisator Kolass. Konkurrenz belebe das Geschäft, und dem | |
Dessauer Theater empfiehlt ein externer Gutachter gerade eine | |
Sommerbespielung – so wie in der Wasserburg Roßlau. | |
Eine Nische besetzt hatte die Bespielung der Wasserburg offensichtlich. Mit | |
300 Besuchern musste sich die achtköpfige Schauspielertruppe bei ihrem | |
Start begnügen. Im vergangenen Jahr kamen schon 1.000 Besucher in den | |
Burghof, teilweise reisten sie aus Leipzig oder Bitterfeld eigens für das | |
Theaterspektakel an, sagt Kolass. | |
Für das kommende Jahr nährt das Kultusministerium die Hoffnung mit der | |
Ankündigung, es werde dann erneut über Förderungen entschieden. Vorsorglich | |
wollen sich die theaterBurg-Akteure aber schon nach weiteren Geldgebern | |
umsehen. MICHAEL BARTSCH | |
23 Sep 2012 | |
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