# taz.de -- Kinder- und Jugendarmut in Deutschland: Ererbte Nachteile wachsen m… | |
> Andauernde Armut beeinträchtigt die Lebenswelt von 16- und 17-Jährigen. | |
> Die Forderung: Kita und Schule müssten sich kontinuierlich kümmern. | |
Bild: Der spätere soziale Status wird den Kindern schon bei der Geburt mitgege… | |
BERLIN taz | Aus armen Kindern werden in den meisten Fällen arme und damit | |
benachteiligte Jugendliche. Zu diesem Ergebnis kommt eine Langzeitstudie im | |
Auftrag des Bundesverbands der Arbeiterwohlfahrt (AWO), die am Dienstag in | |
Berlin vorgestellt wurde. | |
Damit liegt erstmals eine Untersuchung vor, die sich mit den Auswirkungen | |
von Armut auf die Altersgruppe der 16- und 17-Jährigen befasst. Dafür | |
wurden 1999 knapp 900 Kinder befragt. Knapp 450 von ihnen nahmen auch zehn | |
Jahre später an der Befragung teil. | |
„Die Auswirkungen von Armut sind dann am stärksten, wenn sie andauert“, | |
sagt Gerda Holz, Studienleiterin am Institut für Sozialarbeit- und | |
Sozialpädagogik (ISS), einem Thinktank der AWO. „Je länger Kinder in Armut | |
aufwachsen, desto geringer sind ihre Bildungs- und Partizipationschancen | |
als Jugendliche und desto höher ist das Risiko, in der Schule zu versagen.“ | |
Wichtig ist dabei: Mit Armut ist im Sinne der Forscher nicht nur eine | |
finanzielle Schlechterstellung der untersuchten Familien gemeint. „Armut | |
ist eine defizitäre Lebenslage, die 24 Stunden am Tag wirkt und damit die | |
gesamte Lebenssituation des Betroffenen prägt“, erklärt Holz. | |
Armen Kindern und Jugendlichen mangelt es nicht nur an Geld, | |
Nahrungsmitteln und Kleidung. Sie sind auch im Hinblick auf Gesundheit, | |
Bildungschancen und die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben | |
unterversorgt. Ihre Handlungs- und Entscheidungsspielräume sind enger, als | |
die von besser gestellten Jugendlichen, und sie werden häufiger sozial | |
ausgegrenzt. | |
Indirekt erhebt die ISS-Studie damit auch Kritik an den Betreuungs- und | |
Bildungsinstitutionen in der Bundesrepublik. Denn die Ergebnisse zeigen: 57 | |
Prozent der bei der ersten Befragung im Jahr 1999 armen Sechsjährigen waren | |
auch zehn Jahre später noch arm – ein Großteil davon auch an immateriellen | |
Gütern: 52 Prozent der Jugendlichen lebten in benachteiligten, weitere 30 | |
Prozent sogar in mehrfacher Hinsicht benachteiligten Verhältnissen. | |
Lediglich 18 Prozent der 16- und 17-Jährigen wuchsen laut Studie in | |
Wohlergehen auf. | |
Einfluss darauf hätten aber nicht nur die Eltern und das soziale Umfeld, | |
sagen die Verfasser der Studie. „Es sind vor allem die Mitarbeiter von | |
Kitas, Kindergärten und Schulen, die armen Kindern und Jugendlichen Halt | |
und Stabilität bieten könnten, so Wolfgang Stadler, der | |
AWO-Bundesvorsitzende. | |
Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die Institutionen bei über der Hälfte | |
der befragten Kinder versagt haben. | |
„Besonders negativ wirken sich die Brüche zwischen den Institutionen aus“, | |
sagt Stadler, also der Übergang von der Kita zu Kindergarten und Schule. | |
Oft finde keine Kommunikation zwischen dem Betreuungspersonal statt. Hat | |
die Förderung dauerhaft versagt, sind arme Jugendliche im Vergleich zu | |
ihren AltersgenossInnen in vielerlei Hinsicht benachteiligt. | |
„Heranwachsende haben entwicklungsspezifische Aufgaben zu bewältigen“, | |
erklärt Forscherin Holz. Sie sind mit ihrer Persönlichkeitsentwicklung | |
befasst, müssen sich in der Clique zurechtfinden, wollen Paarbeziehungen | |
austesten, müssen die Schule schaffen Berufsentscheidungen treffen. „Arme | |
Jugendliche müssen auch noch mit den Krisen zurechtkommen, die aus Armut | |
erwachsen“, so Holz. | |
Die Folge: Ihre Bildungserfolge sind geringer. Die größte Gruppe der armen | |
Jugendlichen (45 Prozent) schaffen es lediglich auf die Realschule. Sie | |
werden häufig später eingeschult und müssen bereits in der Grundschule | |
Klassen wiederholen. Die größte Gruppe der nicht armen Jugendlichen, 36 | |
Prozent, schafft es aufs Gymnasium. | |
Ein interessanter Teilaspekt: Arme Jugendliche mit Migrationshintergrund | |
verfügen oft über besseren familiären Zusammenhalt, ein besseres soziales | |
Netzwerk und einen homogeneren Freundeskreis, sind also in diesem Punkt | |
weniger isoliert und sozial besser aufgestellt. | |
Als Konsequenz fordern Verfasser und Auftraggeber der Studie, Einrichtungen | |
für Kinder und Jugendliche müssten sich künftig stärker einmischen und | |
kontinuierlich Verantwortung übernehmen. „Die Zahl der pädagogischen | |
Fachkräfte muss erhöht werden“, fordert AWO-Vorsitzender Stadler. | |
„Sozialarbeiter an Schulen wären wichtig.“ | |
Das von der CSU angestrebte Betreuungsgeld hält er angesichts der | |
Ergebnisse für wenig förderlich, weil es den externen Zugriff auf | |
benachteiligte Kinder erschwert. „Das Geld sollte besser in Schulen und | |
Kitas investiert werden“, so Stadler. | |
25 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Marlene Halser | |
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