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# taz.de -- Film „Un amour de jeunesse“: Der Strohhut weht aus dem Bild
> „Un amour de jeunesse“ von Mia Hansen-Løve erzählt von einer
> unglücklichen Jugendliebe. Dabei trifft er genau den richtigen Ton.
Bild: Jugendliche Liebe: Szene aus „Un amour de jeunesse“.
Camille liebt Sullivan. Sullivan liebt Camille. Aber mehr noch liebt
Sullivan seine Unabhängigkeit. Diese Differenz markiert die Fallhöhe,
welche die Tragik von Mia Hansen-Løves Liebesgeschichte „Un amour de
jeunesse“ ausmacht.
Sullivan (Sebastian Urzendowsky) will Erfahrungen sammeln, er hat noch
lange nicht genug von der Welt. Camille (Lola Créton) hingegen möchte für
Sullivan alles sein. „Wenn du weggehst“, erklärt sie mit theatralischem
Pathos, „dann bringe ich mich um. Ohne dich will ich nicht leben.“ Als er
tatsächlich für zehn Monate nach Südamerika geht, bricht für die
Fünfzehnjährige eine Welt zusammen.
Anfangs schöpft sie Kraft aus seinen regelmäßigen Briefen, die er ihr von
unterwegs schreibt. Für jeden Ort, aus dem er sich meldet, steckt sie eine
Nadel in die Landkarte an ihrer Wand: eine Landkarte ihrer hemmungslosen,
rastlosen Leidenschaft. Irgendwann beginnt seine Zuneigung zu versiegen;
seine Gefühlsbekundungen klingen desto skeptischer, je weiter er sich von
ihr entfernt. Schließlich kommen seine Briefe nur noch sporadisch an. Die
Welt, die zwischen ihnen liegt, tut sich auf und verschluckt sie.
Sullivans jugendliche Liebesschwüre klingen ähnlich hochtrabend und absolut
wie die Camilles, können mit der jeden klaren Gedanken verzehrenden
Intensität des Mädchens jedoch nicht mithalten. „Ich wünschte, dass du aus
meinem Leben verschwindest“, lauten seine letzten Worte. Worauf Camille
eine Überdosis Schlaftabletten schluckt und sich schluchzend in ihr Bett
legt.
## Mehr als nur coming of age
Der unvermittelte Selbstmordversuch Camilles ist ein Indiz dafür, dass „Un
amour de jeunesse“ mehr als eine Coming-of-Age-Geschichte zweier von ihren
Emotionen zerrissenen Teenagern ist. Hansen-Løve beschreibt mit ihrem
dritten Spielfilm eine Liebe, die zu schwer wiegt, um für das vage
Vorstellungsvermögen zweier Heranwachsender tragfähig zu sein.
Sullivans Ausflüchte erscheinen eigennützig und unreif, und Gleiches gilt
für Camille, in deren Liebeserklärungen stets eine unterschwellige Drohung
mitschwingt, die in völliger Selbstaufgabe gipfelt. Lola Crétons
Schmollmund ist das Fanal einer Liebe, der von Beginn an kein Happy End
beschieden ist.
Hansen-Løve erzählt die Geschichte von Camille und Sullivan über einen
Zeitraum von zehn Jahren, in die nur selten Bewegung kommt. Camille wendet
sich nach der Enttäuschung mit Sullivan ihrer anderen großen Leidenschaft,
der Architektur, zu. Ihr Mentor wird ihr neuer Liebhaber. Er lobt den Mut
und die Reife ihrer architektonischen Entwürfe – Charaktereigenschaften,
die sie nur künstlerisch auszuleben imstande ist. Mit Lorenz findet Camille
erstmals zu einer emotionalen Balance, nach der sie sich so lange gesehnt
hat. Doch als Sullivan wieder in ihr Leben tritt, beginnen die
Gefühlsverwirrungen von neuem.
## Eine Spur Selbstironie
Man muss wohl schon Französin sein, um einen Film wie „Un amour de
jeunesse“ unwidersprochen machen zu können. Mia Hansen-Løve, die von
Olivier Assayas für das französische Kino entdeckt wurde, verfügt immerhin
über das richtige Maß an Distanz, um einen kleinen Witz einzubauen, in dem
Sullivan nach einem gemeinsamen Kinobesuch den Film mit den Worten
„geschwätzig, gefällig, zu französisch“ abtut.
Hansen-Løves eigener Film könnte sehr wohl in dieselbe Kategorie fallen,
läge da nicht eine Natürlichkeit in ihrer Inszenierung, die die manchmal
bleischweren Metaphern hinwegfegt wie den Strohhut, der in der
Schlusseinstellung als letzte Erinnerung an die verflossene Liebe aus dem
Bild weht.
Hansen-Løve gelingen solche Szenen mit einer schönen Beiläufigkeit, die dem
Pathos der Gefühle mit sanfter Lakonie begegnet. So trifft „Un amour de
jeunesse“ genau den richtigen Ton für eine Liebe, die nie gut genug ist, um
in dieser Welt zu bestehen. Und entgeht damit auch dem Verdikt eines
französischen Manierismus, das sich mit jeder sommerlichen
Landschaftsaufnahme unwillkürlich aufdrängt.
## „Un amour de jeunesse“. Regie: Mia Hansen-Løve. Mit Lola Créton,
Sebastian Urzendowsky u. a. Frankreich/Deutschland 2011, 110 Min.
27 Sep 2012
## AUTOREN
Andreas Busche
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