# taz.de -- Nullen und Einsen: Videochats als Nebelkerze | |
> Während Julian Assange im Exil rumnölt, eröffnet Google seine neue | |
> Berliner Niederlassung. | |
Bild: Omnipräsent: Julian Assange wird selbst zur Uno-Vollversammlung zugescha… | |
Alles war so hübsch geplant. Google weiht sein neues Lobby-Büro Unter den | |
Linden ein – teures Catering, Cocktails, illustre Gäste vom Exminister bis | |
zum YouTube-Sternchen. Und dann wurde es wirr. | |
Der deutsche Googler Philipp Schindler wird extra für die Moderation aus | |
Kalifornien zugeschaltet, sichtlich übermüdet. Und soll so mit fünf | |
Netzpolitikern diskutieren, die zwar alle in der Berliner Google-Zentrale | |
sitzen, aber separiert in unterschiedlichen Räumen. | |
Schindler begrüßt FDP-Netzpolitiker Jimmy Schulz als SPDler – und ab da | |
hudelt das Gespräch vor sich hin, wie es nur in Videochats passiert: Erst | |
fehlt der Ton, dann meckert die Grüne Tabea Rößner, weil sie im Videochat | |
sieht, dass eben jener Schulz im Nebenraum nach ihrem Statement losgiggelt. | |
Dabei will der nur über ein Witzchen des Sofanachbars von der CDU gelacht | |
haben. | |
Die Politikerin, die für die Linkspartei hier sitzt, wünscht sich von | |
Google ein „neutrales Suchmaschinensystem“ – aber das spielt eigentlich | |
keine Rolle. Denn in der Projektion auf die Leinwände im Berliner Büro | |
thront messianisch-übergroß der Kopf von Googler Schindler, über den | |
winzigen Netzpolitikern, der die wenigen Berliner Feiergäste, die sich noch | |
nicht wieder dem Smalltalk zugewendet haben, mit seinem Kaumuskelspiel | |
hypnotisiert. | |
Googles deutsche Cheflobbyistin Kroeber-Riehl steht neben einer Leinwand | |
und schaut drein, als plane sie, den Mitarbeiter, der diese bescheuerte | |
Idee hatte, zur Beantwortung aller Presseanfragen zur Causa Bettina Wulff | |
zu verdonnern. | |
Dabei demonstriert dieses Hang-out-Intermezzo (ohne Google in diesem | |
konkreten Fall Evilness unterstellen zu wollen), wie gut Polit-Diskussionen | |
per Videochat funktionieren können. Als Nebelkerze. Kritisch über die | |
Neutralität von Googles Algorithmus zu reden? Nachfragen, wie viel Geld | |
Google denn eigentlich für seine ziemlich ambitionierte Berliner | |
Lobby-Arbeit ausgibt? Nicht wirklich dran an so einem Abend. Aber auch | |
nicht wirklich drin, wenn die Technik hakelt, der Ton bratzt und man sich | |
im Gespräch über die Distanz ineinander verhakelt, wie das jeder kennt, der | |
schon mal Skype benutzt hat. | |
Wie missverständnis- und shitstormträchtig politische Kommunikation übers | |
Netz laufen kann, demonstrieren die Piraten via Liquid Feedback. Auch das | |
öffentlich-rechtliche Fernsehen führt vor, wie gewinnbringend man „das | |
Internet“ missbrauchen kann, um jede Diskussion mit dem Satz „Was sagen | |
denn unsere Zuschauer im Netz?“ auszubremsen. | |
Meister der Nebelkerzen und digital gestützten | |
James-Bond-Selbstinszenierung war ja früher Julian Assange: untertauchen, | |
twittern, Video posten, spekulieren lassen, rein in die Botschaft, rauf auf | |
den Balkon. Und jetzt diese lahme Live-Schalte am Rande der | |
UN-Vollversammlung, in der er Präsident Obama annölt und sich nach hundert | |
Tagen im ecuadorianischen Botschafts-Gefangenen-Dilemma einen „freien Mann“ | |
nennt. Aber das ist ja vielleicht eh nur ein Ablenkungsmanöver, während | |
fleißige Helfer einen Fluchttunnel nach Heathrow graben. | |
28 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Meike Laaff | |
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