# taz.de -- Syrien-Krieg und Türkei-Touristen : „Wir haben gut verdient“ | |
> Die türkische Grenzregion Hatay hat dank des Handels mit Syrien in den | |
> letzten Jahren einen Boom erlebt. Jetzt liegt die Wirtschaft am Boden. | |
Bild: Der Basar in Antakya zu einer Zeit, als die Touristen noch zahlreich anre… | |
Hundert Euro, manchmal sogar dreihundert Euro hat Bülent Celik bis vor | |
eineinhalb Jahren täglich verdient. Heute weiß er oft nicht einmal, wie er | |
die Miete bezahlen soll, und demnächst wird er zum dritten Mal Vater. | |
„Meine Frau muss zum Arzt, die Kinder brauchen Geld“, sagt Celik. „Ich ha… | |
mir schon Geld bei Verwandten geliehen, aber jetzt weiß ich einfach nicht | |
mehr, was ich noch tun kann.“ Celik ist Touristenführer in Antakya. Doch | |
die Touristen bleiben aus. | |
Bis vor einem Jahrzehnt war Antakya, die Hauptstadt der südtürkischen | |
Provinz Hatay, eine Frontstadt im Konflikt mit Syrien. Noch Hafis al-Assad, | |
der Vater des heutigen syrischen Präsidenten, erhob Ansprüche auf die | |
Provinz, die bis 1939 zu Syrien gehörte, und unterstützte die | |
Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). | |
Die Kehrtwende Assads und die „Sonnenscheinpolitik“ Ankaras gegenüber | |
seinen Nachbarn führte zu einem beispiellosen wirtschaftlichen Aufschwung. | |
Dazu trug auch der Tourismus bei. Ausländische Besucher nutzten die | |
Grenznähe zu Syrien, um einen Abstecher ins historische Aleppo zu machen. | |
Vor allem lockte die Abschaffung der Visapflicht Türken und Syrer an. | |
## Die Region blühte auf | |
Seit Ausbruch des Kriegs in Syrien liegt die Tourismusindustrie weitgehend | |
am Boden. Einige Hotels können den Verlust der Touristen durch syrische | |
Regimegegner, die in Antakya Unterschlupf gefunden haben, oder auch | |
ausländische Journalisten wett machen. | |
## Die Ausflügler bleiben aus | |
Doch den meisten macht das Ausbleiben vor allem der syrischen | |
Wochenendausflügler zu schaffen. | |
„Früher konnte ich mich vor Nachfragen kaum retten“, sagt der Besitzer | |
einer Herberge im Zentrum von Antakya. „Heute bin ich froh, wenn die | |
Einnahmen die Kosten für mein verbliebenes Personal decken.“ | |
Etliche Hotelneubauten wurden auf Eis gelegt. Der Krieg im Nachbarland | |
trifft aber nicht nur das Tourismusgewerbe, sondern vor allem auch den | |
Handel und selbst die Schmuggler hart. | |
Ein Freihandelsabkommen zwischen der Türkei und Syrien hatte den | |
Transportunternehmern von Antakya für mehrere Jahre volle Auftragsbücher | |
beschert. | |
## Leere Straßen | |
Am Grenzübergang von Cilvegözü, rund fünfzig Kilometer nordöstlich von | |
Antakya, stauten sich die Lastwagen, die Lebensmittel, Kleidung und | |
Baumaterial nach Syrien, aber auch Jordanien und Saudiarabien | |
transportierten. | |
Die türkische Regierung investierte kräftig in die Infrastruktur. Heute ist | |
die neugebaute vierspurige Straße verweist. Im vergangenen Monat nahmen | |
Rebellen auf der syrischen Seite den Grenzübergang Bab al-Hawa ein. Mehrere | |
Lastwagenfahrer wurden überfallen. Daraufhin schloss die Türkei den | |
Übergang für den Güterverkehr. | |
Selbst wenn er offen wäre, würde sich heute kaum noch ein türkischer Fahrer | |
ins Nachbarland wagen. Zu groß ist die Gefahr, in die Hände von kriminellen | |
Banden oder Anhänger des syrischen Regimes zu fallen. | |
## Kein Umsatz mehr | |
Im vergangenen Jahr fiel das Handelsvolumen zwischen der Türkei und Syrien | |
bereits um mehr als 20 Prozent auf rund 2,3 Milliarden Dollar, in diesem | |
Jahr liegt es bei nur rund 300.000 Dollar. Und in Hatay ist es inzwischen | |
bei fast null angelangt. | |
„Viele Spediteure haben kräftig investiert und neue Lastwagen gekauft“, | |
sagt der Geschäftsmann Ismettin Bahceli. „Jetzt sitzen sie mit einem Berg | |
von Schulden da.“ | |
Die Einkommenseinbußen verstärken den ohnehin schwelenden Unmut über den | |
Kurs der Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan gegenüber dem | |
syrischen Regime. | |
„Die Regierung sollte ihre Kriegsrhetorik stoppen“, sagt Bahceli. „Wir | |
wollen in Frieden mit unseren Nachbarn leben.“ | |
## Furcht vor den Sunniten | |
Wie viele Geschäftsleute in Antakya gehört Bahceli der Minderheit der | |
arabischen Alawiten in Antakya an. Die meisten kritisieren zwar das brutale | |
Vorgehen des Regimes von Assad gegen Zivilisten, gleichzeitig fürchten sie | |
jedoch eine Machtübernahme durch die Sunniten. | |
„Wenn Assad gestürzt wird, ist es vorbei mit dem friedlichen Zusammenleben | |
von Sunniten, Alawiten und Christen“, sagt Bahceli. „Daran denkt unsere | |
Regierung nicht.“ | |
Wie Bahceli leidet auch Mehmet Dogu unter dem Konflikt in Syrien. Wir | |
treffen Dogu in einem kleinen Dorf nördlich von Antakya. Wie die meisten | |
hier lebte Dogu bis zum Ausbruch des Kriegs im Nachbarland vom Schmuggel. | |
Und er lebte gut. | |
Seine Söhne schmuggelten billiges syrisches Benzin, aber auch Nudeln, Reis | |
und Zigaretten aus Syrien in die Türkei. | |
## Selbst der Schwarzmarkt liegt brach | |
„Wir haben gut verdient“, sagt der Familienvater. Doch durch die Wirren im | |
Nachbarland ist auch der Schwarzmarkt zum Erliegen gekommen. Benzin ist in | |
Syrien jetzt Mangelware und wird aus der Türkei über die Grenze gebracht, | |
obwohl es so teuer ist wie in Europa. | |
„Eigentlich bin ich gegen Krieg“, sagt Dogu. „Aber so kann es nicht | |
weitergehen.“ Wenn die Türkei die Unterstützung der Amerikaner und der Nato | |
erhalte, sei er für einen Militärschlag. „Das alles muss endlich ein Ende | |
haben.“ | |
Darauf hofft auch Touristenführer Celik. Ihm macht vor allem das | |
Fernbleiben der zahlungskräftigen Europäer zu schaffen. „Es ist sicher | |
hier“, sagt Celik. „Vielleicht kommen sie ja im Herbst wieder, wenn es | |
kühler wird.“ | |
29 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Inga Rogg | |
## TAGS | |
Reiseland Türkei | |
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