# taz.de -- Islamlehrer Hikmet Gökdemir über Sport und Religion: "Das Schicks… | |
> Eigentlich wollte Hikmet Gökdemir weiter als Fußball-Trainer arbeiten. | |
> Jetzt ist er einer der ersten Muslime, die in Niedersachsen Islam an | |
> einer weiterführenden Schule unterrichten | |
Bild: Vermittelt gerne religiöse Werte: Hikmet Gökdemir in seinem Wohnzimmer. | |
taz: Herr Gökdemir, sind Sie religiös erzogen worden? | |
Hikmet Gökdemir: Ich bin relativ liberal erzogen worden. Ich konnte mit elf | |
Jahren schon den Koran lesen, aber dann ist der Imam aus unserem Ort, aus | |
Garbsen, weggezogen. Ich bin einmal die Woche zum Freitagsgebet in die | |
Moschee gegangen, aber das war’s dann auch schon. | |
Wie sind Sie denn dann zum Religionslehrer geworden? | |
Ich bin mit 40 Jahren für vier Jahre arbeitslos geworden. Das hat mich | |
schon stark getroffen und ich habe mich dann intensiv mit meiner Religion | |
beschäftigt. Der Imam in meiner Gemeinde hat mir angeboten, in der Moschee | |
Koran-Unterricht für Kinder zu geben. Das hat den Kindern sehr gut gefallen | |
und der Imam meinte auch, ich kann ganz gut unterrichten. Er hat mir | |
erzählt, dass in Osnabrück ein Studiengang eröffnet wird. | |
Sie haben sich dann mit 44 Jahren für Islamische Religionspädagogik | |
eingeschrieben. Wie hat Ihre Familie darauf reagiert, dass Sie noch mal an | |
die Uni gegangen sind? Sie hatten ja vorher schon Sport studiert! | |
Meine Frau hat gesagt, wenn ich eine Arbeit finde, dann kann ich noch | |
zusätzlich studieren. Dass ich arbeite, war die Bedingung und ich habe dann | |
eine Stelle als Physiotherapeut gefunden. Aber das war für die Familie eine | |
Zerreißprobe, sie hat in den letzten Jahren sehr darunter gelitten. Ich | |
hatte fast gar keine Zeit für meine Familie. | |
Was hat Sie trotzdem angespornt? | |
Meine Religion, der Islam, sagt: Der Gesegnetste unter euch ist der, der | |
den Koran lernt und lehrt. Die Religion zu lehren und zu verbreiten, das | |
kann ja nicht jeder – dafür bekommt man dann die Belohnung im Jenseits. Ich | |
habe durch meine Religion Kraft gewonnen und eine Arbeitsstelle gefunden – | |
oder was heißt gefunden, ich hatte ja schon eine sichere Arbeitsstelle. | |
Aber als Lehrer wird man halt ein bisschen besser vergütet als als | |
Physiotherapeut. Und ich wollte muslimische Kinder den Islam lehren, denn | |
die inzwischen dritte beziehungsweise vierte Generation spricht besser | |
Deutsch als ihre Muttersprache. | |
Sie haben kein Referendariat gemacht, sind Sie dann überhaupt ein richtiger | |
Lehrer? | |
Können Sie sagen, dass ich kein richtiger Lehrer bin? Ich habe die letzten | |
drei Jahre islamische Religionspädagogik studiert und habe ein Diplom in | |
Sport, das zählt als erstes Staatsexamen. Ich habe also nicht direkt | |
Lehramt studiert. Ich bin ein Quereinsteiger, das ist möglich, weil 2.000 | |
Islamlehrer benötigt werden. Sie können natürlich sagen, ich hab kein | |
Lehramt studiert, dann bin ich auch kein richtiger Lehrer. | |
Was halten Sie dagegen? | |
Ich durfte mit einer Ausnahmegenehmigung in Osnabrück studieren. Und mit | |
einer Ausnahmegenehmigung hat man mich auch als ersten Lehrer für | |
islamische Religion an einer Gesamtschule in Niedersachsen eingestellt. | |
Also, ich bin sozusagen eine Ausnahme – und ich hoffe, dass die Ausnahme | |
dann auch einschlägt. Wie das wird, weiß ich nicht. Aber ich denke, jetzt | |
mit 47 Jahren noch ein Referendariat zu machen, macht wenig Sinn. Im | |
Studium hatte ich ein Jahr eine fünfte Klasse unterrichtet und die | |
Examenslehrprobe habe ich mit sehr gut bestanden. Ich denke, dass das keine | |
so schlechte Voraussetzung ist. | |
Nehmen die anderen Lehrer Sie ernst? | |
Ich fange ja erst heute an, aber bisher bin ich sehr gut aufgenommen | |
worden. Bei einer zweitägigen Lehrerfortbildung waren die Kollegen sehr | |
freundlich, aufgeschlossen und haben mir in den Gesprächen ihre | |
Unterstützung zugesagt. Insofern hoffe ich auf eine gute Zusammenarbeit. | |
Ich bin der erste Moslem, der für die evangelische Kirche arbeiten wird. | |
Dies ist ein Novum. Ich hoffe, dass das alles gut geht. | |
Ihre eigentliche Leidenschaft ist aber der Fußball. Sie waren Jugendtrainer | |
bei Hannover 96 – hätten Sie den Job nicht gerne weitergemacht? | |
Das hat leider nicht geklappt, als Trainer. Man hat mir gesagt, ich darf | |
keine ersten Mannschaften trainieren. Obwohl ich erfolgreich war, hat man | |
mir keine Chance gegeben. Sogar Trainerkollegen haben mir damals bestätigt, | |
dass ich ein guter und erfolgreicher Trainer bin. Man teilte mir mit, dass | |
ich bei 96 keine Lobby habe. Das Schicksal wollte es so, dass ich | |
Islamlehrer werde und kein Fußballtrainer. Fußball war aber meine große | |
Leidenschaft, für mich ist eine Welt zusammengebrochen und ich habe Jahre | |
gebraucht, um das zu verarbeiten. Ich hätte alles dafür gegeben, um | |
Fußballtrainer zu werden. Da habe ich gesagt, das hat keinen Sinn, wenn du | |
hier wie Don Quijote gegen Windmühlen ankämpfst. Nach dieser Erfahrung war | |
mir damals klar, dass ich als Fußballtrainer nicht weit kommen werde. | |
Haben Sie es nicht bei anderen Vereinen versucht? | |
Ich habe mich auch bei Vereinen auf dem Land beworben, die haben teilweise | |
gar nicht geantwortet – die haben lieber einen Koch oder einen Tischler | |
vorgezogen. Meine Erfahrung als Trainer war in allen Vereinen, bei denen | |
ich war, ähnlich. Man hat mich immer skeptisch beäugt, es war nicht | |
einfach. | |
Wegen Ihrer Herkunft? | |
Ja, man muss als Ausländer in Deutschland besser sein als ein Deutscher. | |
Und man glaubt einem Ausländer nicht, dass er besondere Fähigkeiten hat. Es | |
gibt immer gewisse Kreise, die denken, ein Ausländer oder ein | |
Gastarbeiterkind kann zum Beispiel nur bei VW oder Conti als Arbeiter | |
arbeiten. Dann habe ich meinen Job als Fußballtrainer doch an den Nagel | |
gehängt. Es ist ein kleiner Trost, wenn man dann von Trainerkollegen zu | |
hören bekommt, dass „der Hikmet aus Sch… Gold machen kann“. | |
Wann sind Ihre Eltern nach Deutschland gekommen? | |
Mein Vater – Gott hab ihn selig – kam 1966 nach Deutschland. Er hat in | |
einer Kartonfabrik und bei VW gearbeitet. 1969 hat er meine Mutter und mich | |
mit vier Jahren nach Deutschland geholt. Im selben Jahr ist meine Schwester | |
geboren. | |
Also leben Sie seit Ihrem vierten Lebensjahr hier? | |
Nein, 1971 haben meine Eltern mich wieder in die Türkei zurückgebracht, | |
weil ich dort eingeschult werden sollte. Dann habe ich drei Jahre bei | |
meinem Onkel gelebt. Es war ja damals so, dass die erste Generation der | |
Gastarbeiter nur ein paar Jahre arbeiten und dann wieder zurückkehren | |
wollte. Aber leider hat sich das nicht bewahrheitet. Dann haben sie mich | |
und meine Schwester wieder zurückgeholt. Seit 1974 sind wir Kinder wieder | |
durchgängig hier. | |
Was ist in Deutschland anders in Bezug auf Religion? | |
In Deutschland ist es ja so, dass die Religion nur eine untergeordnete | |
Rolle spielt. Die Religion wird belächelt. In der Türkei spielt die | |
Religion eine sehr bedeutende Rolle. Und im Gegensatz zu anderen Religion | |
hat der Islam einen Zulauf. In Deutschland sind die religiösen Werte | |
verloren gegangen, wer kennt denn noch die zehn Gebote? Das einzige Gebot | |
ist doch noch der schnöde Mammon. Das ist wirklich schade, dass die | |
Menschen nur noch materiellen Werten hinterhergehen und nicht mehr | |
menschlichen. Wenn man heute Menschlichkeit zeigt, dann ist das schon ein | |
Nachteil. Da muss man hart sein, seine Ellbogen rausfahren – nur so kommt | |
man doch leider in der Gesellschaft voran. Die Religion zeigt dir, dass es | |
auch Liebe und Menschlichkeit gibt. Ich vermittle lieber religiöse Werte | |
und halte dagegen. | |
Erziehen Sie Ihre Töchter nach diesen Regeln? | |
Wir versuchen, unsere Kinder islamisch mit viel Liebe und Toleranz zu | |
erziehen. Sie sind zweisprachig aufgewachsen und sind aber auch in | |
Sportvereinen integriert. Sie gehen zum Schwimmen, Ballett und Tennis. | |
Gibt es trotzdem Konflikte wegen Ihrer Religion? | |
Noch nicht und ich hoffe, dass das so bleibt. Meine Kinder sind jetzt zehn | |
und dreizehn und man sollte die Kinder nicht zu freizügig erziehen, dann | |
wird das Grenzensetzen schwer. Man sollte zum Beispiel auf die Kleidung | |
achten, da muss man sich schon dezent anziehen. Sodass man nicht versucht, | |
die Blicke der Jungs auf sich zu ziehen. Das ist ja auch im Katholizismus | |
so. | |
1 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Christine Bödicker | |
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