# taz.de -- 25 Jahre Frankfurter Verlagsanstalt: Der Erfolg des anderen Unseld | |
> 25 Jahre FVA: Porträt eines feinen Verlages und das eines Mannes, der | |
> sich wehrt, im digitalen Zeitalter zum Auslaufmodell zu werden. | |
Bild: Siegfrieds Erstgeborener: Joachim Unseld, 1997. | |
Selbstverständlich muss das S-Wort fallen: Suhrkamp. Das ist so natürlich | |
wie der Tag, der auf die Nacht folgt. Doch tatsächlich bleibt es bei dem | |
einen einzigen Mal: „Die Frankfurter Verlagsanstalt“, sagt Joachim Unseld, | |
„ist ohne die Vorgeschichte, ohne den Suhrkamp Verlag nicht denkbar.“ | |
Und diese Vorgeschichte ist bekannt, oft erzählt als das große Drama, das | |
Vater-Sohn-Zerwürfnis zwischen dem Suhrkamp-Patriarchen Siegfried Unseld | |
und seinem Erstgeborenen Joachim Unseld, der eine Zeit lang der Kronprinz | |
war und dann Deutschlands lange Zeit wichtigsten Literaturverlag letztlich | |
doch nicht übernehmen durfte – die jetzige Suhrkamp-Verlegerin Ulla | |
Unseld-Berkewicz spielte dabei als Stiefmutter eine entscheidende Rolle. | |
Und weil es so oft erzählt wurde, soll es hier keine Rolle mehr spielen. | |
Denn es geht um die Frankfurter Verlagsanstalt, Joachim Unselds Verlag, der | |
mit dem diesjährigen Herbstprogramm offiziell seinen 25. Geburtstag feiert. | |
Das mit dem Geburtstag ist streng genommen eine Mogelpackung, wenn auch | |
eine verzeihliche, denn die FVA wurde erstmals 1920 ins Handelsregister | |
eingetragen, 1951 zum ersten und 1987 zum zweiten Mal neu gegründet. | |
Vor 25 Jahren waren es Klaus und Ida Schöffling, die aus dem | |
Traditionsverlag eine kleine, aber hochwertige Anlaufstelle für | |
zeitgenössische literarische Neuerscheinungen machten. Doch die Gesetze des | |
Marktes waren bereits seinerzeit brutal; der Verleger überwarf sich mit dem | |
Gesellschafter, was dazu führte, dass sämtliche Autoren im November 1992 | |
geschlossen dem Verlag den Rücken kehrten. Auch die dritte FVA war | |
gescheitert – bis Joachim Unseld kam und den vierten Anlauf unternahm. | |
Nach seinem Ausscheiden bei Suhrkamp im Jahr 1991 war ihm klar, dass er | |
weiterhin Bücher verlegen würde. Doch zunächst ging er für ein Jahr in die | |
USA, knüpfte Kontakte zur Filmindustrie, versuchte, Abstand zu gewinnen. Es | |
folgte die Gründung eines eigenen Verlages, den er kurzerhand Unseld-Verlag | |
nannte. | |
## Konfliktbeladene Idee | |
Das war eine so nahe liegende wie konfliktbeladene Idee. „Ein anderer | |
Unseld“, sagt Unseld junior diplomatisch, „war mit dieser Idee nicht | |
einverstanden.“ Er verzichtete schließlich darauf, dem neuen Verlag seinen | |
eigenen Namen zu geben. Allerdings: „Irgendein Fantasiegebilde wollte ich | |
auch nicht aus dem Boden stampfen.“ | |
In der Nachwiedervereinigungszeit kam Unseld auf den Gedanken, den Gustav | |
Kiepenheuer Verlag, einen renommierten Ostverlag, von der Treuhand zu | |
kaufen, „mein einziger Kontakt zur Treuhand. Eine erschreckende Erfahrung.“ | |
Die FVA lag mittlerweile brach; der stillgelegte Verlag lag in den Händen | |
des Zürcher Haffmans Verlages. | |
Im Oktober 1994 übernahm Joachim Unseld den Namen Frankfurter | |
Verlagsanstalt, eine Hülle, die es mit Inhalt zu füllen galt. Wie das geht, | |
weiß Unseld, das hat er bei Suhrkamp gelernt. Im Herbst 1995 erschien das | |
erste Programm des neuen Verlages, dessen Räumlichkeiten sich in einem | |
Hinterhof in der Sachsenhäuser Danneckerstraße befanden. | |
Seitdem hat Joachim Unseld gezeigt, dass er für Überraschungen gut ist. Er | |
ließ die Cover seiner Bücher von Malerstars wie Neo Rauch oder Jonathan | |
Meese gestalten. Und im Jahr 2009 trennte er sich von seinen Anteilen am | |
Suhrkamp Verlag und zog damit zumindest formal einen Schlussstrich. Vor | |
allem aber hat er mit seinen Autorenentdeckungen eine glückliche Hand | |
gehabt. | |
Im Premierenprogramm fand sich der erste Erzählungsband des bis dahin | |
unbekannten Ernst-Wilhelm Händler, „Stadt mit Häusern“, einer der Autoren, | |
die unter den Fittichen von Unseld zu wichtigen Schriftstellern der | |
deutschsprachigen Gegenwart geworden sind. Die Liste derer, die sich da | |
noch nennen ließen, ist lang: Christoph Peters, Thomas von Steinaecker, | |
Nora Bossong. Den „aspekte“-Literaturpreis, den Preis für das beste | |
deutschsprachige Debüt des Jahres, haben gleich mehrere FVA-Autoren | |
erhalten. | |
## Sensationell abgeräumt | |
Am spektakulärsten war sicherlich der Auftritt von Zoe Jenny im Jahr 1997. | |
Die seinerzeit gerade einmal 23-jährige Schweizerin debütierte mit ihrem | |
Roman „Das Blütenstaubzimmer“ und räumte sensationell ab – 400.000-mal,… | |
Unseld, habe der Roman sich seither verkauft. Doch die Floskel vom Segen, | |
der gleichzeitig auch ein Fluch ist, darf an dieser Stelle nicht fehlen. | |
Unseld beschreibt seinen feinen, im Vergleich zu den Konzernverlagen | |
bescheiden agierenden Verlag, mit einem kleinen Fußballverein, der Jahr für | |
Jahr seine Talente an die finanzstarken Bundesligisten verliert, jedoch | |
ohne dass er dafür eine Ablösesumme bekäme. Dass viele Autoren, die er groß | |
machte, sich dann den finanzstärkeren Verlagen zuwendeten, versucht Unseld | |
nicht persönlich zu nehmen. | |
Aber dass es einen klassischen Verleger wie ihn schmerzt, sie ziehen lassen | |
zu müssen, liegt auf der Hand. Trotzdem: Die FVA hat Substanz und Renommee. | |
Nicht zuletzt auch, weil sie mit Autoren wie dem Belgier Jean-Philippe | |
Toussaint oder auch Bodo Kirchhoff Größen im Portfolio hat, die sich sehen | |
lassen können. | |
Bodo Kirchhoff ist in diesem Bücherherbst das wichtigste Stichwort. Seine | |
Arbeitswohnung im neunten Stock mit Blick über den Main auf die Frankfurter | |
Skyline liegt nur ein paar Schritte entfernt vom ersten Stammsitz des | |
Verlages; ebenso wie die Schadowstraße, in der die Protagonisten von | |
Kirchhoffs neuem, großartigem Roman „Die Liebe in groben Zügen“ leben. Wie | |
übrigens Kirchhoff selbst auch. Kirchhoff und Unseld, das ist eine | |
spezielle Beziehung von Anfang an, schon zu Suhrkamp-Zeiten. Als Joachim | |
ging, ging Kirchhoff mit, obwohl er sich Suhrkamp verbunden fühlte. | |
Eine Freundschaft sei das, sagen beide, in vollem Bewusstsein, wie prekär | |
eine Freundschaft zwischen Autor und Verleger sein kann. Denn dahinter | |
lauert stets die Geschäftsbeziehung. „Die Liebe in groben Zügen“ war | |
nominiert für die Longlist des Deutschen Buchpreises. Für die Shortlist | |
reichte es nicht; damit allerdings, mit der Nichtnominierung, habe er fest | |
gerechnet, sagt Kirchhoff. Der Roman verkauft sich trotzdem gut; die erste | |
Auflage war schnell vergriffen. | |
## Konzentration auf große Ketten | |
Den Verlagssitz hat Joachim Unseld mittlerweile über den Umweg Bockenheim | |
ins Westend verlegt. Das ist die Gegenwart. Wir sprechen über die Zukunft. | |
Nicht nur über die der FVA, sondern über die der Buchbranche im | |
Allgemeinen. Joachim Unseld ist im September 59 Jahre alt geworden, doch | |
von der jugendlichen Vitalität und der Energie, die er stets ausgestrahlt | |
hat, hat er auch heute wenig verloren. | |
„Die alte Verständigung, die klassische Verwertungskette Autor, Verlag, | |
Buchhandel, Leser ist“, so sagt Unseld, „gerade im Begriff, vollständig | |
auseinanderzubrechen. Die Branche steht nicht vor einem Umbruch, sondern | |
vor einem Neubeginn.“ Er mache nicht mehr, wie zu früheren Zeiten, mit | |
1.000, sondern nur noch mit 500 Buchhandlungen Geschäfte, grob geschätzt. | |
Was dahintersteckt, ist klar: Konzentration auf große Ketten. Doch auch die | |
geraten zurzeit ins Straucheln. | |
Der Wechsel vom analogen ins digitale Zeitalter trifft die Sparte Buch | |
besonders heftig. „Ein Verleger“, so Unseld, „muss sich heute die Frage | |
stellen, ob, wie und wie lange er noch gebraucht wird. Oder ob die Autoren | |
irgendwann ihre Werke selbst ins Netz stellen.“ Andererseits weiß ein Mann | |
wie Unseld, der den Mechanismus eines Verlages bis ins kleinste Rädchen | |
kennt, nur allzu genau, in welchem Zustand Manuskripte häufig beim Verlag | |
ankommen und wie viel Lektoratsarbeit nötig ist, um sie druckbar zu machen. | |
Wie also ist es nun mit der Zukunft? | |
„Wenn man gar nichts macht, wird man automatisch zum Auslaufmodell“, sagt | |
Unseld. Er sieht für das, was die User heutzutage nur noch „Content“ | |
nennen, einen Weg, der sich gabelt: „Wir müssen die gedruckten Bücher edler | |
machen, wertvoller, teurer. Das gebundene Buch wird zum Luxusgegenstand für | |
Bibliophile werden. Auf der anderen Seite steht dann das digitalisierte | |
E-Book, das zum reinen Gebrauch bestimmt ist.“ Das Taschenbuch, so | |
prophezeit er, könnte dabei auf der Strecke bleiben. | |
„Vielleicht“, sagt Unseld, „müssen wir in Deutschland irgendwann anfange… | |
Verlage zu subventionieren. In Frankreich geschieht das bereits, in | |
Österreich ebenso.“ Noch geht es ohne. Auch dieses Jahr feiert Unseld sein | |
legendäres Messefest. Kürzlich, im Literarischen Colloquium in Berlin, kam | |
eine Frau zu Unseld, legte ihre Visitenkarte auf den Tisch und sagte, sie | |
wolle nun endlich einmal eingeladen werden. Eine begehrte Adresse, die FVA. | |
1 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Christoph Schröder | |
## TAGS | |
Suhrkamp Verlag | |
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