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# taz.de -- Die Wahrheit: Der Büchnerpreisträger
> Nachdenken in einer Frankfurter Einkaufspassage.
Neulich, am Ende der Mittagspause, bin ich noch schnell in den Discounter
an der Bockenheimer Warte gehuscht, weil ich Milch und Orangensaft für den
nächsten Morgen brauchte. Außerdem hatte ich Lust auf einen Nachtisch und
erstand fürs Büro einen gestrudelten Schokopudding.
Draußen vor der Ladengalerie aber kam mir ein Herr im hellen Freizeitanzug
entgegengeschlendert, in dem ich binnen Sekunden einen angesehenen
Schriftsteller und Büchnerpreisträger erkannte. Da ich mit dem Mann über
mehrere Ecken hinweg entfernt bekannt war und vor etlichen Jahren sogar
einmal ein freundliches Gespräch geführt hatte, sprang ich sogleich auf ihn
zu und reichte ihm die Hand, die er freundlich verwirrt schüttelte.
Aufgrund einer unbegreiflichen Hirnverstopfung wollte mir allerdings der
Name des Büchnerpreisträgers nicht einfallen; dem Büchnerpreisträger der
meinige natürlich erst recht nicht. Also erzählte ich ihm reichlich
unvermittelt von einer amüsanten beruflichen Angelegenheit, damit er sich
wenigstens vage an den Zusammenhang erinnern konnte, aus dem er mich
womöglich kannte, und nicht an eine schreckliche Verwechslung glauben
musste.
Das schien ihm, wenn nicht zu helfen, so doch den Themenkreis des Sagbaren
zwischen uns abzustecken, denn er verwickelte mich prompt in einen
spöttischen Disput über die Feuilletons der großen Zeitungen und die
Presselandschaft überhaupt. Insbesondere eine kleine Frankfurter
Tageszeitung wurde von ihm mit ausgiebigen Neckereien bedacht, die vor
exakt einem Jahrfünft aufs winzige Tabloidformat umgestellt hatte, ohne zu
bedenken, dass auf viel kleineren Seiten auch viel weniger Platz für gute
Artikel ist.
Derweil forschte ich in meinem Kopf fieberhaft nach dem Namen des
Büchnerpreisträgers. Ich hatte natürlich seine berühmte Trilogie gelesen,
Ranschaffel, nein: Anschaffel, nein: Abschaffel, und hatte sie ja sogar zu
Hause stehen! Vor meinem inneren Auge versuchte ich mir den Buchumschlag zu
vergegenwärtigen und dann jäh auf den Autorennamen zu zoomen. Ich konnte
mich unmöglich von dem Mann verabschieden, ohne seinen Namen zu nennen,
konnte ja wohl schlecht sagen: „See you, Alter! Halt die Ohren steif!“
Während der Büchnerpreisträger geschliffen über seine frühere Zeit bei
einer Mannheimer Tageszeitung parlierte, ärgerte ich mich maßlos über mein
löchriges Gedächtnis. Es war etwas Italienisches an seinem Nachnamen, mehr
fiel mir beim besten Willen nicht ein. So aber konnte ich den herrlichen
Spaß, der mir hier geboten wurde, überhaupt nicht genießen – wo es doch im
Werk des Büchnerpreisträgers unentwegt um Männer geht, die ziellos durch
Straßen bummeln und zufällige Begegnungen mit alten, entfernten Bekannten
haben!
Wie auf Kommando stieß nun eine Frau hinzu, die mit dem Schriftsteller
offenbar ebenfalls bekannt war. Sie wollte von ihm eine Meinung zu den
letzten Poetikvorlesungen einholen, die Alexander Kluge gehalten hatte. Der
Büchnerpreisträger sagte daraufhin etwas, das er mit den Worten „Im
Vertrauen gesagt?“ einleitete, so dass ich es hier auch nicht wiedergeben
möchte.
Sie habe heute Geburtstag, bekannte die Dame sodann freimütig, und nachdem
sie unsere Glückwünsche entgegengenommen hatte, fühlte ich mich irgendwie
in der Pflicht, in meine Netto-Tüte zu greifen und ihr zu ihrem Festtag
meinen gestrudelten Schokopudding (mit Sahne) zu verehren.
Das Geschenk fand großen Anklang, auch wenn es von den beiden fortwährend
fälschlicherweise als „Joghurt“ bezeichnet wurde. Der Büchnerpreisträger
aber bedachte die Frau nun plötzlich mit einem Kompliment, sagte „Sie
strahlen in diesseitigem Glanz!“ oder so, und wiederholte die Formulierung
gleich noch einmal. Ich war mir auf einmal gar nicht mehr so sicher,
inwieweit meine Anwesenheit noch erwünscht war.
Gleichzeitig durchfuhr mich eine unglaubliche Erleichterung: Sein Name war
mir wieder eingefallen! In ihrer begeisterten Replik auf die Schmeichelei
sprach das Geburtstagskind den Schriftsteller dann allerdings just mit
seinem Namen an, was mich ungemein verstimmte. Nun nutzte es mir gar nichts
mehr, dass ich selbst darauf gekommen war!
In meinen jäh angekündigten Abschied hinein spürte ich außerdem, dass die
beiden inzwischen ebenfalls entschlossen waren, aufzubrechen, und kam mir
ein wenig unhöflich vor. Aber wer zuerst kommt, mahlt zuerst! Ich
verabschiedete mich also nach guter alter Sitte von den beiden und ging
meines Wegs. Um den gestrudelten Schokopudding tat es mir den ganzen
Nachmittag lang leid. Aber man muss der Literatur Opfer bringen, und seien
sie noch so klein.
2 Oct 2012
## AUTOREN
Mark-Stefan Tietze
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