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# taz.de -- Trend zum „Second Screen“: Multitasking für Fortgeschrittene
> Fernsehgucken und nebenher bei Facebook oder Twitter die eigene Meinung
> mitteilen – brauchen wir das? Ein Pro und Kontra.
Bild: Glotzen und Labern – es gibt Menschen, die das gerne verbinden.
BERLIN taz | Unsere Aufmerksamkeitsspanne wird immer kürzer, die
Befriedigung durch eine einzelne Tätigkeit immer rarer: Während wir
frühstücken, hören wir Radio; während wir im Netz surfen, gucken wir fern;
während wir Sex haben, telefonieren wir; während wir Zeitung lesen, tippen
wir Kurznachrichten.
Nicht wenige Zeitgenossen kommentieren das, was sie gerade im Fernsehen
gucken, live auf Facebook oder Twitter. Damit man künftig nicht mehr all
seine Freunde oder Follower damit überhäuft, gibt es jetzt ein neues
soziales Netzwerk, welches sich den Trend zum „Second Screen“ zunutze macht
und sich ausschließlich auf die Kommentierung von TV-Sendungen beschränkt.
[1][Zeebox] läuft momentan nur in den USA und Großbritannien. Brauchen wir
so eine App auch in Deutschland? Ist es sinnvoll, TV-Ereignisse in sozialen
Netzwerken zu kommentieren? Ein Pro und Kontra:
PRO: Ich habe keinen Fernseher. Das ist keine bewusste Entscheidung, es hat
sich einfach seit meinem Auszug vor elf Jahren nie ergeben. Ich vermisse
nichts. Bestimme Sendungen, die mich interessieren, gucke ich online. Dabei
bemerke ich, dass mir das reine Gucken nicht reicht. Fernsehen ist mir zu
langsam, zu behäbig, zu eindimensional, zu linear, zu passiv. Ich will
nicht untätig vor meinem Bildschirm sitzen. Stricken hilft, Nägel lackieren
auch. Noch schöner ist es allerdings, wenn ich während der Sendung findige
Kommentare zu ebendieser lesen kann.
Sendungen wie das Dschungelcamp habe ich mir im Januar nur angeguckt, weil
mein geschätzter Journalistenkollege Berthold B. seine spitzen Kommentare
zu den sich bloßstellenden Kandidaten auf Facebook postete. Auch den
Eurovision Song Contest konnte ich nur ertragen, weil köstliche Anmerkungen
auf meinem Smartphone eintrudelten.
Auf den Facebook-Seiten vom Zeit-Magazin oder dem „Tatort“ selbst
kommentieren jeden Sonntagabend Tausende Tatort-Jünger die aktuelle
Episode. Es wird gemutmaßt, wer der Mörder ist, die Schlauchbootlippen von
Simone Thomalla kritisiert oder Schnittfehler bemerkt. Kurzfristiger
Höhepunkt der TV-Kommentierung war die Tonstörung im [2][Tatort vom 06. Mai
2012].
Als in der dramatischen Abschlussszene des Hamburg-Tatorts der Kommissar
Cenk Batu stirbt, hört man plötzlich Regie-Anweisungen aus einem anderen
Studio. Die Kommentare der User auf Facebook überschlagen sich: „Ich
dachte, ich höre Gespenster sprechen...“. Es folgt die Aufklärung. Dank
Facebook macht selbst mir – keinem Tatort-Fan – der Tatort Spaß.
Ohne Fernseher kein Fernsehprogramm keine Informationen keine Empfehlungen.
Was lobe ich mir da das Internet und meine fleißig kommentierenden Freunde!
Jetzt weiß ich, dass sich „Der Tatortreiniger“ im NDR lohnt, dass Jenny
Elvers-Elbertzhagen ein Alkoholproblem hat und man „Roche & Böhmermann“
nicht verpassen sollte. Ich weiß, was bei Markus Lanz oder Maybrit Illner
Thema, wer zu Gast war und wie diese sich benommen haben. Ohne, dass ich
die Sendung angucken muss – ein Segen.
Ob wir ein eigenes Netzwerk für TV-Kommentare brauchen, weiß ich nicht.
Dass wir TV-Kommentare brauchen, hingegen schon! NICOLA SCHWARZMAIER
KONTRA: Es gibt viele Dinge, die man von seinen Facebookfreunden nicht
wissen will. Wer will schon die Fotos vom Mittagsschnitzel sehen oder den
schrecklichen Shakirasong auf Spotify hören? Banaler Alltagsspam gehört
nicht in die Chronik. Facebook ist ein Kommunikationsmittel und kein
Tagebuch.
Fernsehgucken und dabei stumpfe Bemerkungen ablassen geht gar nicht.
Facebookfreunde, die die neuste „How I meet your Mother“-Folge
kommentieren, machen das Fernsehen kaputt. Es gibt sogar einen neudeutschen
Begriff dafür: Das Spoilern [ˈʃpɔ͜ylɐ], Englisch: vermindern, verderben.
Spoiler verraten Handlungsabläufe in Fernsehen, Filmen und Büchern und
versauen einem damit den zukünftigen Fernsehgenuss.
Es gibt einfach Dinge, die der Mensch bewusst ausblenden möchte. Er läuft
extra Umwege nach Hause, setzt sich in der U-Bahn um oder schmeißt
Zeitungsteile weg. Spätesten auf der Facebookwall begegnen sie ihm: die
penetranten Schalkefans. „Toooooooooooor, Huntelaaaaaar!!!“, „Schalke ist
wieder so schlecht #returnoftheklöppel“ „SCHALKÖÖÖÖ,BLAU UND WEISS, WIE
LIEB ICH DICH!!!!!!“ Nein, Danke!
Aber wie dem entgehen? Diese Freunde für immer und ewig blockieren, ist
auch keine Lösung. Da wäre die halbe Freundesliste weg. Diese Gespräche
müssen ausgelagert werden, eine eigene Fernsehkommentar-Commuity wird
trotzdem scheitern. Zwischen diesen Kommentar-Narzissten findet kein Dialog
statt. Die schriftliche Verarbeitung des gesehenen Fernsehprogramms ist
pure Redundanz.
In einen Bildschirm reingucken und in den zweiten dumme Kommentare
hineinschreiben – wenn dieses „Hobby“ um sich greift, wird die Zivilisati…
daran zu Grunde gehen. Zum einen, weil der zwischenmenschliche Dialog durch
die digitale Kommunikation verloren geht, zum anderen, weil niemand etwas
mit diesen besserwisserischen Spannungszerstörern etwas zu tun haben
möchte. SVENJA BEDNARCZYK
3 Oct 2012
## LINKS
[1] http://zeebox.com/welcome
[2] http://www.youtube.com/watch?v=0kqHdkSXSMY
## AUTOREN
S. Bednarczyk
N. Schwarzmaier
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