# taz.de -- Protest in Pankow: "Ich lasse mich raustragen" | |
> Seit 100 Tagen halten SeniorInnen ihre Freizeitstätte in der Stillen | |
> Straße in Pankow besetzt. Die 76-jährige Ingrid Pilz über ihre Erfolge | |
> und Enttäuschungen. | |
Bild: Protestutensilien vor Rüschengardinen: Die Stille Straße in Pankow. | |
taz: Frau Pilz, haben Sie, als Sie jung waren, schon mal ein Haus besetzt? | |
Ingrid Pilz (lacht): Nein, das ist meine erste Besetzung. Wir haben uns da | |
ein wenig blauäugig hineingestürzt. Keiner von uns hat mit so einem großen | |
Medienrummel gerechnet oder damit, dass sich so viele mit uns | |
solidarisieren. Seit dem Anfang der Besetzung waren mehr als tausend | |
Menschen aus ganz Deutschland hier. | |
Haben Sie sich dadurch in Ihrem Vorhaben bestärkt gefühlt? | |
Natürlich. Viele haben uns nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten | |
geholfen und uns etwa Essen gebracht. Eine Sängerin aus Potsdam hat ein | |
Lied für uns komponiert; wir haben einen Anwalt, der uns unterstützt, und | |
einen Arzt, der einmal pro Woche vorbeikommt. Einige haben auch Geld | |
gespendet, von dem wir die wieder angeschaltete Heizung bezahlen können. | |
Die läuft seit Ende September wieder? | |
Ja. Der Bezirk hatte sie abgestellt, jetzt ist sie – auf einen Monat | |
befristet – wieder an, auf unsere Kosten. Wir hatten auch lange kein warmes | |
Wasser. Von den sechs Leuten, die hier übernachten, waren vier erkältet. | |
Wer waren die ersten BesucherInnen, die vorbeikamen? | |
Zwei junge Burschen um die 16. Sie haben einen selbst gebackenen Kuchen | |
mitgebracht, auf dem mit gefärbtem Zuckerguss stand: „Wir bleiben alle – in | |
Pankow und überall“. Das war sehr rührend. Es hat uns allen leidgetan, das | |
wir den Kuchen zerschneiden mussten. | |
Sind überwiegend junge Menschen gekommen? | |
Die meisten BesucherInnen waren tatsächlich junge Menschen. Vielleicht war | |
da auch ein wenig Neugier dabei: Eine Besetzerszene kennt man ja meist aus | |
ganz anderen Kreisen. Aber es kamen Menschen jeden Alters. Es waren auch | |
ehemalige Hausbesetzer bei uns, die in die Jahre gekommen sind und nun in | |
unserem Alter sind. Sie haben sich darüber gewundert, wie gut wir | |
organisiert sind. Dass jeder bei uns seinen Teil zu tun hat entsprechend | |
seinen Neigungen und Fähigkeiten. | |
Gab es in den letzten drei Monaten Momente, in denen Sie dachten, jetzt | |
hören wir auf? | |
Hätten wir keine Besetzung gemacht, dann wäre das Haus jetzt geschlossen. | |
Erst dadurch war das Bezirksamt gezwungen, etwas zu unternehmen. Ich sehe | |
einfach die Notwendigkeit unserer Aktion: Man glaubt gar nicht, wie viele | |
Menschen im Alter vereinsamen. Die Gemeinsamkeit der SeniorInnen in unserer | |
Begegnungsstätte ist sehr wichtig. | |
Waren Sie zwischendurch nie erschöpft? | |
Doch, natürlich. Wir stehen jeden Tag gegen sieben, halb acht Uhr auf. Am | |
Anfang kamen bis halb zehn Uhr abends BesucherInnen. Das ist sehr | |
anstrengend für Leute in unserem Alter. Ich selbst bin 76, natürlich ist | |
das alles ein wenig aufreibend für mich. Mittlerweile haben wir die | |
Besuchszeit auf 17 Uhr begrenzt. Außerdem sind wir nicht mehr rund um die | |
Uhr hier: Jeder geht für einen Tag in der Woche nach Hause, und jemand von | |
den Projektgruppen kommt als Ersatz. | |
Wie war die Stimmung, als am 20. September im Bezirksparlament Pankow | |
Verhandlungen mit der Volkssolidarität, die das Haus übernehmen will, auf | |
Mitte Oktober vertagt wurden? | |
Es war große Wut da. Einige von uns haben geweint und befürchtet, dass es | |
nicht klappen wird. Aber wir werden das Haus nicht freiwillig räumen. | |
Hatten Sie oft Angst vor einer Räumung? | |
Nein, ich nicht. Wenn das eintritt, setze ich mich auf den Fußboden ohne | |
eine Regung und lasse mich raustragen von der Polizei. Aber am Anfang gab | |
es einige, die Angst hatten. Wir haben leere Flaschen auf die Türklinken | |
gelegt, damit diese, wenn jemand die Tür öffnet, auf den Boden fallen. | |
Ist die Besetzung für Sie bisher erfolgreich? | |
Bis jetzt ja, das Haus ist ja noch offen. Außerdem wird nicht mehr darüber | |
gesprochen, die Begegnungsstätte dem Liegenschaftsfonds zu übergeben und | |
somit zum Verkauf auszuschreiben. Es wurde zugestimmt, dass ein freier | |
Träger das Haus übernimmt. | |
5 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Nikola Endlich | |
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