# taz.de -- Polska Biennale: Der Kosmos in einer Wunderkammer | |
> Gemälde schrumpfen zu Briefmarken, von Staaten bleiben nur Wappen. Die | |
> Stettiner Ausstellung „Wunderkammer“ zeigt Miniaturen. | |
Bild: Nein, hier geht es nicht ums Auto, sondern um die Weißkittel im Labor au… | |
STETTIN taz | Wunderkammern – das waren ab dem 16. Jahrhundert Sammlungen | |
von ausgestopften Tieren, Fossilien, wissenschaftlichen Geräten, Münzen, | |
Steinen, geschliffenen Kristallen, Herbarien. Man unterschied dabei | |
zwischen künstlichen und natürlichen Objekten: „Die einen waren das Werk | |
des Menschen, die anderen galten als das Werk Gottes. In ihrer Gesamtheit | |
sollten sie den Kosmos verbildlichen“, wie es in der Besucherinformation | |
der Wunderkammer des Salzburger Dommuseums heißt. | |
Was haben aber nun im 21. Jahrhundert die drei Kuratoren der Stettiner | |
Ausstellung „Wunderkammer“ an Objekten gesammelt? Sie haben 12 deutsche und | |
11 polnische Künstler ausgewählt und diese mussten nicht lange überlegen, | |
denn, so einer der Kuratoren, „unter dem Begriff Wunderkammer kann man | |
schier alles fassen“. | |
Und so wählte der Berliner Künstler Thomas Kapielski zum Beispiel einen | |
goldenen Kartoffelstampfer aus – signiert und datiert. Dieser trägt den | |
Titel „Das Amtssiegel Ludwigs XIV.“, weil sie so ähnlich aussieht und auf | |
die Einführung der Kartoffel in Europa verweist. Die Stettiner Künstlerin | |
Agata Zbylut baute einen Guckkasten, in dem man eine noch zuckende Fliege | |
sieht – auf einem Video-Loop. Auch Alexandra Ska entschied sich für ein | |
Video, es zeigt, wie sie sich mit einer elektrischen Zahnbürste gründlich | |
die Zähne putzt. | |
Der Kölner Matias Bechtold hat für seine Mirabilie wohl die meiste Arbeit | |
aufgewendet: drei Handstaubsauger, die er ausweidete und bis ins Interieur | |
zu Weltraumfahrzeugen umrüstete. Die Kinder unter den Ausstellungsbesuchern | |
waren begeistert. Eher abgestoßen waren sie dagegen von einer | |
gesellschaftskritischen Installation: einem völlig verfetteten Reh in einem | |
Eisenkäfig, das Artur Malewski von der Artistic Society of Lódz quasi | |
überausstopfte. | |
Apropos: Die Hafenstadt Stettin ist (noch) nicht derart mit Kunst-Events | |
vollgestopft wie Berlin, deswegen war der Besucherandrang in den Räumen des | |
ehemaligen staatlichen Autohauses Polmozbyt vis-à-vis der Kunsthochschule | |
auch enorm. Zudem waren viele Besucher extra aus Berlin angereist. | |
## Den Kosmos verbildlichen | |
Dem ursprünglichen Anspruch der Wunderkammern, den Kosmos zu verbildlichen, | |
versuchte Agata Michowska aus Poznan mit einer einzigen Arbeit gerecht zu | |
werden. Sie bestand aus „Fünf Elementen“: verchromte Stahlstangen auf | |
Stativen, die mit Silikonfäden verbunden waren – und hieß „Erster nicht | |
gelungener Versuch, die Welt zu erschaffen“. | |
Eher auf das Gegenteil – die Zerstörung der Welt – zielte die Arbeit von | |
Olaf Brzeski aus Breslau: ein innenbeleuchteter Atompilz auf einem runden | |
Perserteppich, der seinerseits Welthaltigkeit symbolisierte. Die Berlinerin | |
Katrin Hoffert zeigte dagegen die Arbeit an einer vorsichtigen Zerlegung | |
der Welt, wenn man so sagen darf. Sie stellte als einzige „richtige“ – | |
gemalte – Bilder aus, „Forschung“ betitelt. Auf ihnen sind Weißkittel im | |
Labor porträtiert. | |
Sehr schön machte sich daneben die „private Kunstsammlung“ von Kamil | |
Kuskowski, die aus rund 100 zum Teil abgestempelten Briefmarken bestand, | |
auf denen die „größten“ Gemälde der Welt im Miniformat zu sehen sind. | |
Ebenfalls winzig waren die aufgesockelten Wirbeltiere von Andreas Koch. Sie | |
wirken wie aus Elfenbein geschnitzt, bestehen jedoch aus zusammengefalteten | |
Milchhäuten – dennoch sehen sie sehr kostbar aus. | |
## Tanzend zwischen Spargelbeeten | |
Die Welt wird ja sowieso immer kleiner. Besonders anschaulich zeigte das | |
Lukasz Skapski aus Krakau – mit seinen 20 Wappen von „nicht [mehr] | |
existierenden Staaten“ vornehmlich aus Osteuropa und Afrika. Fotos gab’s | |
auch zu sehen – von den Berliner Künstlerinnen Ingeborg Lockemann und Elke | |
Mohr. Ihre Serie „Reihenreigen“ zeigte sie als nichtpolnische Erntehelfer �… | |
tanzend zwischen endlosen, mit Plastikfolie abgedeckten Spargelbeeten. | |
Die „Wunderkammer“ ist Teil der Polska Biennale, die derzeit in 50 Städten | |
stattfindet. Die Zeit, in der die Wunderkammern entstanden – die erste ließ | |
der Erzherzog von Tirol 1564 zusammenstellen – hat man als das „Jahrhundert | |
des Staunens“ bezeichnet. In Stettin staunten wir nunmehr, wie einfach man | |
eine schöne und interessante Ausstellung kuratieren kann. | |
„Wunderkammer“, bis 12.10. in Stettin, ab dem 18.1.2013 in Berlin | |
5 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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